Philosophische Untersuchungen.
   
1.
     Augustinus, in den Confessiones I/8 : cum [majores homines] appellabant rem aliquam, & cum secundum eam vocem corpus ad aliquid movebant, videbam, et tenebam hoc ab eis vocari rem illam, quod sonabant, cum eam vellent ostendere. Hoc autem eos velle ex motu corporis aperiebatur: tamquam verbis naturalibus omnium gentium, quae fiunt vultu et nutu oculorum, ceterorumque membrorum actu, & sonitu vocis indicante affectionem animi in petendis, habendis, rejiciendis, faciendisve rebus. Ita verba in variis sententiis locis suis posita, & crebro audita, quarum rerum signa essent, paulatim colligebam, measque jam voluntates, edomito in eis signis ore, per haec enuntiabam.
     In diesen Worten erhalten wir – so scheint es mir – ein bestimmtes Bild von dem Wesen der menschlichen Sprache. Nämlich dieses: Die Wörter der Sprache benennen Gegenstände – Sätze sind Verbindungen von solchen Benennungen.
     In diesem Bild von der Sprache finden wir die Wurzeln der Idee: Jedes Wort hat eine Bedeutung. Diese Bedeutung ist dem Wort zugeordnet. Sie ist der Gegenstand, für welchen das Wort steht.
     Von einem Unterschied der Wortarten spricht Augustinus nicht. Wer das Lernen der Sprache
so beschreibt, denkt – so möchte ich glauben – zunächst an Hauptwörter, wie “Tisch”, “Stuhl”, “Brot” und die Namen von Personen; erst in zweiter Linie an die Namen gewisser Tätigkeiten und Eigenschaften, und an die übrigen Wortarten als an etwas, was sich finden wird.
   
2.
     Denke nun an diese Verwendung der Sprache: – Ich schicke jemand einkaufen. Ich gebe ihm einen Zettel, auf diesem stehen die Worte || Zeichen: “fünf rote Äpfel”. Er trägt den Zettel zum Kaufmann; der öffnet die Lade, auf welcher das Zeichen “Äpfel” steht; dann sucht er in einer Tabelle das Wort “rot” auf und findet ihm gegenüber ein färbiges Täfelchen; nun sagt er die Reihe der Grundzahlwörter – ich nehme an, er weiß sie auswendig – bis zum Worte “fünf” und bei jedem Zahlwort nimmt er einen Apfel aus der Lade, der die Farbe des Täfelchens hat. – So, und ähnlich, operiert man mit Worten. – “Wie weiß er aber, wo und wie er das Wort “rot” nachschlagen soll und was er mit dem Wort “fünf” anzufangen hat?” – Nun, ich nehme eben an, er handelt, wie ich es beschrieben habe. Die Erklärungen haben irgendwo ein Ende. – Was ist aber die Bedeutung des Wortes “fünf”? – Von einer solchen war hier gar nicht die Rede; nur davon, wie das Wort “fünf” gebraucht wird. || der die Farbe des Täfelchen hat. – So, und ähnlich, operiert man mit Worten. – “Wie weiß er aber, wo und wie er das Wort ‘rot’ nachschlagen soll und was er mit dem Wort ‘fünf’ anzufangen hat?” – Nun, ich nehme eben an, er handelt, wie ich es beschrieben habe. Die Erklärungen haben irgendwo ein Ende. – Was ist aber die Bedeutung des Wortes “fünf”? – Von einer solchen war hier gar nicht die Rede; nur davon, wie das Wort “fünf” gebraucht wird.
   
3.
     Jener philosophische Begriff der Bedeutung ist in einer primitiven Vorstellung, von der Art und Weise, wie die Sprache funktioniert, zu Hause. Man kann
aber auch sagen, es sei die Vorstellung einer primitiven || primitiveren Sprache, als der unsern.


     Denken wir uns eine Sprache, für die die Beschreibung, wie Augustinus sie gegeben hat, stimmt: Die Sprache soll der Verständigung eines Bauenden A mit einem Gehilfen B dienen.
2.
Jener philosophische Begriff der Bedeutung eines Wortes ist zu Hause in einer primitiven Vorstellung vom Funktionieren unserer Sprache. || in einer primitiven Vorstellung von der Sprache zu Hause. Wir können aber auch sagen, die Vorstellung trifft zu, nur || aber für eine primitive Sprache.
     Denken wir uns nun eine Sprache, für die die Darstellung, die Augustinus gegeben hat, zutrifft: Sie möge || Denken wir uns nun eine Sprache, wie sie Augustinus gegeben hat: Die Sprache möge || Denken wir uns nun eine Sprache, für die die Darstellung zutrifft, wie sie Augustinus gegeben hat: Sie soll || Denken wir uns nun eine Sprache, für die die Darstellung, die || wie sie Augustinus gegeben hat gänzlich stimmt || zutrifft: Sie soll der Verständigung eines Bauenden A mit seinem Gehilfen B dienen. A führt einen Bau auf aus Bausteinen; es sind Würfel, Säulen, Platten und Balken vorhanden. B hat ihm die Bausteine zuzureichen, und zwar nach der Reihe, wie A sie braucht. Zu dem Zweck bedienen sie sich einer Sprache, bestehend aus den Wörtern: “Würfel”, “Säule”, “Platte”, “Balken”. A ruft sie aus; – B bringt den Stein, den er gelernt hat, auf diesen Ruf zu bringen.
     Fasse dies als vollständige primitive Sprache auf!
   
4.
     Augustinus beschreibt, (könnten wir sagen,) ein System der Verständigung, nur ist nicht alles, was wir Sprache nennen, dieses System. || aber nicht alles, was wir Sprache nennen, ist dieses System.
     (Und das muß man in vielen Fällen sagen, wo sich die Frage erhebt || sagen, – wo es sich fragt: “Ist diese Darstellung brauchbar, oder unbrauchbar?” Die Antwort ist dann “Ja, brauchbar; aber nur für dieses eng umschriebene Gebiet, nicht für das ganze, das du darzustellen vorgabst.” Denke dabei an Theorien der Nationalökonomen.)
3.

     Es ist so, als erklärte jemand: “Spielen besteht darin, daß man Dinge, gewissen Regeln gemäß, auf einer Fläche verschiebt || Dinge, gewissen Regeln gemäß, auf einer Fläche zu verschieben …” – und wir ihm antworten: Du scheinst an die Brettspiele zu denken || denkst gewiß an die Brettspiele; aber das sind nicht alle Spiele. Du kannst deine Erklärung richtigstellen, indem || wenn du sie ausdrücklich auf diese Spiele einschränkst.
   
5.
     Denke dir || Denken wir uns eine Schrift, in welcher Buchstaben zur Bezeichnung von Lauten benützt würden || werden, aber auch zur Bezeichnung der Betonung und auch als Interpunktionszeichen. (Eine Schrift kann man auffassen als Sprache zur Beschreibung von Lautbildern.) Denke dir nun, daß Einer jene Schrift so verstünde, als entspräche einfach jedem Buchstaben ein Laut, und als hätten die Buchstaben nicht auch ganz andere Funktionen. – So einer – zu einfachen – Auffassung || Deutung der Schrift gleicht glaube ich Augustinus' Auffassung der Sprache. || gleichen primitive philosophische Auffassungen … der Sprache völlig.
   
6.
     Wenn man das Beispiel (2) betrachtet, so ahnt man vielleicht inwiefern der allgemeine Begriff der Bedeutung der Worte das Funktionieren der Sprache mit einem Dunst umgibt, der das klare Sehen unmöglich macht. Es zerstreut den Nebel, wenn wir die Erscheinungen der Sprache an primitiven Arten ihrer Verwendung studieren, an Verwendungsweisen nämlich, in denen man den Zweck und das Funktionieren der Wörter klar übersehen kann.
     Solche primitiven Formen der Sprache verwendet das Kind, wenn es sprechen lernt. Das Lehren der Sprache ist hier || da kein Erklären, sondern ein Abrichten.
   
7.
     Wir könnten uns vorstellen, daß die Sprache (3) die ganze Sprache des A und B ist; ja die ganze Sprache eines Volksstamms. Die Kinder werden dazu erzogen diese Tätigkeiten zu verrichten, diese Wörter dabei zu gebrauchen,
4.
und so auf die Worte des Anderen zu reagieren. Ein wichtiger Teil der Abrichtung wird darin bestehen, daß der Lehrende auf die Gegenstände weist, die Aufmerksamkeit des Kindes auf sie lenkt, und dabei ein Wort ausspricht; z.B. das Wort “Platte” beim Vorzeigen dieser Form. (Dies will ich nicht “hinweisende Erklärung”, oder “Definition” nennen, weil das Kind noch nicht nach der Benennung fragen kann. Ich will es “hinweisendes Lehren der Wörter” nennen. – Ich sage, es wird einen wichtigen Teil der Abrichtung bilden, weil es bei Menschen so der Fall ist; nicht, weil es sich nicht anders vorstellen ließe.) Dieses hinweisende Lehren der Wörter, kann man sagen, schlägt eine assoziative Verbindung zwischen dem Wort und dem Ding. Aber was heißt das? Nun, es kann Verschiedenes heißen: || aber man denkt wohl zunächst daran, daß dem Kind das Bild des Dings vor die Seele tritt wenn es das Wort hört. Aber wenn das nun geschieht – ist das der Zweck des Worts? – Ja, es kann der Zweck sein. – Ich kann mir eine solche Verwendung von Wörtern (d.h. also Lautreihen) denken. (Ihr Aussprechen ist gleichsam ein Anschlagen einer Taste auf dem Vorstellungsklavier.) Aber in der Sprache (3) ist es nicht der Zweck der Wörter Vorstellungen zu erwecken. (Es kann freilich auch gefunden werden, daß dies dem eigentlichen Zweck förderlich ist.)
     Wenn aber das das hinweisende Lehren bewirkt, – soll ich sagen, es bewirkt das Verstehen des Worts? Versteht nicht der den Ruf “Platte!”, der so und so nach ihm handelt? – Aber dies half wohl das hinweisende Lehren herbeiführen, aber doch nur zusammen mit einem bestimmten Unterricht. Mit einem anderen Unterricht hätte dasselbe hinweisende Lehren dieser Wörter ein ganz anderes Verständnis bewirkt. – Davon später mehr. || ganz anderes Verständnis bewirkt. – Davon später mehr.
5.

     “Indem ich durch die Schraube die Stange mit dem Hebel verbinde, setze ich die Bremse instand.” – Ja, – gegeben den ganzen übrigen Mechanismus. Nur mit diesem ist er der Bremshebel; und losgelöst von seiner Unterstützung ist er nicht einmal Hebel, sondern kann alles mögliche sein, oder nichts.
   
8.
     In der Praxis des Gebrauchs der Sprache (3) ruft der eine Teil die Wörter, der andre handelt nach ihnen; im Unterricht der Sprache aber wird sich dieser Vorgang finden: der Lernende benennt die Gegenstände; d.h., er spricht das Wort, wenn der Lehrer auf den Stein zeigt. – Ja, es wird sich hier die noch einfachere Übung finden: der Schüler spricht die Worte nach, die der Lehrer ihm vorsagt: Beides sprachähnliche Vorgänge.
     Wir können uns auch denken, daß der ganze Vorgang des Gebrauchs der Worte in (3) eines jener Spiele ist, mittels welcher Kinder unsere Sprachen erlernen. Ich will diese “Sprachspiele” nennen, und von einer primitiven Sprache manchmal als von einem Sprachspiel reden.
     Und man könnte die Vorgänge des Benennens der Steine und des Nachsprechens des vorgesagten Wortes auch Sprachspiele nennen. Denke an manchen Gebrauch, der von den Wörtern || Worten in Reigenspielen gemacht wird.
   
9.
     Sehen wir jetzt eine Erweiterung der Sprache (3) an: Außer den Wörtern “Würfel”, “Säule”, etc. enthalte sie eine Wörterreihe, die verwendet wird, wie der Kaufmann in (2) die Zahlwörter verwendet, es kann die Reihe der Buchstaben des Alphabets sein; ferner, zwei Wörter, sie mögen “dorthin” und “dieses” lauten, weil dies schon ungefähr ihren Zweck andeutet, – sie werden in Verbindung mit einer zeigenden Handbewegung gebraucht;
6.
und endlich verwenden wir noch gewisse Täfelchen in verschiedenen Farben. A gibt nun einen Befehl von der Art: “d Platte dorthin” – dabei läßt er den Gehilfen ein Farbtäfelchen sehen, und beim Worte “dorthin” zeigt er an eine Stelle. B nimmt von dem Vorrat der Platten je eine von der Farbe des Täfelchens für jeden Buchstaben des Alphabets bis zum “d” und bringt sie an den Ort den A bezeichnet. – Bei anderen Gelegenheiten gibt A den Befehl “dieses dorthin” – bei “dieses” zeigt er auf einen Baustein – u.s.w..
   
10.
     Wenn das Kind diese Sprache lernt, muß es die Reihe der ‘Zahlwörter’ “a, b, c” … auswendig lernen. – Und es muß ihren Gebrauch lernen: Wird in diesem Unterricht auch ein hinweisendes Lehren der Wörter vorkommen? – Nun, es wird z.B. auf Platten gewiesen und gezählt werden: “a, b, c, Platten”. – Mehr Ähnlichkeit mit dem hinweisenden Lehren im Beispiel (3) hätte das hinweisende Lehren der Zahlwörter, || wenn diese nicht zum Zählen, sondern zur Bezeichnung mit dem Auge erfaßbarer Gruppen von Dingen || Gegenständen verwendet werden. || ‒ ‒ ‒ wenn sie nicht zum Zählen von Gegenständen dienen, sondern zur Bezeichnung mit dem Auge erfaßbarer gewisser Arten || Formen der Gruppierung von Dingen. So daß diese Form o “eins” heißt, diese o o “zwei”, o o o “drei”, etc.
     Wird auch “dorthin” und “dieses” hinweisend gelehrt? – Stelle dir vor, wie man ihren Gebrauch etwa lehren könnte! Es wird dabei auf Örter und Dinge gezeigt werden, – aber hier geschieht ja dieses Zeigen auch im Gebrauch der Wörter und nicht nur beim Lernen des Gebrauchs. –
   
11.
     Was bezeichnen nun die Wörter dieser Sprache? – Was sie bezeichnen, wie soll sich das zeigen, es sei denn in der Art ihres Gebrauchs? Und den haben wir ja beschrieben. Der Ausdruck “dieses Wort bezeichnet das müßte also
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ein Teil dieser Beschreibung werden. Oder: die Beschreibung soll auf die Form gebracht werden: “Das Wort … bezeichnet …”.
     Nun, man kann ja die Beschreibung des Gebrauchs des Wortes “Platte” dahin abkürzen, daß man sagt, dieses Wort bezeichne diesen Gegenstand. Das wird man tun, wenn es sich z.B. nur mehr darum handelt, das Mißverständnis zu beseitigen, das Wort “Platte” beziehe sich auf die Bausteinform, die wir tatsächlich “Würfel” nennen; die Art und Weise dieses ‘Bezuges’ aber, d.h. der Gebrauch dieser Worte im Übrigem, bekannt ist.
     Und ebenso kann man sagen, die Zeichen “a,, “b,, “c,, etc. bezeichnen Zahlen, wenn dies etwa das Mißverständnis behebt “a”, “b”, “c”, etc. spielten in der Sprache die Rolle, die in Wirklichkeit “Würfel,”, “Säule”, “Platte” spielen. Und man kann auch sagen “c” bezeichne diese Zahl und nicht jene, – wenn damit etwa erklärt wird, die Buchstaben seien in der Reihenfolge “a”, “b”, “c”, “d”, etc. zu verwenden und nicht in der “a”, “b”, “d”, “e”.
     Aber dadurch, daß man so die Beschreibungen des Gebrauchs der Wörter einander assimiliert, kann doch dieser Gebrauch nicht ähnlicher || gleichartiger werden: denn, wie wir sehen, ist er ganz und gar verschieden || verschiedenartig.
     Denk' an die Werkzeuge in einem Werkzeugkasten: Es ist da ein Hammer, eine Zange, eine Säge, ein Schraubenzieher, ein Maßstab, ein Leimtopf, Leim, Nägel und Schrauben. – So verschieden die Funktionen dieser Gegenstände, so verschieden sind die Funktionen der Wörter. (Und es gibt Ähnlichkeiten hier und dort.)
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12.
     Freilich, was uns verwirrt ist die Gleichförmigkeit ihrer Erscheinung, wenn die Wörter uns gesprochen oder in der Schrift und im Druck entgegentreten. Denn ihre Verwendung steht nicht so deutlich vor uns. Besonders nicht, wenn wir philosophieren!
     Wie wenn wir ein Stellwerk einer Maschine ansehen: wir sehen Handgriffe die alle mehr oder weniger gleich ausschauen. (Das ist begreiflich, denn sie sollen alle mit der Hand angefaßt werden.) Aber einer ist der Handgriff einer Kurbel, die kontinuierlich verstellt werden kann (sie reguliert die Öffnung eines Ventils); ein andrer ist der Handgriff eines Schalters, der nur zweierlei wirksame Stellen || Stellungen hat, er ist entweder umgelegt, oder aufgestellt; ein dritter ist der Griff eines Bremshebels, je stärker wir ziehen || man zieht, desto stärker wird gebremst; & ein vierter, der einer Pumpe, er wirkt nur, solange er hin und her bewegt wird.
     Wenn wir sagen: “jedes Wort der Sprache bezeichnet etwas”, so ist damit vorerst noch gar nichts gesagt; es sei denn, daß wir genau erklärten, welche Unterscheidung wir zu machen wünschen. (Es könnte ja sein, daß wir die Wörter der Sprache (9) von Wörtern ‘ohne Bedeutung’ unterscheiden wollten, die || wie sie in Gedichten Lewis Carrolls vorkommen.)
     Denke dir, jemand sagte: “Alle Werkzeuge dienen dazu, etwas zu modifizieren. So, der Hammer die Lage des Nagels, die Säge die Form des Bretts, etc.” – Und was modifiziert der Maßstab, der Leimtopf, die Nägel? – “Unser Wissen um die Länge eines Dings, die Temperatur des Leims und die Festigkeit der Kiste.” – Wäre mit dieser Assimilation des Ausdrucks
9.
etwas gewonnen? –
   
13.
     Am besten ist das Wort “bezeichnen” wohl da angewandt, wo das Zeichen auf dem Gegenstand steht, den es bezeichnet.
     Nimm also an, an Werkzeugen, die A beim Bauen benützt, stünden Zeichen || den Werkzeugen, die A beim Bauen benützt, seien Zeichen eingeritzt. || …auf den Werkzeugen die A beim Bauen benützt, stünden gewisse Zeichen. Zeigt A dem Gehilfen ein solches Schriftzeichen, so bringt dieser || Schriftzeichen (er schreibt es auf eine Tafel) so bringt A das Werkzeug, das mit dem Zeichen bezeichnet || versehen ist.
     Auf diese, und mehr oder weniger ähnliche, Weise bezeichnet ein Name ein Ding, und wird ein Name einem Ding gegeben. (Davon später mehr.) – Es wird sich oft nützlich erweisen, wenn wir uns beim Philosophieren sagen: Etwas benennen, das ist etwas Ähnliches, wie, einem Ding ein Namentäfelchen umhängen. –
   
14.
     Wie ist es mit den Farbmustern, die A und B zeigt, – gehören sie zur Sprache? Nun, wie man will. Zur Wortsprache gehören sie nicht; aber wenn ich jemandem sage: “Sprich das Wort ‘das’ aus”, so wirst du doch dieses || das zweite “‘das’” in diesem Satz auch noch zum Satz rechnen. Und doch spielt es eine ganz ähnliche Rolle wie ein Farbtäfelchen im Sprachspiel (9); Es ist nämlich ein Muster dessen, was der Andere sagen soll, wie das Farbtäfelchen ein Muster dessen, was B bringen soll.
     Es ist das Natürlichste und richtet am wenigsten Verwirrung an, wenn wir die Muster zu den Werkzeugen der Sprache rechnen.
   
15.
     Wir werden sagen können: in der Sprache (9) haben wir verschiedene Wortarten. Denn die Funktion von “Platte” und von “Würfel” ist ähnlicher, als die von “Platte” und von “d”. Wie wir aber die Worte nach Arten zusammenfassen wird vom Zweck der Einteilung abhängen, und von unserer
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Neigung.
     Denke an die verschiedenen Gesichtspunkte nach denen man Werkzeuge in Werkzeugarten einteilen könnte || kann. Oder Schachfiguren in Figurenarten.
   
16.
     Daß die Sprachen (3) und (9) nur aus Befehlen bestehen, laß dich nicht stören. Willst du sagen sie seien darum nicht komplett, so frage dich, ob unsere Sprache komplett ist, – ob sie es war, ehe ihr der chemische Symbolismus und die Infinitesimalrechnung einverleibt wurden; denn dies sind, sozusagen, Vorstädte unserer Sprache. (Und mit wieviel Häusern, oder Straßen, fängt eine Stadt an, Stadt zu sein?) Unsere Sprache kann man ansehen als eine alte Stadt: ein Gewinkel von Gäßchen und Plätzen, alten und neuen Häusern, und Häusern mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten; und dies, umgeben von einer Menge neuer Vororte mit geraden und regelmäßigen Straßen und mit einförmigen Häusern.
     Man kann sich leicht eine Sprache vorstellen, die nur aus Befehlen und Meldungen in der Schlacht besteht. – Oder eine Sprache, die nur Fragen besteht und einem Ausdruck der Bejahung und der Verneinung. Und unzähliges Andre. – Und sich eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen.
   
17.
     Wie ist es aber, – ist der Ruf “Platte!” im Beispiel (3) ein Satz, oder ein Wort? – Wenn ein Wort, so hat es doch nicht dieselbe Bedeutung, wie das gleichlautende unserer gewöhnlichen Sprache, denn in der Sprache (3) ist es ja ein Ruf; wenn aber ein Satz, so ist es doch nicht der elliptische
11.
Satz “Platte!” unserer Sprache. – Was die erste Frage anbelangt, so kannst du “Platte!” ein Wort, und auch einen Satz nennen, vielleicht treffend: einen ‘degenerierten Satz’ (wie man von einer degenerierten Hyperbel spricht). und zwar ist es eben unser ‘elliptischer’ Satz. – Aber der ist doch nur eine verkürzte Form des Satzes “Bring mir eine Platte!” und diesen Satz gibt es doch im Beispiel (3) nicht. – Aber warum sollte ich nicht, umgekehrt, den Satz “Bring mir eine Platte!” eine Verlängerung des Satzes “Platte!” nennen? – Weil der, der “Platte!” ruft, eigentlich meint: “Bring mir eine Platte!”. – Aber wie machst du das, dies meinen, während du “Platte” sagst? Sprichst du dir inwendig den unverkürzten Satz vor? Und warum soll ich, um zu sagen, was du mit dem Ruf “Platte!” meinst, diesen Ausdruck in einen andern übersetzen? Und wenn sie das Gleiche bedeuten, – warum soll ich nicht sagen: “Wenn du ‘Platte!’ sagst, meinst du ‘Platte!’”? – Oder: Warum sollst du nicht “Platte!” meinen können, wenn du “Bring mir die Platte!” meinen kannst? – Aber wenn ich “Platte!” rufe, so will ich doch, er soll mir eine Platte bringen! – Gewiß, – aber besteht ‘dies wollen’ darin, daß du in irgend einer Form einen andern Satz denkst, als den, den du sagst? –
   
18.
     “Aber wenn nun Einer sagt “Bring mir eine Platte!”, so scheint es ja jetzt, als könnte er diesen Ausdruck als ein langes Wort meinen – – entsprechend nämlich dem einen Wort ‘Platte!’” – Kann man ihn also einmal als ein Wort, einmal als vier Wörter meinen? Und wie meint man ihn gewöhnlich? – Ich glaube, wir werden geneigt sein, zu sagen:
11.
wir meinen den Satz als einen Satz von vier Wörtern, wenn wir ihn im Gegensatz zu andern Sätzen gebrauchen, wie: “Reich mir eine Platte zu”, “Bring ihm eine Platte”, “Bring zwei Platten”, etc.; also im Gegensatz zu Sätzen, welche die Wörter unseres Befehls in andern Verbindungen enthalten. – Aber worin besteht es, einen Satz im Gegensatz zu andern Sätzen gebrauchen? Schweben einem dabei etwa diese Sätze vor? Und alle? Und während man den einen Satz sagt, oder vor –, oder nachher? – Nein! Wenn auch so eine Erklärung einige Versuchung für uns hat, so brauchen wir doch nur einen Augenblick zu bedenken, was wirklich geschieht, um zu sehen, daß wir hier auf falschem Weg sind. Wir sagen, wir gebrauchen den Befehl im Gegensatz zu andern Sätzen, weil unsere Sprache die Möglichkeit dieser andern Sätze enthält. Wer unsere Sprache nicht versteht, ein Ausländer, der öfter gehört hätte, wie jemand den Befehl gibt “Bring mir eine Platte!”, könnte der Meinung sein, diese ganze Lautreihe sei ein Wort und entspräche etwa dem Wort für “Baustein” in seiner Sprache. Wenn er selbst dann diesen Befehl zu geben hätte, würde er ihn vielleicht anders aussprechen, und wir würden sagen: Er spricht ihn so sonderbar aus, weil er ihn für ein Wort hält. – Aber geht also nicht, wenn er ihn ausspricht, eben auch etwas anderes in ihm vor, dem entsprechend, daß er den Satz als ein Wort auffaßt? Es kann das Gleiche in ihm vorgehen, oder auch anderes. Was geht denn in dir vor, wenn Du so einen Befehl gibst; bist Du dir bewußt, daß er aus vier Wörtern besteht, hrend du ihn aussprichst? Freilich, du
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beherrscht diese Sprache – in der es auch jene andern Sätze gibt – aber ist dieses Beherrschen etwas, was geschieht, während du den einen Satz ausspricht? – Und ich habe ja zugegeben: der Fremde wird den Satz, den er anders auffaßt, wahrscheinlich anders aussprechen; aber was wir die falsche Auffassung nennen muß nicht in irgend etwas liegen, was das Aussprechen des Befehls begleitet. (Davon später mehr.)
   
19.
     ‘Elliptisch’ ist der Satz nicht, weil er etwas ausläßt, was wir meinen, wenn wir ihn aussprechen, sondern weil er gekürzt ist im Vergleich mit einem bestimmten Standard unserer Grammatik. – Man könnte hier freilich den Einwand machen: “Du gibst zu, daß der verkürzte und der unverkürzte Satz den gleichen Sinn haben. – Welchen Sinn haben sie also? Gibt es denn für diesen Sinn nicht einen Wortausdruck?” – Aber besteht der gleiche Sinn der Sätze nicht in ihrer gleichen Verwendung? – (Im Russischen heißt es “Stein rot”, statt “der Stein ist rot”; – geht ihnen die Kopula im Sinn ab? oder denken sie || sich die Kopula dazu? –)
   
20.
     Man kann sich auch leicht ein Sprachspiel denken, in dem B dem A auf dessen Frage die Anzahl der Platten oder Würfel in einem Stoß meldet, oder die Farben und Formen der Bausteine, die dort und dort liegen.
     So eine Meldung könnte also lauten: “fünf Platten.”. Was ist nun der Unterschied zwischen der Meldung, oder Behauptung, “fünf Platten.” und dem Befehl “fünf Platten!”? – Nun, die Rolle, die das Aussprechen dieser Worte im Sprachspiel spielt. Aber es wird wohl auch der Ton, mit dem sie ausgesprochen werden, ein
14.
andrer sein, und die Miene, und noch manches andre. Aber wir können uns auch denken, daß der Ton der gleiche ist – denn ein Befehl und eine Meldung können in mancherlei Ton ausgesprochen werden und mit mancherlei Miene, etc. – und daß der Unterschied allein in der Verwendung liegt. – (Freilich könnten wir auch die Worte “Behauptung” und “Befehl” zur Bezeichnung einer grammatischen Satzform und eines Tonfalls gebrauchen, wie man ja den Satz “Ist das Wetter heute nicht herrlich?” eine Frage nennen wird, obwohl er wie eine Behauptung verwendet wird. Wir könnten uns eine Sprache denken, in der alle Behauptungen die Form und den Ton der rhetorischen Frage hätten; oder jeder Befehl die Form: “Möchtest du das tun?”. Man wird dann vielleicht sagen: “Was er sagt, hat die Form der Frage ist aber wirklich ein Befehl”, d.h.: hat die Funktion des Befehls in der Praxis der Sprache. (Ähnlich sagt man “Du wirst das tun”, nicht als Prophezeiung sondern als Befehl. Was macht es zu dem einen, was zu dem andern?)
   
21.
     Frege's Ansicht, daß in einer Behauptung eine Annahme steckt, die dasjenige ist, was behauptet wird, basiert eigentlich auf der Möglichkeit, die es in unserer Sprache gibt, jeden Behauptungssatz in der Form zu schreiben: “Es wird behauptet, daß das und das der Fall ist.” Aber “Daß das und das der Fall ist.” ist eben in unsrer Sprache kein Satz – es ist noch kein Zug in unsrem Sprachspiel. Und schreibe ich statt “Es wird behauptet, daß …”: “Es wird behauptet das und das ist der Fall”, dann sind hier die Worte “Es wird behauptet” eben überflüssig.
     Wir könnten sehr gut auch jede Behauptung in Form
15.
einer Frage mit nachgesetzter Bejahung schreiben; also, statt “Es regnet”: “Regnet es? Ja!”. Würde das zeigen, daß in jeder Behauptung eine Frage steckt?
   
22.
     Man hat freilich das Recht ein Behauptungszeichen zu verwenden im Gegensatz z.B. zu einem Fragezeichen. Irrig ist es nur, wenn man meint, daß die Behauptung nun aus zwei Akten besteht, dem Erwägen und dem Behaupten (Beilegen des Wahrheitswerts, oder dergleichen) und daß wir diese Akte nach den Zeichen des Satzes vollziehen, ungefähr wie wir nach Noten singen. Mit dem Singen nach Noten ist allerdings das laute, oder leise, Lesen nach dem geschriebenen Satz zu vergleichen, aber nicht das ‘Meinen’ (Denken) des gelesenen Satzes.
   
23.
     Der wichtige Sinn des Fregeschen Behauptungszeichens wird vielleicht am besten dadurch gefaßt, daß wir sagen: es bezeichnet deutlich den Anfang des Satzes. – Das ist wichtig: denn unsere philosophischen Schwierigkeiten das Wesen der ‘Negation’ und des ‘Denkens’ betreffend rühren, im gewissen Sinn, daher, daß wir nicht sehen, daß ein Satz “¬ nicht p”, oder “¬ich glaube p”, mit dem Satz “¬p” wohl “p” gemeinsam hat, aber nicht “¬ p”. (Denn wenn ich jemand sagen höre “es regnet”, so weiß ich nicht was er gesagt hat, wenn ich nicht weiß, ob ich den Anfang des Satzes gehört habe.)
   
24.
     Wieviele Arten der Sätze gibt es aber? Etwa: Behauptung, Frage und Befehl? Es gibt unzählige solcher Arten: unzählige verschiedene Arten der Verwendung alles dessen, was wir “Zeichen”, “Worte”, “Sätze”, nennen.
16.
Und diese Mannigfaltigkeit ist nichts Festes, ein für allemal Gegebenes, sondern neue Typen der Sprache, neue Sprachspiele – wie wir sagen können – entstehen und andre veralten und werden vergessen. (Ein ungefähres Bild davon können uns die Wandlungen der Mathematik geben.)
     Das Wort “Sprachspiel” soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit oder einer Lebensform.
     Führe dir die Mannigfaltigkeit der Sprachspiele an diesen Beispielen und andern vor Augen:
Befehlen, und nach Befehlen handeln –
Beschreiben eines Gegenstands nach dem Ansehen, oder nach Messungen –
Herstellen eines Gegenstands nach einer Beschreibung (Zeichnung) –
Berichten eines Hergangs –
Über den Hergang Vermutungen anstellen –
Eine Hypothese aufstellen und prüfen –
Darstellung der Ergebnisse eines Experiments durch Tabellen und Diagramme –
Eine Geschichte erfinden, und lesen –
Theaterspielen –
Reigen singen –
Rätsel raten –
Einen Witz machen, erzählen –
Ein angewandtes Rechnungsexempel lösen
Aus einer Sprache in die andere übersetzen
Bitten, Danken, Fluchen, Grüßen, Beten. – Es ist interessant die Mannigfaltigkeit der Werkzeuge
17.
der Sprache und ihrer Verwendungsweisen – die Mannigfaltigkeit der Wort- und Satzarten – mit dem zu vergleichen, was Logiker über den Bau der Sprache gesagt haben. (Und auch der Verfasser der Log. Phil. Abh.¤)
   
25.
     Wenn wir nicht sehen, daß es eine Menge von Sprachspielen gibt, sind wir etwa geneigt, zu fragen: “Was ist eine Frage?” Ist es die Feststellung, daß ich das und das nicht weiß, oder die Feststellung, daß ich wünsche, der Andre möchte mir sagen …? Oder ist es die Beschreibung meines seelischen Zustandes der Ungewißheit? – Und ist der Ruf “Hilfe!” so eine Beschreibung?
     Denke daran, wie Verschiedenes “Beschreibung” genannt wird: die Beschreibung der Lage eines Körpers durch seine Koordinaten: die Beschreibung des Verlaufs einer Schmerzempfindung.
     Man kann freilich statt der gewöhnlichen Form der Frage die der Feststellung oder Beschreibung setzen: “Ich will wissen, ob …”, oder “Ich bin im Zweifel, ob …” – aber damit hat man die verschiedenen Sprachspiele einander nicht näher gebracht.
     Die Bedeutsamkeit solcher Umformungsmöglichkeiten, z.B. aller Behauptungssätze in Sätze, die mit der Klausel “Ich denke” oder “Ich glaube” anfangen (also sozusagen in Beschreibungen meines Innenlebens) wird sich später noch zeigen.
   
26.
     Man sagt manchmal: die Tiere sprechen nicht, weil ihnen die geistigen Fähigkeiten fehlen: und das heißt; ‘sie denken nicht, darum sprechen sie nicht’. Aber: sie sprechen eben nicht. Oder besser: Sie verwenden
18.
die Sprache nicht. (Wenn wir von den primitivsten Formen der Sprache absehen.) Befehlen, fragen, erzählen, plauschen, gehören zu unserer Naturgeschichte so, wie gehen, essen, trinken, spielen. (Es ist hier gleich, ob mit dem Mund oder den Händen gesprochen wird.)
     Das hängt damit zusammen, daß man meint, das Lernen der Sprache bestehe darin, daß man Gegenstände benennt; und zwar: Menschen, Formen, Farben, Schmerzen, Stimmungen, Zahlen, etc..– Wie gesagt – das Benennen ist etwas Ähnliches, wie, einem Ding ein Namenstäfelchen anheften. Man kann das eine Vorbereitung zum Gebrauch eines Wortes nennen. Aber worauf ist es eine Vorbereitung?
     “Wir benennen die Dinge und können nun über sie reden. Uns in der Rede auf sie beziehen.” Als ob mit dem Akt des Benennens schon das, was wir weiter tun, gegeben sei. Als ob es nur Eines gebe, was heißt: “von Dingen reden”. Während wir doch das Verschiedenartigste mit unsern Sätzen tun. Denken wir allein an die Ausrufe. – Mit ihrem ganz verschiedenen Funktionen.
     Wasser!
     Fort!
     Au!
     Hilfe!
     Schön!
     Nicht! Bist du nun noch geneigt, diese Wörter “Benennungen von Gegenständen” zu nennen?
   
27.
     In den Sprachen (3) und (9) gab es ein Fragen nach der Benennung nicht. Dies und sein Korrelat, die hinweisende
19.
Erklärung, Definition, ist, wie wir sagen könnten, ein eigenes Sprachspiel. Das heißt eigentlich: wir werden erzogen, abgerichtet, dazu, zu fragen: “Wie heißt das?” – worauf dann das Benennen erfolgt. Und es gibt auch ein Sprachspiel: für etwas einen Namen erfinden. Also, zu sagen: “das heißt … und nun den neuen Namen zu verwenden. (So benennen Kinder z.B. ihre Puppen und reden dann von ihnen. Dabei bedenke auch gleich, wie speziell der Gebrauch des Personennamens ist, mit welchem wir den Benannten rufen!)
     Man kann nun einen Personennamen, ein Farbwort, einen Stoffnamen, ein Zahlwort, den Namen einer Himmelsrichtung, etc. etc. hinweisend definieren. Die Definition der Zwei: “Das heißt ‘zwei’” – wobei man auf zwei Nüsse zeigt – ist vollkommen exakt. – Aber wie kann man denn die Zwei so definieren; der, dem man die Definition gibt, weiß ja dann nicht, was man mit “zwei” benennen will; er wird annehmen, daß du diese Gruppe von Nüssen “zwei” nennst! – Er kann dies annehmen, – vielleicht nimmt er es aber nicht an. Er könnte ja auch, umgekehrt, wenn ich dieser Gruppe von Nüssen einen Namen beilegen will, ihn als Zahlnamen mißverstehen. Und ebensogut, wenn ich einen Personennamen hinweisend erkläre, diesen als Farbnamen, als Bezeichnung der Rasse, ja als Namen einer Himmelsrichtung auffassen. Das heißt, die hinweisende Definition kann in jedem Fall so und anders gedeutet werden.
   
28.
     Vielleicht sagst du: Die || die Zwei kann nur so hinweisend definiert werden: “Diese Zahl heißt ‘zwei’”: denn das Wort “Zahl” zeigt hier an, an welchen Platz der Sprache, der Grammatik, wir das Wort setzen: das heißt
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aber, es muß das Wort “Zahl” erklärt sein, ehe jene hinweisende Definition verstanden werden kann. – Das Wort “Zahl” in der Definition zeigt allerdings diesen Platz an, den Posten, an den wir das Wort stellen. Und wir können so Mißverständnissen vorbeugen, indem wir sagen “Diese Farbe heißt so und so”, “Diese Länge heißt so und so” u.s.w.. Das heißt: Mißverständnisse werden manchmal so vermieden. Aber läßt sich denn das Wort “Farbe”, oder “Länge” nur so auffassen? – Nun wir müssen sie eben erklären. – Also erklären durch andere Wörter! Und wie ist es mit der letzten Erklärung in dieser Kette?! (Sag' nicht, “Es gibt keine ‘letzte’ Erklärung”; das ist geradeso, als wolltest du sagen: “Es gibt kein letztes Haus in dieser Straße: man kann immer noch eines dazubauen.”)
     Ob das Wort “Zahl” in der hinweisenden Definition der Zwei nötig ist, das hängt davon ab, ob er sie ohne dieses Wort anders auffaßt, als ich es wünsche. Und das wird wohl von den Umständen abhängen, unter welchen sie gegeben wird und von dem Menschen, dem ich sie gebe.
     Und wie er die Erklärung ‘auffaßt’, zeigt sich darin, wie er von dem erklärten Wort Gebrauch macht.
   
29.
     Man könnte also sagen: Die hinweisende Definition erklärt den Gebrauch – die Bedeutung – des Wortes, wenn es schon klar ist, welche Rolle das Wort in der Sprache überhaupt spielen soll. Wenn ich also weiß, daß Einer mir ein Farbwort erklären will, so wird mir die hinweisende Erklärung “Das heißt ‘Sepia’ zum Verständnis des Wortes verhelfen. – Und dies kann man sagen, wenn man nicht vergißt, daß sich nun allerlei Fragen an das Wort “wissen”, oder
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“klar sein” anknüpfen!
     Man muß schon etwas wissen, um nach der Benennung fragen zu können. Aber was muß man wissen?
     Wenn man jemandem die Königsfigur im Schachspiel zeigt und sagt: “Das ist der Schachkönig”, so erklärt man ihm dadurch nicht den Gebrauch dieser Figur, – es sei denn, daß er die Regeln des Spiels schon kennt, bis auf diese letzte Bestimmung: die Form einer Königsfigur. Man kann sich denken, er habe die Regeln des Spiels gelernt, ohne das ihm je eine wirkliche Spielfigur gezeigt wurde. Die Form der Spielfigur entspricht hier dem Klang oder der Gestalt eines Wortes.
     Man kann sich aber auch denken, Einer habe das Spiel gelernt ohne je Regeln zu lernen, oder zu formulieren. Er hat etwa zuerst durch Zusehen ganz einfache Brettspiele gelernt und ist zu immer Komplizierterem vorgeschritten. Auch diesem könnte man die Erklärung geben: “Das ist der König”, wenn man ihm z.B. Schachfiguren von einer ihm ungewohnten Form zeigt. Auch diese Erklärung lehrt ihn den Gebrauch der Figur nur darum, weil, wie wir sagen könnten, der Platz schon vorbereitet war, an dem sie gestellt wurde. Oder auch: Wir werden nur dann sagen, sie lehre ihn den Gebrauch, wenn der Platz schon vorbereitet ist. Und er ist es hier nicht dadurch, daß der, dem wir die Erklärung geben, schon Regeln weiß, sondern dadurch, daß er in anderm Sinne schon ein Spiel beherrscht.
     Betrachte noch diesen Fall: Ich erkläre jemandem das Schachspiel, und fange damit an, indem ich auf eine Figur zeige und sage: “Das ist der König. – Er kann so und
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so ziehen, etc. etc.”. – In diesem Fall werden wir sagen: die Worte “Das ist der König” (oder, “Das heißt ‘König’”) sind nur dann eine Worterklärung, wenn der Lernende schon ‘weiß, was eine Spielfigur ist’; wenn er also etwa schon andere Spiele gespielt hat, oder dem Spielen ‘mit Verständnis zugesehen hat’, und dergleichen. Auch nur dann wird er beim Lernen des Spiels relevant fragen können, || : “Wie heißt das?”, – nämlich, diese Spielfigur.
   
     Wir können sagen: Nach der Benennung fragt nur der sinnvoll, der schon etwas mit ihr anzufangen weiß.
     Wir können uns ja auch denken, daß der nach dem Namen Gefragte antwortet: “Bestimm' die Benennung selber || den Namen selbst” – und nun müßte, der gefragt hat, für alles selber aufkommen.
   
30.
     Wer in ein fremdes Land kommt, wird manchmal die Sprache der dort Einheimischen durch hinweisende Erklärungen lernen, die sie ihm geben, und er wird die Deutung dieser Erklärungen oft raten müssen, und manchmal richtig, manchmal falsch, raten.
     Und nun können wir, glaube ich, sagen: Augustinus beschreibe das Lernen der menschlichen Sprache so, als käme das Kind in ein fremdes Land und verstehe die Sprache des Landes nicht, das heißt: habe bereits eine Sprache, nur nicht diese. Oder auch: – als könne das Kind schon denken, nur noch nicht sprechen. Und ‘denken’ hieße hier etwas, wie zu sich selbst reden.
   
31.
     Wie aber, wenn man einwendete: “Es ist nicht wahr, daß Einer schon ein Sprachspiel beherrschen muß, um eine hinweisende Definition zu verstehen, sondern er muß nur – selbstverständlich – wissen (oder erraten), worauf der Erklärende
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zeigt! Ob also, z.B., auf die Form des Gegenstandes, oder auf seine Farbe, oder auf die Anzahl, etc., etc..” – Und worin besteht es denn: ‘auf die Form zeigen’, ‘auf die Farbe zeigen’, etc.? Zeige auf ein Stück Papier! – Und nun zeige auf seine Form, – nun auf seine Farbe, – nun auf ‘seine Anzahl’ (das klingt seltsam)! – Nun, wie hast du es gemacht? – Du wirst sagen, du habest jedesmal etwas anderes beim Zeigen ‘gemeint’. Und wenn ich frage, wie das vor sich geht, wirst du sagen, du habest deine Aufmerksamkeit auf Farbe, Form, etc. konzentriert. Nun aber frage ich noch einmal, wie das vor sich geht.
     Denke, jemand zeigt auf eine Vase und sagt: “Schau das herrliche Blau an! – auf die Form kommt es nicht an. –” Oder: “Schau die herrliche Form an! – die Farbe ist gleichgültig. –” Es ist zweifellos, du wirst Verschiedenes tun, wenn du diesen beiden Aufforderungen nachkommst. Aber tust du immer das Gleiche wenn du deine Aufmerksamkeit auf die Farbe richtest? Stelle dir doch verschiedene Fälle vor! Ich will einige andeuten:
     “Ist dieses Blau das gleiche, wie das? Siehst du einen Unterschied? –”
     Du mischst Farben und sagst: “Dieses Blau des Himmels ist schwer zu treffen.”
     “Es wird schön, man sieht schon wieder blauen Himmel!”
     “Schau, wie verschieden diese beiden Blau wirken!”
     “Siehst du dort das blaue Buch? Bitte bring es!”
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     “Dieses blaue Lichtsignal bedeutet ….”
     “Wie heißt nur dieses Blau? – ist es
     ‘Indigo’ –?” Die Aufmerksamkeit auf die Farbe richten heißt manchmal, sich die Umrisse der Form mit der Hand weghalten, oder den Blick nicht auf die Kontur des Dinges richten, manchmal, auf den Gegenstand starren und sich zu erinnern trachten, wo man diese Farbe schon gesehen hat.
     Man richtet seine Aufmerksamkeit auf die Form manchmal, indem man sie nachzeichnet, manchmal, indem man blinzelt, um die Farbe nicht deutlich zu sehen, etc., etc.. Ich will sagen: dies und Ähnliches geschieht während man ‘die Aufmerksamkeit auf das und das richtet’. Aber das ist es nicht allein, was uns sagen läßt, Einer richte seine Aufmerksamkeit auf die Form, auf die Farbe, etc.. Wie ‘einen Schachzug machen’ nicht allein darin liegt, daß ein Stein so und so auf dem Brett verschoben wird – aber auch nicht in den Gedanken und Gefühlen des Ziehenden, die den Zug begleiten – sondern in den Umständen, die wir nennen “eine Schachpartie spielen”, oder, “ein Schachproblem lösen”, und dergleichen.
   
31.
     Aber nimm an, Einer sagte: “Ich tue immer das Gleiche, wenn ich meine Aufmerksamkeit auf die Form richte: ich folge der Kontur mit den Augen und fühle dabei …”. Und nimm an, dieser gibt einem Andern die hinweisende Erklärung: “Das heißt ‘Kreis’”, indem er, mit allen diesen Erlebnissen, auf einen kreisförmigen Gegenstand zeigt: – kann der Andere die Erklärung nicht dennoch anders deuten, auch wenn er sieht, daß der Erklärende der Form mit den Augen folgt und
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auch wenn er fühlt, was der Erklärende fühlt? Das heißt: diese ‘Deutung’ kann auch darin bestehen, wie er nun von dem erklärten Wort Gebrauch macht, z.B., worauf er zeigt, wenn er nun den Befehl erhält, “Zeige auf einen Kreis!”. – Denn weder der Ausdruck: “die Erklärung so und so meinen”, noch der: “die Erklärung so und so deuten”, bezeichnen einen bestimmten Vorgang, der das Geben, und Hören der Erklärung begleitet.
   
32.
     Es gibt freilich, was man ‘charakteristische Erlebnisse’ für das Zeigen auf die Form (z.B.) nennen kann. Zum Beispiel, das Nachfahren der Kontur mit dem Finger, oder mit dem Blick, beim Zeigen. – Aber so wenig, wie dies in allen Fällen geschieht, in denen ich ‘die Form meine’, – so wenig geschieht irgend ein anderer charakteristischer Vorgang in allen diesen Fällen. Aber auch, wenn ein solcher sich in ihnen allen wiederholte, so käme es doch auf die Umstände an – d.h., auf das, das was vor und nach dem Zeigen geschieht – ob wir sagen würden: “Er hat auf die Form und nicht auf die Farbe gezeigt”.
     Denn es werden die Worte “auf die Form zeigen”, “die Form meinen”, etc. nicht so gebraucht, wie die: “auf das Buch zeigen”, “auf den Buchstaben ‘B’, nicht auf den Buchstaben ‘u’ zeigen”, etc..– Denn denke nur, wie anders wir den Gebrauch der Worte lernen: “auf dieses Ding zeigen”, “auf jenes Ding zeigen”, und anderseits “auf die Farbe, nicht auf die Form, zeigen”, “die Farbe meinen”, etc. etc.!
     Wie gesagt, in gewissen Fällen, besonders beim Zeigen ‘auf die Form’, oder ‘auf die Anzahl’, gibt es charakteristische
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Erlebnisse und Arten des Zeigens; – ‘charakteristisch’, weil sie sich oft, nicht immer wiederholen, wo Form, oder Anzahl, ‘gemeint’ werden: – aber kennst Du auch ein charakteristisches Erlebnis für das Zeigen auf die || Spielfigur als Spielfigur?! Und doch kann man sagen: “Ich meine: diese Spielfigur heißt ‘König’, nicht dieses bestimmte || besondere Stück Holz, worauf ich zeige”.
   
33.
     Und wir tun hier, was wir in 1000 ähnlichen Fällen tun: weil wir nicht eine körperliche Handlung angeben können, die wir das Zeigen auf die Form (im Gegensatz z.B. zur Farbe) nennen, so sagen wir, es entspreche diesen Worten eine geistige Tätigkeit.
     Wo unsere Sprache uns einen Körper vermuten läßt, und kein Körper ist, dort
,
möchten wir sagen, sei ein Geist. || dort setzt unsere Rede einen Geist. || dort sind wir geneigt, in unserer Rede einen Geist zu setzen.
   
34.
     “Was ist die Beziehung zwischen Namen und Benanntem?” – Nun, was ist sie? Schau auf das Sprachspiel (3), oder ein anderes! dort ist zu schon, worin diese Beziehung etwa besteht. Diese Beziehung kann, unter vielem andern, auch darin bestehen, daß das Hören des Namens uns das Bild des Benannten vor die Seele ruft, und sie besteht unter anderem auch darin, daß der Name auf das Benannte geschrieben ist, oder daß er beim Zeigen auf das Benannte ausgesprochen wird.
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35.
     Was benennt aber z.B. das Wort “dieses” im Sprachspiel (9), oder das Wort “das” in der hinweisenden Erklärung “Das heißt …”? Nun, wenn Du keine Verwirrung anrichten willst, so ist es am besten, Du sagst gar nicht, daß diese Wörter etwas benennen. – Und merkwürdigerweise wurde von dem Worte “dieses” einmal gesagt, es sei der eigentliche Name. Alles was wir sonst “Name” nennen, sei dies also nur in einem ungenauen, angenäherten Sinn.
     Diese seltsame Auffassung rührt von einer Tendenz her, die Logik unserer Sprache zu sublimieren – wie man es nennen könnte. Die eigentliche Antwort darauf ist: “Name” nennen wir sehr Verschiedenes; das Wort “Name” charakterisiert viele verschiedene, miteinander auf viele verschiedene Weisen verwandte, Arten des Gebrauchs eines Worts; – aber unter diesen Arten des Gebrauchs ist nicht die des Wortes “dieses”.
     Es ist wohl wahr, daß wir oft, z.B. in der hinweisenden Definition, auf das Benannte zeigen und dabei den Namen aussprechen. Und ebenso sprechen wir, z.B. in der hinweisen Definition, das Wort “dieses” aus, indem wir auf ein Ding zeigen. Und das Wort “dieses” und ein Name stehen auch oft im gleichen Satzzusammenhang: wir sagen “Hole dieses!” und auch “Hole den Paul!” – Aber einer der charakteristischsten Züge des Namens ist es gerade, daß er durch
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das hinweisende “Das ist N” (oder “Das heißt ‘N’”) erklärt wird. Erklären wir aber auch: “Das heißt ‘dieses’”, oder gar “Dieses heißt ‘dieses’”?
   
36.
     Das hängt mit der Auffassung des Benennens als eines, sozusagen, okkulten Vorgangs zusammen. Das Benennen erscheint als eine seltsame Verbindung eines Wortes mit dem Gegenstand. – Und so eine seltsame Verbindung hat wirklich statt, wenn nämlich der Philosoph, um herauszubringen, was die Beziehung zwischen Namen und Benanntem ist, auf einen Gegenstand vor sich starrt und dabei unzählige Male einen Namen wiederholt, oder auch das Wort “dieses”. Denn die philosophischen Probleme entstehen, wenn die Sprache feiert. Und da können wir uns allerdings einbilden, das Benennen sei irgendein merkwürdiger seelischer Akt, quasi eine Art Taufe eines Gegenstandes. Und wir können so auch das Wort “dieses” gleichsam zu dem Gegenstand sagen, ihm damit ansprechen; ein seltsamer Gebrauch dieses Wortes, der wohl nur beim Philosophieren vorkommt. –
   
37.
     Aber warum kommt man auf die Idee gerade dieses Wort zum Namen machen zu wollen, wo es so offenbar kein Name ist? – Gerade darum; – denn man ist versucht, gegen das, was gewöhnlich “Name” heißt, einen Einwand zu machen; und den kann man so ausdrücken: daß der Name eigentlich Einfaches bezeichnen soll. Und man könnte dies etwa so begründen: Ein Eigenname im
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1gewöhnlichen Sinn ist etwa || z.B. das Wort “Nothung”. Das Schwert Nothung besteht aus Teilen in einer bestimmten Zusammensetzung. Sind sie anders zusammengesetzt, so existiert Nothung nicht. Nun hat aber offenbar der Satz “Nothung hat eine scharfe Schneide” Sinn, ob Nothung noch ganz ist oder schon zerschlagen. Ist aber “Nothung” der Name eines Gegenstandes, so gibt es diesen Gegenstand nicht mehr, wenn Nothung zerschlagen ist; und da dem Namen dann kein Gegenstand entspräche, so hätte er keine Bedeutung. Dann aber stünde in dem Satz “Nothung hat eine scharfe Schneide” ein Wort, das keine Bedeutung hat und daher wäre der Satz Unsinn. Nun hat er aber Sinn, also muß den Wörtern, aus denen er besteht, immer etwas entsprechen. Also muß das Wort “Nothung” bei der Analyse des Sinnes verschwinden und statt seiner müssen Wörter eintreten, die Einfaches benennen. Diese Wörter werden wir billigerweise die eigentlichen Namen nennen.
   
38.
     Laß uns zuerst über den Punkt dieses Raisonnements reden: daß das Wort keine Bedeutung hat, wenn ihm nichts entspricht. – Es ist wichtig, festzustellen, daß das Wort “Bedeutung” sprachwidrig gebraucht wird, wenn man damit das Ding bezeichnet, das dem Wort ‘entspricht’. Dies heißt, die Bedeutung eines Namens verwechseln mit dem Träger des Namens. Wenn Paul stirbt, so sagt man, es sterbe der Träger des Namens, aber niemand sagt, es sterbe die Bedeutung des Namens. Und es wäre unsinnig, so zu reden, denn hörte der Name auf
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Bedeutung zu haben, so hätte es eben keinen Sinn zu sagen, “Paul ist gestorben”.
   
39.
     In (13) haben wir in die Sprache (9) Eigennamen eingeführt. Nimm nun an, das Werkzeug mit dem Namen “α” sei zerbrochen. A weiß es nicht und gibt dem B das Zeichen “α”: hat dieses Zeichen nun Bedeutung oder hat es keine? – Was soll B tun, wenn er dieses Zeichen erhält? – Wir haben darüber nichts vereinbart. Man könnte fragen: was wird er tun? Nun er wird vielleicht ratlos dastehen, oder A die Stücke zeigen. Man könnte hier sagen: “α” sei bedeutungslos geworden; und dieser Ausdruck würde besagen, daß für das Zeichen “α” in unserem Sprachspiel nun keine Verwendung mehr ist (es sei denn, wir gäben ihm eine neue). “α” könnte auch dadurch bedeutungslos werden, daß man, aus irgendeinem Grund, dem Werkzeug eine andere Bezeichnung einritzt und das Zeichen “α” im Spiel nicht weiter verwendet. – Wir können uns aber auch eine Abmachung denken, nach der B, wenn ein Werkzeug zerbrochen ist und A das Zeichen dieses Werkzeugs gibt, als Antwort darauf den Kopf zu schütteln hat. – Damit, könnte man sagen, ist der Befehl “α”, z.B., auch wenn dieses Werkzeug nicht mehr existiert, in das Sprachspiel aufgenommen worden. Und man kann jetzt sagen, das Zeichen “α” habe Bedeutung, auch wenn sein Träger zu existieren aufhört.
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40.
     Man kann für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes “Bedeutung” – wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung – dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.
     Und die Bedeutung eines Namens erklärt man manchmal dadurch, daß man auf seinen Träger zeigt.
   
41.
     “Aber haben etwa auch Namen in jenem Spiel Bedeutung, die nie für ein Werkzeug verwendet worden sind?” Nehmen wir also an, “X” sei so ein Zeichen und A gäbe dieses Zeichen dem B. – Nun, es könnten auch solche Zeichen in das Sprachspiel eingereiht werden, und B hätte etwa auch sie mit einem Kopfschütteln zu beantworten. Man könnte sich dies als eine Art Belustigung der Beiden denken.
   
42.
     Wir sagten: der Satz, “Nothung” hat eine scharfe Schneide”, habe Sinn, auch wenn Nothung schon zerschlagen ist. Nun, das ist so, weil in diesem Sprachspiel ein Name auch in der Abwesenheit seines Trägers gebraucht wird. Aber wir können uns ein Sprachspiel mit Namen denken (d.h. mit Zeichen, die wir gewiß auch “Namen” nennen werden) in welchem Namen nur in der Anwesenheit des Trägers gebraucht werden. Nimm etwa an, wir beobachteten eine Fläche, auf der sich Farbflecken bewegen (wie auf der Leinwand im Kino). Es sind drei solche Flecken, die langsam ihre Gestalt und Lage verändern.
31.
Ich hätte sie durch hinweisende Erklärung “P”, “Q“, und “R” benannt. Unsere Sprache beschreibt die Veränderungen dieser drei und ich sage Dir Sätze wie: “Siehst Du, wie sich nun P zusammenzieht und sich R nähert?” – In dieser Sprache nun sollen diese Namen als Synonyme gebraucht werden für das || hinweisende Fürwort “dieses” zusammen mit dem Zeigen auf einen Farbfleck. Verschwindet also einer der drei Flecke, so darf ich nicht sagen “P ist verschwunden“– wie ich auch nicht sagen würde “dieses ist verschwunden”, – sondern wir sagen etwa: “Der Buchstabe ‘P’ scheidet aus dem Gebrauch”.
     In dieser Sprache, kann man sagen, verliert der Name seine Bedeutung, wenn der Träger aufhört zu existieren und den Wörtern “P”, “Q“ und “R” entspricht immer etwas, so lange sie überhaupt Bedeutung – Verwendung im Sprachspiel haben. (Denn im Satz “‘P’ scheidet aus” kommt das Zeichen “‘P’” vor, aber nicht “P”; und ich nehme an, daß man über vergangene Vorgänge nicht redet, oder dafür eine andere Ausdrucksweise hat.) In diesem Sprachspiel kann also der Name nicht trägerlos werden; nur ist dies kein Vorzug des Sprachspiels, denn ein Name kann eben auch trägerlos Zweck, Verwendung, d.h., Bedeutung haben. (Und so hat, z.B., der Name “Odysseus” Bedeutung.)
   
42.
     Unser Sprachspiel kann uns aber, glaube ich, einen Grund zeigen, warum man das hinweisende Fürwort kann zum Namen machen wollen: Denn das hinweisende “dieses” kann nie trägerlos werden. Man könnte
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sagen: “So lange es ein Dieses gibt, so lange hat das Wort ‘dieses’ auch Bedeutung, ob dieses nun einfach oder zusammengesetzt ist. || – Aber das macht es eben nicht zu einem Namen. Im Gegenteil, – denn ein Name wird nicht mit der hinweisenden Geste verwendet, sondern nur durch sie erklärt.
   
43.
     Was hat es nun für eine Bewandtnis damit, daß Namen eigentlich das Einfache bezeichnen? –
     Sokrates (im Theätet): “Täusche ich mich nämlich nicht, so habe ich von etlichen gehört: für die Urelemente – um mich so auszudrücken – aus denen wir und alles übrige zusammengesetzt sind, gebe es keine Erklärung; denn alles was an und für sich ist, könne man nur mit Namen bezeichnen, eine andere Bestimmung sei nicht möglich, weder die, es sei, noch die, es sei nicht. …. Was aber an und für sich ist, müsse man … ohne alle anderen Bestimmungen benennen. Somit aber sei es unmöglich, von irgendeinem Urelement erklärungsweise zu reden; denn für dieses gebe es nichts als die bloße Benennung; es habe ja nur seinen Namen. Wie aber daraus, was aus diesen Urelementen sich zusammensetze, selbst ein verflochtenes Gebilde sei, so seien auch seine Benennungen in dieser Verflechtung zur erklärenden Rede geworden; denn deren Wesen sei die Verflechtung von Namen.”
34.

     Diese Urelemente waren auch Russells ‘individuals’ und auch meine ‘Gegenstände’ (Log. Phil. Abh.).
   
44.
     Aber welches sind die einfachen Bestandteile, aus denen sich die Realität zusammensetzt? – Was sind die einfachen Bestandteile eines Sessels? – Die Stücke Holz, aus denen er zusammengefügt ist? Oder die Moleküle, oder die Elektronen? “Einfach heißt: nicht zusammengesetzt. Und da kommt es darauf an: in welchem Sinne ‘zusammengesetzt’? Es hat gar keinen Sinn von den ‘einfachen Bestandteilen des Sessels, schlechtweg’ zu reden. Oder: Besteht mein Gesichtsbild dieses Baumes, dieses Sessels, aus Teilen? und welches sind seine einfachen Bestandteile? Mehrfarbigkeit ist eine Art der Zusammengesetztheit; eine andere ist, z.B., die dieser gebrochenen Kontur aus geraden Stücken. Und dieses Kurvenstück kann man zusammengesetzt nennen aus einem aufsteigenden und einem absteigenden Ast.
     Wenn ich jemandem ohne weitere Erklärung sage, “Was ich jetzt vor mir sehe, ist zusammengesetzt”, so wird er mit Recht fragen: “Was meinst Du mit ‘zusammengesetzt’? Das kann ja alles Mögliche heißen!” Die Frage, “Ist, was Du siehst, zusammengesetzt?”, hat wohl Sinn, wenn bereits feststeht, um welche Art der Zusammengesetztheit – d.h., um welchen besonderen Gebrauch dieses Wortes – es sich handeln soll. Wäre also z.B. festgelegt worden, das Gesichtsbild eines Baumes solle “zusammengesetzt” heißen, wenn man nicht nur einen Stamm, sondern auch Äste sieht, so hätte nun die Frage, “Ist das Gesichtsbild dieses Baumes einfach
35.
oder zusammengesetzt” und die Frage “Welches sind seine einfachen Bestandteile” einen klaren Sinn – eine klare Verwendung. Und auf die zweite Frage ist die Antwort natürlich nicht “Die Äste” (dies wäre eine Antwort auf die grammatische Frage: “Was nennt man hier die ‘einfachen Bestandteile’?”) sondern etwa eine Beschreibung der einzelnen Äste.
   
45.
     Aber ist z.B. nicht ein Schachbrett offenbar, und schlechtweg, zusammengesetzt? – Du denkst wohl an die Zusammensetzung aus 32 weißen und 32 schwarzen Quadraten; – aber könntest Du z.B. nicht auch sagen, es sei aus den Farben Weiß, Schwarz und dem Schema des Quadratnetzes zusammengesetzt? Und wenn es hier ganz verschiedene Betrachtungsweisen gibt, willst Du dann noch sagen, das Schachbrett sei ‘zusammengesetzt’ schlechtweg? – Der Fehler, wenn man außerhalb eines bestimmten Spiels fragt “Ist dieser Gegenstand zusammengesetzt?” ist ähnlich dem, welchen einmal ein kleiner Junge gemacht hat, der angeben sollte, ob das Zeitwort in den und den Satzbeispielen in der aktiven oder in der passiven Form gebraucht sei, und der nun nachdachte, ob z.B. das Zeitwort “schlafen” etwas Aktives oder etwas Passives bedeute.
     Das Wort “zusammengesetzt” (und also das Wort “einfach”) wird von uns in einer Unzahl verschiedener, in verschiedenen Weisen miteinander verwandten Arten benützt. (Ist die Farbe dieses Schachfeldes einfach, oder besteht sie aus reinem Weiß und reinem Gelb? Und ist das Weiß einfach, oder besteht es aus den Farben des Regenbogens? – Ist diese Strecke von 2 cm einfach, oder
36.
besteht sie aus zwei Teilstrecken von je 1 cm? Aber warum nicht aus einem Stück von 3 cm Länge und einem in negativem Sinn angesetzten Stück von 1 cm?!)
   
46.
     Auf die philosophische Frage: “Ist das Gesichtsbild dieses Baumes zusammengesetzt, und welches sind seine Bestandteile?” ist die richtige Antwort: “Das kommt drauf an, was Du unter ‘zusammengesetzt’ verstehst.” (Und das ist natürlich keine Beantwortung, sondern eine Zurückweisung der Frage.)
   
47.
     Laß uns die Methode des Kapitels (3) auf die Darstellung im Theätet anwenden: Betrachten wir ein Sprachspiel, für das diese Darstellung wirklich gilt. Die Sprache diene dazu Kombinationen farbiger Flecken auf einer Fläche darzustellen. Die Flecken sind Quadrate und bilden einen schachbrettförmigen Komplex. Es gibt rote, grüne, weiße und schwarze Quadrate. Die Wörter der Sprache seien (entsprechend): “r”, “g“, “s”, “w”, || “w”, “s”, und ein Satz ist eine Reihe dieser Wörter. Sie beschreiben eine Zusammenstellung von Farbquadraten in der Reihenfolge
     
12
34
oder
123
456
789
etc. Der Satz “pr r s g g g r w w” beschreibt also z.B. eine Zusammensetzung dieser Art:
rrs
ggg
rww

Hier ist der Satz ein Komplex von Namen, dem ein
37.
Komplex von Elementen entspricht. Die Urelemente sind die färbigen Quadrate “aber sind diese einfach?” – Ich wüßte nicht, was ich in diesem Sprachspiel natürlicher das “Einfache” nennen sollte. Unter anderen Umständen aber würde ich ein einfärbiges Quadrat “zusammengesetzt” nennen, etwa aus zwei Rechtecken, oder aus den Elementen der Farbe und Form. Aber der Begriff der Zusammensetzung könnte auch so gedehnt werden, daß die kleinere Fläche,’ zusammengesetzt! genannt wird aus einer größeren und einer von ihr subtrahierten. Vergleiche ‘Zusammensetzung’ der Kräfte, ‘Teilung’ einer Strecke durch einen Punkt außerhalb; diese Ausdrücke zeigen, daß wir unter Umständen auch geneigt sind, das Kleinere als Resultat der ‘Zusammensetzung’ von Größerem aufzufassen und das Größere als ein Resultat der Teilung des Kleineren.
     Aber ich weiß nicht, ob ich nun sagen soll, die Figur, die unser Satz beschreibt, bestehe aus vier Elementen, oder aus neun! Nun, besteht jener Satz aus vier Buchstaben oder aus neun? – Und welches sind seine Elemente: die Buchstabentypen, oder die Buchstaben? Ist es nicht ganz gleichgültig, welches wir sagen, wenn wir nur im besonderen Fall Mißverständnisse vermeiden!
   
48.
     Was heißt es aber, daß wir diese Elemente nicht erklären – d.h. beschreiben – sondern nur benennen können? Das könnte etwa sagen, daß die Beschreibung eines Komplexes, wenn er, in einem Grenzfall, nur aus einem Quadrat besteht, einfach der
38.
Name des Farbquadrates ist.
     Man könnte hier sagen – obwohl dies leicht zu allerlei philosophischem Aberglauben führt – ein Zeichen “r”, oder “s”, etc., könne einmal Wort, und einmal Satz sein. Ob es aber ‘Wort oder Satz ist’, hängt von der Situation ab, in der es ausgesprochen oder geschrieben wird. Hat z.B. A dem B Komplexe von Farbquadraten zu beschreiben und gebraucht er hier das Wort “r” allein, so werden wir sagen können, das Wort sei hier eine Beschreibung – ein Satz. Memoriert er aber, etwa, die Wörter und ihre Bedeutungen, oder lehrt er einem Andern den Gebrauch der Wörter und spricht sie beim hinweisenden Lehren aus, so werden wir nicht sagen, sie seien hier Sätze. In dieser Situation ist das Wort r “r”, z.B. keine Beschreibung, man benennt damit ein Element; – aber darum wäre es hier seltsam zu sagen, das Element könne man nur benennen! Benennen und Beschreiben stehen ja nicht auf einer Ebene: Das Benennen ist eine Vorbereitung zur Beschreibung. Das Benennen ist noch gar kein Zug im Sprachspiel, – so wenig, wie das Aufstellen einer Schachfigur ein Zug im Schachspiel. Man kann sagen: Mit dem Benennen eines Dings ist noch nichts getan. Es hat auch keinen Namen, – außer im Spiel. Das war es auch, was Frege damit meinte: ein Wort habe nur im Satzzusammenhang Bedeutung.
   
49.
     Was heißt es nun; von den Elementen zu sagen, daß wir ihnen weder Sein noch Nichtsein beilegen können? – Man könnte so sagen: Wenn alles, was wir “Sein” und “Nichtsein” nennen, im Bestehen und Nichtbestehen von
39.
Verbindungen zwischen den Elementen liegt, dann hat es keinen Sinn vom Sein (Nichtsein) eines Elements zu sprechen; so wie, wenn alles, was wir “zerstören” nennen, in der Trennung von Elementen liegt, es keinen Sinn hat, vom Zerstören eines Elements zu reden.
     Aber man möchte sagen: man kann dem Element nicht Sein beilegen, denn wäre es nicht, so könnte man es auch nicht einmal nennen und also garnichts von ihm aussagen. – Betrachten wir doch einen analogen Fall, der die Sache klarer machen wird: Man kann von einem Ding nicht aussagen, es sei 1 m lang, noch, es sei nicht 1 m lang, und das ist das Urmeter in Paris. – Damit haben wir aber diesem natürlich nicht irgend eine merkwürdige Eigenschaft zugeschrieben, sondern nur seine eigenartige Rolle im Spiel des Messens mit dem Metermaß gekennzeichnet. – Denken wir uns auf ähnliche Weise wie das Urmeter auch die Muster von Farben in Paris aufbewahrt. So erklären wir: “Sepia” heiße die Farbe des dort unter Luftabschluß aufbewahrtem Ur-Sepia. Dann wird es keinen Sinn haben, von diesem Muster auszusagen, es habe diese Farbe, noch, zu sagen, es habe sie nicht.
     Wir können das so ausdrücken: Dieses Muster ist ein Teil der Sprache, mit der wir Farbaussagen machen. Es ist in diesem Spiel nicht Dargestelltes, sondern Mittel der Darstellung. – Und eben das gilt von einem Element im Sprachspiel (47), wenn wir, es benennend, das Wort “R” aussprechen: wir haben damit diesem Ding eine Rolle in unserm Sprachspiel
40.
gegeben, es ist nun Mittel der Darstellung. Und || die Aussage, wäre es nicht, so könnte es keinen Namen haben, || ”, sagt nun so viel, und so wenig, wie: gebe es dieses Ding nicht, so könnten wir es in unserem Spiel nicht verwenden. – Was es, scheinbar, geben muß, gehört zur Sprache. Es spielt in unserem Spiel die Rolle des Paradigmas; dessen, womit verglichen wird. Und dies feststellen, kann heißen, eine wichtige Feststellung machen! Aber es ist dennoch eine Feststellung unser Sprachspiel – unsere Darstellungsweise – betreffend.
   
50.
     In der Beschreibung des Sprachspiels (47) sagte ich, den Farben der Quadrate entsprächen die Wörter “r”, “b“, etc.. Worin aber besteht diese Entsprechung; inwiefern kann man sagen, diesen Zeichen entsprächen gewisse Farben der Quadrate? Die Erklärung in (47) stellte ja nur einen Zusammenhang zwischen diesen Zeichen und gewissen Wörtern unserer Sprache her (den Farbnamen). – Nun, es war vorausgesetzt, daß der Gebrauch der Zeichen im Spiel anders und zwar durch Hinweisen auf Paradigmen, gelehrt würde. Wohl, – aber was heißt es nun, zu sagen, in der Praxis der Sprache entsprächen den Zeichen gewisse Elemente? – Liegt es darin, daß der, welcher die Komplexe von Farbquadraten beschreibt, dabei immer “r” sagt, wo ein rotes Quadrat steht; “s”, wo ein schwarzes steht, etc.? Aber wie, wenn er sich bei der Beschreibung irrt, und, fälschlich, “r” sagt, wo ein schwarzes Quadrat steht; was ist hier das Kriterium dafür, daß dies ein Fehler war? – Oder besteht, daß “r” ein rotes Quadrat bezeichnet,
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darin, daß den Menschen, die die Sprache gebrauchen, immer ein rotes Quadrat im Geist vorschwebt, wenn sie das Zeichen “r” gebrauchen?
     Um klarer zu sehen, müssen wir hier, wie in unzähligen ähnlichen Fällen, die Einzelheiten der Vorgänge ins Auge fassen, was vorgeht aus der Nähe betrachten.
     Wenn ich dazu neige anzunehmen, daß eine Maus durch Urzeugung aus grauen Fetzen und Staub entsteht, so wird es gut sein, diese Fetzen genau daraufhin zu untersuchen, wie eine Maus sich in ihnen verstecken konnte, wie sie dort hinkommen konnte, etc.. Bin ich aber überzeugt, daß eine Maus aus diesen Dingen nicht entstehen kann, dann wird diese Untersuchung vielleicht überflüssig sein.
     Was es aber ist, das sich in der Philosophie einer solchen Betrachtung der Einzelheiten entgegensetzt, müssen wir noch verstehen lernen. –
   
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     Es gibt nun verschiedene Möglichkeiten für unser Sprachspiel (47), verschiedene Fälle, in denen wir sagen würden, ein Zeichen, benenne in dem Spiel ein Quadrat von der und der Farbe. Wir würden dies z.B. sagen, wenn wir wüßten, daß den Menschen, die diese Sprache gebrauchen, der Gebrauch der Zeichen auf die und die Art beigebracht werde. Oder, wenn es schriftlich, etwa in Form einer Tabelle, niedergelegt wäre, daß diesem Zeichen dieses Element entspricht und wenn diese Tabelle beim Lehren der Sprache benützt und in gewissen Streitfällen zur Entscheidung herangezogen würde. –
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Wir können uns aber auch denken, daß eine solche Tabelle ein Werkzeug im Gebrauch der Sprache ist. Die Beschreibung eines Komplexes geht dann so vor sich: der den Komplex beschreibt, führt eine Tabelle mit sich und sucht in ihr jedes Element des Komplexes auf und geht von ihm in der Tabelle zum Zeichen über (und es kann auch der, dem die Beschreibung gegeben wird, die Worte derselben durch eine Tabelle in die Anschauung von färbigen Quadraten übersetzen.) Man könnte sagen, diese Tabelle übernehme hier die Rolle, die in anderen Fällen Gedächtnis und Assoziation spielen. (Wir werden den Befehl, “Bring mir eine rote Blume!”, für gewöhnlich nicht so ausführen, daß wir die Farbe Rot in einer Farbentabelle nachschlagen und dann eine Blume bringen von der Farbe, die wir in der Tabelle finden; aber wenn es sich darum handelt, einen bestimmten Ton von Rot zu wählen, oder zu mischen, dann geschieht es, daß wir uns eines Musters oder einer Tabelle bedienen.)
     Nennen wir eine solche Tabelle den Ausdruck einer Regel des Sprachspiels, so kann man sagen, daß dem, was wir Regel eines Sprachspiels nennen, sehr verschiedene Rollen im Spiel zukommen können.
   
52.
     Denken wir doch daran, in was für Fällen wir sagen, ein Spiel werde nach einer bestimmten Regel gespielt!
     Die Regel kann ein Behelf des Unterrichts im Spiel sein. Sie wird dem Lernenden mitgeteilt und ihre Anwendung eingeübt. – Oder sie ist ein Werkzeug des Spieles selbst. – Oder: Eine Regel findet weder
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im Unterricht noch im Spiel selbst Verwendung; noch ist sie in einem Regelverzeichnis niedergelegt. Man lernt das Spiel, indem man zusieht, wie Andere es spielen. Aber wir sagen, es werde nach den und den Regeln gespielt, weil ein Beobachter sie || diese Regel aus der Praxis des Spiels ablesen kann, wie ein Naturgesetz, dem die Spielhandlungen folgen. – Wie aber unterscheidet der Beobachter in diesem Fall zwischen einem Fehler der Spielenden und einer richtigen Spielhandlung? – Es gibt dafür Merkmale im Benehmen der Spieler. Denke daran, wie man sich korrigiert, wenn man sich versprochen hat. || Denke an das charakteristische Benehmen dessen, der ein Versprechen korrigiert. Es wäre möglich zu erkennen, daß Einer dies tut, auch wenn wir seine Sprache nicht verstehen.
   
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     “Was die Namen der Sprache bezeichnen, muß unzerstörbar sein || . Denn man muß den Zustand beschreiben können, in dem alles, was zerstörbar ist, zerstört ist. Und in dieser Beschreibung wird es Wörter geben; und was ihnen entspricht, darf dann nicht zerstört sein, denn sonst hätten die Wörter keine Bedeutung.” Ich darf mir nicht den Ast absägen, auf welchem ich sitze.
     Man könnte nun freilich gleich einwenden, daß ja die Beschreibung selbst sich von der Zerstörung ausnehmen müsse. – Aber das, was den Wörtern der Beschreibung entspricht und also nicht zerstört sein darf, wenn sie wahr ist, ist, was den Wörtern ihre Bedeutung gibt, ohne dem sie keine Bedeutung hätten. – Aber dieser Mensch ist ja doch in einem Sinne das, was
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seinem Namen entspricht. Er aber ist zerstörbar; und sein Name verliert seine Bedeutung nicht, wenn der Träger zerstört wird. – Das, was dem Namen entspricht, und ohne dem er keine Bedeutung hätte, ist – z.B. – ein Paradigma, das im Sprachspiel in Verbindung mit dem Namen gebraucht wird.
   
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     Aber wie, wenn kein solches Muster zur Sprache gehört, wenn wir uns, z.B., die Farbe, die ein Wort bezeichnet, merken? “Und wenn wir sie uns merken, so tritt sie also vor unser geistiges Auge, wenn wir etwa das Wort aussprechen. Sie muß also an sich unzerstörbar sein, wenn die Möglichkeit bestehen soll, daß wir uns jederzeit an sie erinnern.”
     Aber was sehen wir denn als das Kriterium dafür an, daß wir uns richtig an sie erinnern? – Wenn wir mit einem Muster statt mit unserm Gedächtnis arbeiten, so sagen wir unter Umständen, das Muster habe seine Farbe verändert und beurteilen dies mit dem Gedächtnis. Aber können wir nicht unter Umständen auch von einem Nachdunkeln – z.B. – unseres Erinnerungsbildes reden? Sind wir dem Gedächtnis nicht ebenso ausgeliefert wie einem Muster? (Denn es könnte Einer sagen wollen: “Wenn wir kein Gedächtnis hätten, wären wir einem Muster ausgeliefert.”) Oder etwa einer chemischen Reaktion: Denke, Du solltest eine bestimmte Farbe malen, ihr Name ist “F”, und es ist die Farbe, welche man sieht, wenn der Stoff S sich mit dem Stoff T unter den und den Umständen verbindet. – Nimm an, die Farbe käme Dir an einem Tag heller vor als an einem andern; würdest Du
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da nicht unter Umständen sagen: “Ich muß mich irren, die Farbe ist gewiß die gleiche wie gestern”? Das zeigt, daß wir uns dessen, was das Gedächtnis sagt, nicht immer als des obersten, inappellablen, Schiedsspruchs bedienen.
   
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     “Etwas Rotes kann zerstört werden, aber Rot kann nicht zerstört werden, und darum ist die Bedeutung des Wortes ‘rot’ von der Existenz eines roten Dinges unabhängig.” Gewiß, es hat keinen Sinn zu sagen, die Farbe Rot (color, nicht pigmentum) werde zerrissen, oder zerstampft. Aber sagen wir nicht, “die Röte verschwindet”? und klammre Dich nicht daran, daß wir sie uns vors geistige Auge rufen können, auch wenn es nichts Rotes mehr gibt! Dies ist nicht anders, als wolltest Du sagen, daß es dann immer noch eine chemische Reaktion gäbe, die eine rote Flamme erzeugt. – Denn wie, wenn Du Dich nicht mehr an die Farbe erinnern kannst? – Wenn wir vergessen, welche Farbe es ist, die diesen Namen hat, so verliert er seine Bedeutung für uns; d.h., wir können ein bestimmtes Sprachspiel nicht mehr mit ihm spielen. Und die Situation ist dann der zu vergleichen, daß das Paradigma, welches ein Mittel unserer Sprache war, verloren gegangen ist.
   
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     “Ich will ‘Name’ nur das nennen, was nicht in der Verbindung ‘X existiert’ stehen kann. – Und so kann man nicht sagen ‘Rot’ existiert’, weil, wenn es Rot nicht gäbe, von ihm überhaupt nicht geredet werden könnte.” Richtiger: Wenn “X existiert” so viel besagen soll, wie: “X” habe Bedeutung, dann ist es kein
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Satz, der von X handelt, sondern ein Satz über unsern Sprachgebrauch, nämlich den Gebrauch des Wortes “X”.
     Es erscheint uns, als sagten wir damit etwas über die Natur von Rot: daß die Worte “Rot existiert” keinen Sinn ergeben. Es existiere eben ‘an und für sich’. Die gleiche Idee, – daß dies eine metaphysische Aussage über Rot ist, – drückt sich auch darin aus, daß wir etwa sagen, Rot sei zeitlos und vielleicht noch stärker im Wort “unzerstörbar”.
     Aber eigentlich wollen wir eben nur “Rot existiert” auffassen, als Aussage: Das Wort “Rot” hat Bedeutung. Oder vielleicht || richtiger: “Rot existiert nicht”, als “‘Rot’ hat keine Bedeutung”. Nur wollen wir nicht sagen, daß jener Ausdruck das sagt, sondern daß er das sagen müßte, wenn er einen Sinn hätte. Daß er sich aber beim Versuch, das zu sagen, selbst widerspricht – da eben Rot ‘an und für sich’ sei. Während ein Widerspruch nur etwa darin liegt, daß der Satz aussieht, als rede er von der Farbe, während er etwas über den Gebrauch des Wortes “rot” sagen soll. – In Wirklichkeit aber sagen wir sehr wohl, eine bestimmte Farbe existiere; und das heißt¤ soviel wie: es existierte etwas, was diese Farbe hat. Und der erste Ausdruck ist nicht weniger exakt als der zweite; besonders dort nicht, wo ‘das, wie die Farbe hat’ kein physikalischer Gegenstand ist.
   
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     “Namen bezeichnen nur das, was Element der Wirklichkeit ist. Was sich nicht zerstören läßt, was in allem Wandel gleichbleibt.” Aber was ist das? – Während wir den Satz sagten, schwebte es uns ja schon vor! Wir sprachen schon eine ganz bestimmte Vorstellung aus. Ein bestimmtes Bild, das wir verwenden wollen. Denn die Erfahrung zeigt uns diese Elemente ja nicht. Wir sehen Bestandteile von etwas Zusammengesetzten (eines Sessels z.B.). Wir sagen, die Lehne ist ein
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Teil des Sessels, aber selbst wieder zusammengesetzt aus verschiedenen Hölzern; während ein Fuß ein einfacher Bestandteil ist. Wir sehen auch ein Ganzes, was sich ändert (zerstört wird) während seine Bestandteile unverändert bleiben. Dies sind die Materialien, aus denen wir jenes Bild der Wirklichkeit anfertigen.
   
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     Wenn ich nun sage: “Mein Besen steht in der Ecke”, ist dies eigentlich eine Aussage über den Besenstiel und die Bürste? Jedenfalls könnte man doch die Aussage ersetzen durch eine, die die Lage des Stiels und die Lage der Bürste angibt. Und diese Aussage ist doch nun eine weiter analysierte Form der ersten. – Warum aber nenne ich sie “weiter analysiert”? – Nun, wenn der Besen sich dort befindet, so heißt das doch, es müssen Stiel und Bürste dort sein und in bestimmter Lage zu einander; und dies war früher gleichsam im Sinn des Satzes verborgen und im analysierten Satz ist es ausgesprochen. Also meint der, der sagt, der Besen stehe in der Ecke, eigentlich, der Stiel sei dort und die Bürste und der Stiel stecke in der Bürste? Wenn wir jemand fragten, ob er das meint, würde er wohl sagen, daß er gar nicht an den Besenstiel besonders, oder an die Bürste besonders, gedacht habe. Und das wäre die richtige Antwort, denn er wollte weder vom Besenstiel noch von der Bürste, besonders, reden. Denke, Du sagtest jemandem, statt “Bring mir den Besen”: “Bring mir den Besenstiel und die Bürste, die an ihm steckt!” Ist die Antwort darauf nicht, || : “Willst Du den Besen haben? Und warum drückst Du das so unsinnig aus?” – Wird er den weiter analysierten Satz also besser verstehen? – Dieser Satz – könnte man sagen – leistet dasselbe, wie der gewöhnliche, aber auf einem umständlicheren Wege. – Denk Dir ein Sprachspiel, in den jemandem Befehle gegeben werden, gewisse aus mehreren Teilen zusammengesetzte Dinge zu bringen, zu bewegen, oder dergleichen. Und zwei Arten es zu spielen: in der einen a) haben die zusammengesetzten Dinge (Besen, Stühle,
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Tische, etc.) Namen, wie in (13); in der anderen b) erhalten nur die Teile Namen und das Ganze wird mit ihrer Hilfe beschrieben. – Inwiefern ist denn ein Befehl des zweiten eine analysierte Form eines Befehls des ersten? Steckt denn jener in diesem und wird nun durch Analyse herausgeholt? – Ja, der Besen wird zerlegt, wenn man Stiel und Bürste trennt; aber besteht darum auch der Befehl, den Besen zu bringen aus entsprechenden Teilen?
   
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     “Aber Du wirst doch nicht leugnen, daß ein bestimmter Befehl in (a) das Gleiche sagt, wie einer in (b); und wie willst Du denn den zweiten nennen, wenn nicht eine analysierte Form des ersten.” – Freilich, ich würde auch sagen, ein Befehl in (a) habe den gleichen Sinn, wie einer in (b); oder, wie ich es früher ausgedrückt habe: sie leisten dasselbe. Und das heißt: Wenn mir etwa ein Befehl in (a) gezeigt und die Frage gestellt würde, “Welchen Befehl in (b) ist dieser gleichsinnig?”, oder auch, “Welchen Befehlen in (b) widerspricht er?”, so werde ich die Frage so und so beantworten. Aber damit ist nicht gesagt, daß wir uns über die Verwendung des Ausdrucks “den gleichen Sinn haben”, oder “dasselbe leisten” im Allgemeinen verständigt haben. Man kann nämlich fragen: in welchem Fall sagen wir: “das sind nur zwei verschiedene Formen desselben Spiels”?
   
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     Denke etwa, der, dem die Befehle (a) und (b) gegeben werden, habe in einer Tabelle, die || welche Namen Bildern zuordnet, nachzusehen, ehe er das Verlangte bringt: Tut er nun dasselbe, wenn er einen Befehl in (a) und den entsprechenden in (b) ausführt? – Ja und nein. Du kannst sagen: “Der Witz der beiden Befehle ist der gleiche”. Ich würde hier dasselbe sagen. Aber es ist nicht überall klar, was man den ‘Witz’ des Befehls nennen soll! (Ebenso kann man von gewissen Dingen sagen: ihr Zweck ist das und das. Das Wesentliche ist, daß das eine Lampe ist, zur Beleuchtung
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dient, – daß sie das Zimmer schmückt, einen leeren Raum füllt, etc., ist nicht wesentlich. Aber nicht immer sind wesentlich und unwesentlich klar getrennt.)
   
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     Der Ausdruck aber, ein Satz in (b) sei eine ‘analysierte’ Form eines in (a) verführt uns leicht dazu, zu meinen, jene Form sei die fundamentalere; sie zeige erst, was mit der andern, gemeint sein, etc.. Wir denken etwa: Wer nur die unanalysierte Form besitzt, dem geht die Analyse ab; wer aber die analysierte Form kennt, der besitze damit alles. – Aber kann ich nicht sagen, daß diesem ein Aspekt der Sache verloren geht, so wie jenem?
     Denken wir uns das Spiel (47) dahin abgeändert, daß in ihm Namen nicht einfärbige Quadrate bezeichnen, sondern Rechtecke, die aus je zwei solchen Quadraten bestehen. Ein solches Rechteck der Form halb rot, halb grün heiße “u”, eines halb grün halb weiß “v” und eines halb weiß halb schwarz “w“. Könnten wir uns nicht Menschen denken, die für solche Farbenkombinationen Namen hätten, aber nicht für die einzelnen Farben? Denk an die Fälle, wenn wir sagen: “diese Farbenzusammenstellung (z.B. die Trikolore) hat einen ganz besonderen Charakter.
     Inwiefern sind die Zeichen dieses Sprachspiels einer Analyse bedürftig? Ja, inwieweit kann das Spiel durch (47) ersetzt werden? – Es ist eben ein anderes Sprachspiel; wenn auch mit (47) verwandt.
   
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     Hier stoßen wir auf die große Frage, die hinter allen diesen Betrachtungen steht: Denn man könnte mir nun einwenden: “Du machst Dir's leicht! Du redest von allen möglichen Sprachspielen, hast aber nirgends gesagt, was denn das Wesentliche des Sprachspiels, und d.h. der Sprache, ist.
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Was allen diesen Vorgängen gemeinsam ist und sie zur Sprache, oder zu Teilen der Sprache macht. Du schenkst Dir also gerade den Teil der Untersuchung, der Dir selbst seinerzeit das meiste Kopfzerbrechen gemacht hat, nämlich den, die allgemeine Form des Satzes und der Sprache betreffend.”
     Und das ist wahr. – Statt etwas anzugeben, was allem, was wir Sprache nennen, gemeinsam ist, sage ich, es ist diesen Erscheinungen gar nicht Eines gemeinsam, weswegen wir für alle das gleiche Wort verwenden, – sondern sie sind miteinander in vielen verschiedenen Weisen verwandt. Und dieser Verwandtschaft, oder diesen Verwandtschaften, wegen nennen wir sie alle “Sprachen”. Ich will versuchen, dies zu erklären.
   
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     Betrachte z.B. einmal die Vorgänge, die wir “Spiele” nennen. Ich meine Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiele, Kampfspiele u.s.w.. Was ist allen diesen gemeinsam? – Sag' nicht, “es muß ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht ‘Spiele’”; sondern schau ob ihnen allen etwas gemeinsam ist. – Denn wenn Du sie anschaust, wirst Du zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam wäre, aber Du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften, sehen, und zwar eine ganze Reihe. Wie gesagt: Denk nicht, sondern schau! – Schau z.B. die Brettspiele an, mit ihren mannigfachen Verwandtschaften. Nun geh zu den Kartenspielen über; hier findest Du viele Entsprechungen zu jener ersten Klasse, aber viele gemeinsame Züge verschwinden, andere treten auf. Wenn Du nun zu den Beispielen übergehst, so bleibt manches Gemeinsame erhalten, aber vieles geht verloren. – Sind sie alle ‘unterhaltend’? Vergleiche Schach mit dem Mühlfahren. Oder gibt es überall ein Gewinnen und Verlieren, oder die Konkurrenz von Spielenden? Denke an die Patiencen. In dem Ballspiel gewinnt || den Ballspielen gibt es Gewinnen und Verlieren, aber wenn ein Kind den Ball an die Wand wirft und wieder auffängt, so ist dieser
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Zug verschwunden. Schau, welche Rolle Geschick- und Glück spielen. Und wie verschieden ist Geschick im Schachspiel, und Geschick im Tennisspiel. Denk nun an die Reigenspiele: Hier ist das Element der Unterhaltung, aber wie viele der anderen Charakterzüge sind verschwunden! Und so können wir durch die vielen, vielen anderen Gruppen von Spielen gehen. Ähnlichkeiten auftauchen und verschwinden sehen.
     Und das Ergebnis dieser Betrachtung lautet nun: Wir sehen ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen. Ähnlichkeiten im Großen und Kleinen.
   
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     Ich kann diese Ähnlichkeiten nicht besser charakterisieren, als durch das Wort “Familienähnlichkeiten”; denn so übergreifen und kreuzen sich die verschiedenen Ähnlichkeiten, die zwischen den Gliedern einer Familie bestehen: Wuchs, Gesichtszüge, Augenfarbe, Gang, Temperament, etc. etc..– Und ich werde sagen: die ‘Spiele’ bilden eine Familie.
     Und ebenso bilden z.B. die Zahlenarten eine Familie. Warum benennen || nennen wir etwas “Zahl”? Nun etwa, weil es eine – direkte – Verwandtschaft mit manchem hat, was man bisher Zahl genannt hat; und dadurch, kann man sagen, erhält es eine indirekte Verwandtschaft zu anderem, was wir auch so nennen. Und wir dehnen unseren Begriff der Zahl aus, wie wir beim Spinnen eines Fadens Faser an Faser drehen. Und die Stärke des Fadens liegt nicht darin, daß eine Faser durch seine ganze Länge läuft, sondern darin, daß viele Fasern sich übergreifen.
     Wenn aber Einer sagen wollte: “Also ist allen diesen Gebilden etwas gemeinsam; nämlich die Disjunktion aller dieser Gemeinsamkeiten”, so würde ich antworten: Hier spielst Du nur mit einem Wort. Ebenso könnte man sagen: es läuft Etwas durch den ganzen Faden, nämlich das lückenlose Übergreifen dieser Fasern.
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     “Gut; so ist also der Begriff der Zahl für Dich erklärt als die logische Summe jener einzelnen miteinander verwandten Begriffe: Kardinalzahl, Rationalzahl, Reelle Zahl, etc.; und gleicherweise der Begriff des Spiels als logische Summe entsprechender Teilbegriffe.” – Dies muß nicht sein. Denn ich kann so dem Begriff “Zahl” feste Grenzen geben, d.h. das Wort “Zahl” zur Bezeichnung eines fest begrenzten Begriffes gebrauchen, aber ich kann es auch so gebrauchen, daß der Umfang des Begriffes nicht durch eine Grenze abgeschlossen ist. Und so verwenden wir ja das Wort “Spiel”. Wie ist denn der Begriff des Spiels abgeschlossen? Was ist noch ein Spiel und was ist keines mehr? Kannst Du die Grenzen angeben? Nein. Du kannst welche ziehen; denn es sind noch keine gezogen. (Aber das hat Dich noch nie gestört, wenn Du das Wort “Spiel” angewendet hast.)
     “Aber dann ist ja die Anwendung des Wortes nicht geregelt, das “Spiel”, welches wir mit ihm spielen ist nicht geregelt.” – Es ist nicht überall von Regeln begrenzt; aber es gibt ja auch keine Regel dafür, wie hoch man z.B. in Tennis den Ball werfen darf, oder wie stark, aber Tennis ist doch ein Spiel, und es hat auch Regeln.
   
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     Wie würdest Du denn jemandem erklären, was ein Spiel ist? Ich glaube, Du wirst ihm Spiele beschreiben, und Du könntest der Beschreibung hinzufügen: “das, und Ähnliches, nennt man ‘Spiele’”. Und weißt Du selbst denn mehr? Kannst Du etwa nur dem Andern nicht genau sagen, was ein Spiel ist? Aber das ist nicht Unwissenheit. Du kennst die Grenzen nicht, weil keine gezogen sind. Wie gesagt, Du kannst – für irgend einen Zweck – eine Grenze ziehen. Machst Du dadurch den
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Begriff erst brauchbar? Durchaus nicht! es sei denn, für den besondern Zweck. So wenig, wie der das Längenmaß ‘1 Schritt’ brauchbar machte, der die Definition gab, “1 Schritt = 75 cm”. Und wenn Du sagen willst: “aber vorher war es doch kein exaktes Längenmaß”, so antworte ich: gut, dann war es ein unexaktes. – Obgleich Du mir noch die Definition der Exaktheit schuldig bist. –
   
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     “Aber wenn der Begriff ‘Spiel’ auf diese Weise unbegrenzt ist, so weißt Du ja eigentlich nicht, was Du mit ‘Spiel’ meinst.” – Wenn ich die Beschreibung gebe: “Der Boden war ganz mit Pflanzen bedeckt”; willst Du sagen, ich weiß nicht wovon ich rede, ehe ich nicht eine Definition der Pflanze geben kann?
     Sokrates (im            ), “Du weißt es und kannst hellenisch reden, also mußt Du es doch sagen können.” – Nein. ‘Es wissen’ heißt hier eben nicht, es sagen können. Nicht das ist hier unser Kriterium des Wissens.
     Eine Erklärung dessen, was ich meine, wäre etwa ein gemaltes Bild und die Worte: “So, ungefähr, hat der Boden ausgesehen”. Ich sage aber vielleicht auch: “Genau so hat es ausgesehen”. – Also waren genau diese Gräser und Blätter, in diesen Lagen, dort? Nein, das heißt es nicht. Und kein Bild würde ich, in diesem Sinne, als das genaue anerkennen.
   
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     Man kann sagen, der Begriff ‘Spiel’ ist ein Begriff mit verschwommenen Rändern. – “Aber ist ein verschwommener Begriff überhaupt ein Begriff?” – Ist eine unscharfe Photographie überhaupt ein Bild eines Menschen? – Ja, kann man ein unscharfes Bild immer mit Vorteil durch ein scharfes ersetzen? Ist das unscharfe nicht oft gerade das, was wir brauchen?
     Frege vergleicht den Begriff mit einem Bezirk und sagt: einen unklar begrenzten Bezirk könne man überhaupt keinen Bezirk
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nennen. Das heißt wohl, wir können mit ihm nichts anfangen. Aber ist es sinnlos zu sagen: “Halte Dich ungefähr hier auf!”? Denke Dir ich stünde mit einem Andern auf einem Platz und sagte dies. Dabei werde ich nicht einmal irgend eine Grenze ziehen, sondern etwa mit der Hand eine zeigende Bewegung machen – Ganz als zeigte ich einen bestimmten Punkt. Und gerade so erklärt man etwa, was ein Spiel ist. Man gibt Beispiele, und will, daß sie in gewissem Sinn verstanden werden. – Aber mit diesem Ausdruck meine ich nicht: er solle nun in diesen Beispielen das Gemeinsame sehen, welches ich – aus irgend einem Grunde – nicht aussprechen konnte, || ; sondern: er solle diese Beispiele nun in bestimmter Weise verwenden. Das Exemplifizieren ist hier nicht ein indirektes Mittel der Erklärung, – in Ermangelung eines Bessern. – Denn, mißverstanden kann auch jede allgemeine Erklärung werden. So spielen wir eben das Spiel. (Ich meine das Sprachspiel mit dem Worte “Spiel”.)
   
69.
     Das Gemeinsame sehen: Nimm an, – ich zeige jemandem verschiedene bunte Bilder, und sage: “Die Farbe, die Du in allem siehst, heißt ‘Ocker’.” – Das ist eine Erklärung, die verstanden wird, indem der Andere aufsucht und sieht, was jenen Bildern gemeinsam ist. Er kann dann auf das Gemeinsame blicken, darauf zeigen.
     Vergleiche damit: Ich zeige ihm Vierecke verschiedener Form, alle in der gleichen Farbe gemalt und sage: “Was diese miteinander gemein haben, heißt ‘Ocker’”.
     Und vergleiche damit: – Ich zeige ihm Muster verschiedener Schattierungen von Blau und sage: “Die Farbe, die allem gemeinsam ist, nenne ich ‘Blau’”.
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     Wenn Einer mir die Namen der Farben erklärt, indem er auf Muster zeigt und sagt: “Diese Farbe heißt ‘Blau’, diese ‘Grün’, etc.”, so kann dieser Fall in vieler Hinsicht dem verglichen werden, daß er mir eine Tabelle an die Hand gibt, in der unter den Mustern von Farben die Wörter stehen. – Wenn auch dieser Vergleich in mancher Weise irreführen kann. – Man ist nun geneigt diesen || den Vergleich auszudehnen: Die Erklärung verstanden haben, heißt, einen Begriff des Erklärten im Geiste besitzen, und d.i., ein Muster, oder Bild, zeigt || : Zeigt man mir nun verschiedene Blätter und sagt, || : “Das nennt man ‘Blatt’”, so erhalte ich einen Begriff der Blattform, ein Bild von ihr im Geiste. – Aber wie schaut denn das Bild eines Blattes aus, das keine bestimmte Form zeigt, sondern das, was allen Blattformen gemeinsam ist’? Welche Farbe hat das Muster in meinem Geiste der Farbe Grün, dessen, was allen Tönen von Grün gemeinsam ist?
     “Aber könnte es nicht solche “allgemeine’ Muster geben? Etwa ein Blattschema, oder ein Muster von reinem Grün.” – Gewiß! – Aber, daß dieses Schema als Schema verstanden wird und nicht als die Form eines bestimmten Blattes, und daß ein Täfelchen von reinem Grün als Muster alles dessen verstanden wird, was grünlich ist und nicht als Muster für reines Grün: das liegt wieder in der Art der Anwendung dieser Muster.
     Frage Dich: Welche Gestalt muß das Muster der Farbe Grün haben. Soll es viereckig sein? Oder würde es dann das Muster für grüne Vierecke sein? – Soll es also ‘unregelmäßig’ geformt sein? Und was verhindert uns, es dann nur als Muster der unregelmäßigen Form anzusehen – d.h. zu verwenden?
   
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     Hierher gehört auch der Gedanke, daß der, welcher dieses Blatt als Muster der Blattform, im allgemeinen, sieht, es anders sieht, als der, welcher es etwa als Muster für diese bestimmte Form betrachtet. Nun, das könnte ja so sein – obwohl es
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nicht so ist –, denn es würde nur besagen, daß erfahrungsgemäß der, welcher das Blatt in bestimmter Weise sieht, es dann so und so, oder den und den Regeln gemäß, verwendet.
     Es gibt natürlich ein so und anders Sehen, und es gibt auch Fälle, in denen der, der ein Muster so sieht, es im allgemeinen in dieser Weise verwenden wird, und wer es anders sieht, in anderer Weise. Wer, z.B., die Zeichnung als ebene Figur sieht, bestehend aus einem Quadrat und zwei Rhomben, der wird den Befehl, “Bringe mir so etwas!”, vielleicht anders ausführen, als der, welcher das Bild räumlich sieht.
   
72.
     Was heißt es: wissen, was ein Spiel ist? Was heißt es, es wissen und es nicht sagen können? Ist dieses Wissen irgendein Äquivalent einer nicht ausgesprochenen Definition? So daß, wenn sie ausgesprochen würde, ich sie als den Ausdruck meines Wissens anerkennen könnte? Ist nicht mein Wissen, mein Begriff von Spiel, ganz in den Erklärungen ausgedrückt, die ich geben könnte? nämlich darin, daß ich Beispiele von Spielen verschiedener Art beschreibe; zeige, wie man nach Analogie dieser auf alle möglichen Arten andere Spiele konstruieren kann; sage, daß ich das und das wohl kaum mehr ein Spiel nennen würde, und dergleichen mehr.
   
73.
     Wenn Einer eine scharfe Grenze zöge, so könnte ich sie nicht als die anerkennen, die ich auch schon immer ziehen wollte, oder im Geist gezogen habe. Denn ich wollte gar keine ziehen. Man kann dann sagen: sein Begriff ist nicht der gleiche wie || der meine, aber ihm verwandt. Und die Verwandtschaft ist die zweier Bilder, deren eines aus unscharf begrenzten Farbflecken, das andere aus ähnlich geformten und verteilten, aber scharf begrenzten, besteht. Die Verwandtschaft ist dann ebenso unleugbar, wie
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die Verschiedenheit.
   
74.
     Und wenn wir diesen Vergleich noch etwas weiter führen, – so ist es klar, daß der Grad, bis zu welchem das scharfe Bild dem verschwommenen ähnlich sein kann, vom Grade der Unschärfe dieses abhängt. Denn denk Dir, Du solltest zu einem verschwommenen Bild ein ihm ‘entsprechendes’ scharfes entwerfen! In jenem ist ein unscharfes rotes Rechteck; Du setzt dafür ein scharfes. Freilich – es ließen sich ja mehrere solche scharfe Rechtecke ziehen, die dem unscharfen entsprächen. – Wenn aber im Original die Farben ohne die Spur einer Grenze ineinanderfließen, wird es dann nicht eine hoffnungslose Aufgabe werden, ein dem verschwommenen entsprechendes scharfes Bild zu zeichnen? Wirst Du dann nicht sagen müssen: “Hier könnte ich ebenso gut einen Kreis, als ein Rechteck, oder eine Herzform zeichnen; es fließen alle Farben durcheinander. Es stimmt alles, – und nichts.” – Und in dieser Lage befindet sich z.B. der, der in der Ästhetik oder Ethik nach Definitionen sucht, die unseren Begriffen entsprechen.
     Frage Dich in dieser Schwierigkeit immer, “Wie haben wir denn die Bedeutung dieses Wortes – ‘gut’ z.B. – gelernt? An was für Beispielen; in welchen Sprachspielen? Du wirst dann leichter sehen, daß das Wort eine Familie von Bedeutungen haben muß.
   
75.
     Vergleiche: wissen und sagen,
     wieviele m hoch der Mont-Blanc ist;
     wie das Wort “Spiel” gebraucht wird;
     wie eine Klarinette klingt. Wer sich wundert, daß man etwas wissen könne und nicht sagen, denkt vielleicht an einen Fall, wie den ersten. Gewiß nicht an einen, wie den dritten.
58.
   
76.
     Betrachte dieses Beispiel: Wenn man sagt, “Moses hat nicht existiert”, so kann das verschiedenerlei bedeuten. Es kann heißen: die Israeliten haben nicht einen Führer gehabt, als sie aus Ägypten ausgezogen sind – oder: ihr Führer hat nicht Moses geheißen – oder: es hat keinen Menschen gegeben, der alles das vollbracht hat, was die Bibel von Moses berichtet – etc., etc..– Nach Russell können wir sagen: der Name “Moses” kann durch verschiedene Beschreibungen definiert werden. Z.B. als: “der Mann, welcher die Israeliten durch die Wüste geführt hat”, “der Mann, welcher zu dieser Zeit und an diesem Ort gelebt hat und damals ‘Moses’ genannt wurde”, “der Mann, welcher als Kind von der Tochter Pharaos aus dem Nil gezogen wurde”, etc.. Und je nachdem wir die eine oder andere Definition annehmen, bekommt der Satz “Moses hat existiert” einen andern Sinn und ebenso jeder andere Satz, der von Moses handelt. – Und wenn man uns sagt, “N hat nicht existiert”, fragen wir auch: “Was meinst Du? Willst Du sagen, daß …, oder daß …, etc.?”
     Aber wenn ich nun eine Aussage über Moses mache; bin ich immer bereit, irgend eine dieser Beschreibungen für “Moses” zu setzen? Ich werde etwa sagen: unter “Moses” verstehe ich den Mann, der getan hat, was die Bibel von “Moses” berichtet, oder doch vieles davon. Aber wievieles? Habe ich mich entschieden, wieviel sich als falsch erweisen muß, damit ich meinen Satz als falsch aufgebe? Hat also der Namen “Moses” für mich einen festen und eindeutig bestimmten Gebrauch in allen möglichen Fällen? – Ist es nicht so, daß ich sozusagen eine ganze Reihe von Stützen in Bereitschaft habe und bereit bin, mich auf eine zu stützen, wenn mir die andere entzogen werden sollte, und umgekehrt? – Betrachte noch einen andern Fall: Wenn ich sage, “N ist gestorben”, so
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kann es mit der Bedeutung des Namens “N” etwa diese Bewandtnis haben: Ich glaube, daß ein Mensch gelebt hat, den ich (1.) dort und dort gesehen habe, der (2.) so und so ausgeschaut hat (Bilder), (3.) das und das getan hat und (4.) in der bürgerlichen Welt diesen Namen, “N”, führt. Gefragt, was ich unter “N” verstehe, würde ich alles das, oder einiges davon, und bei verschiedenen Gelegenheiten Verschiedenes, aufzählen. Meine Definition von “N” wäre also etwa: “der Mann, von dem alles das stimmt”. – Aber wenn sich nun etwas davon als falsch erwiese! – werde ich bereit sein den Satz “N ist gestorben” für falsch zu erklären, – auch wenn nur etwas mir nebensächlich Scheinendes sich als falsch herausstellt? Wo aber ist die Grenze des Nebensächlichen? – Hätte ich in so einem Fall eine Erklärung des Namens gegeben, so wäre ich nun bereit, sie abzuändern.
     Und das kann man so ausdrücken, || : ich gebrauche den Namen “N” ohne feste Bedeutung. (Aber das tut seinem Gebrauch so wenig Eintrag wie dem eines Tisches, daß er auf vier Beinen ruht, statt auf dreien, und daher unter Umständen wackelt.)
     Soll man sagen, ich gebrauche ein Wort, dessen Bedeutung ich nicht kenne, rede also Unsinn? – Sage was Du willst, solange Dich das nicht verhindert, zu sehen, wie es sich verhält. (Und wenn Du das siehst, wirst Du manches nicht sagen.)
   
77.
     Ich sage: “Dort steht ein Sessel”; wie wenn ich hingehe und ihn holen will und er entschwindet plötzlich meinem Blick? – “Also war es kein Sessel, sondern irgend eine Täuschung.” – Aber in ein paar Sekunden sehen wir ihn wieder und können ihn angreifen, etc..– Also war der Sessel doch da und sein Verschwinden war irgend eine Täuschung.” – Aber nimm an, nach einer Zeit verschwindet er wieder, – oder scheint zu verschwinden. – Was sollen wir nun sagen? Hast Du für solche Fälle Regeln bereit, || die sagen, ob man
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so etwas noch “Sessel” nennen darf? Aber gehen sie uns beim Gebrauch des Wortes “Sessel” ab; und sollen wir sagen, daß wir mit diesem Wort eigentlich keine Bedeutung verbinden, da wir nicht für alle Möglichkeiten seiner Anwendung mit Regeln versehen sind?
   
78.
     Ramsey hat einmal im Gespräch mit mir betont, die Logik sei eine “normative Wissenschaft”. Genau, welche Idee ihm dabei vorgeschwebt hat, weiß ich nicht; sie war aber zweifellos eng verwandt mit der, die mir erst später aufgegangen ist. || : daß wir nämlich in der Philosophie den Gebrauch der Wörter oft mit Spielen, Kalkülen, nach festen Regeln, vergleichen, aber nicht sagen können, wer die Sprache gebraucht, müsse ein solches Spiel spielen. – Sagt man aber, daß unser sprachlicher Ausdruck sich solchen Kalkülen nur nähert, so steht man damit allerdings unmittelbar am Rande eines Mißverständnisses. Denn so kann es scheinen, als redeten wir in der Logik von einer idealen Sprache. Als wäre unsre Logik eine Logik, gleichsam, für den luftleeren Raum. Während die Logik doch nicht von der Sprache – bzw. vom Denken – handelt in dem Sinne, wie eine Naturwissenschaft von einer Naturerscheinung, und man höchstens sagen kann, wir konstruierten ideale Sprachen. Aber hier wäre das Wort ‘ideal’ irreführend, denn es schiene also, als wären diese Sprachen besser, vollkommener, als unsere Umgangssprache; und als brauchte es den Logiker, damit er den Menschen endlich zeigt, wie ein richtiger Satz ausschaut.
     All das kann aber erst dann im rechten Licht erscheinen, wenn wir über die Ideen des Verstehens, Meinens und Denkens Klarheit gewonnen haben. Denn dann wird auch klar werden, was dazu verleiten kann – und mich verleitet hat (Log. Phil. Abh.) – zu denken, daß, wer einen Satz ausspricht und meint, oder versteht, damit einen Kalkül betreibt, nach bestimmten Regeln.
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79.
     Was nenne ich die ‘Regel, nach der er vorgeht’? die Hypothese, die seinen Gebrauch der Worte, den wir beobachten, zufriedenstellend beschreibt, oder die Regel, die er im || beim Gebrauch der Zeichen nachschlägt, oder, die er uns zur Antwort gibt, wenn wir ihn nach seiner Regel fragen? Wie aber, wenn die Beobachtung keine Regel klar erkennen läßt und die Frage keine zu Tage fördert? – Denn er gab mir zwar auf meine Frage, was er unter “N” verstehe, eine Erklärung, war aber bereit, diese Erklärung zu widerrufen und abzuändern. – Wie soll ich also die Regel bestimmen, nach der er spielt? er weiß sie selbst nicht. Oder richtiger: Was soll der Ausdruck “Regel, nach welcher er vorgeht” hier noch besagen?
   
80.
     Steckt uns da nicht die Analogie der Sprache mit dem Spiel ein Licht auf? Wir können uns doch sehr wohl denken, daß sich Menschen auf einer Wiese damit unterhielten, mit einem Ball zu spielen, so zwar, daß sie verschiedene bestehende (geregelte) Spiele anfingen, manche nicht zu Ende spielten, dazwischen den Ball planlos in die Höhe würfen, einander im Scherz mit dem Ball nachjagen und bewerfen, etc..– Und nun sagte Einer: Die ganze Zeit hindurch spielen die Leute ein Ballspiel und richten sich daher bei jedem Wurf nach bestimmten Regeln.
     Und gibt es nicht auch den Fall, wo wir spielen und ‘make up the rules as we go along’? Ja auch den, in welchem wir sie abändern – as we go along.
   
81.
     Ich sagte in (65) von der Anwendung des Wortes “Spiel”, sie sei nicht ‘überall von Regeln begrenzt’: aber wie schaut denn ein Spiel aus, das überall von Regeln begrenzt ist? Dessen Regeln keinen Zweifel eindringen lassen; ihm alle Löcher verstopfen? – Können wir uns nicht eine Regel denken, die die Anwendung der Regel regelt? und einen Zweifel den jene Regel
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behebt, – und so fort?
     Aber das sagt nicht, daß wir zweifeln, weil wir uns einen Zweifel denken können. Ich kann mir sehr wohl denken, daß jemand jedesmal vor dem Öffnen seiner Haustüre zweifelt, ob sich hinter ihr nicht ein Abgrund aufgetan hat; und daß er sich darüber vergewissert, eh' er durch die Tür tritt (und es kann sich einmal erweisen, daß er recht hatte): aber deswegen zweifle ich im gleichen Falle doch nicht.
   
82.
     Eine Regel steht da, wie ein Wegweiser. Läßt er keinen Zweifel offen über den Weg, den ich zu gehen habe? Zeigt er, in welcher Richtung ich gehen soll, wenn ich an ihm vorbei bin, ob der Straße nach oder dem Feldweg, oder querfeldein? Aber wo steht, in welchem Sinne ich ihm zu folgen habe; ob in der Richtung der Hand oder, z.B., in der entgegengesetzten? – Und wenn statt eines Wegweisers eine geschlossene Kette von Wegweisern stünden, oder Kreidestriche auf dem Boden liefen; gibt es für sie nur eine Deutung? – Also kann ich sagen, der Wegweiser läßt doch keinen Zweifel offen. Oder vielmehr: Er läßt manchmal einen Zweifel offen, manchmal nicht, Und dies ist nun kein philosophischer Satz mehr; sondern ein Erfahrungssatz.
   
83.
     Ein Sprachspiel wie (3) werde mit Hilfe einer Tabelle gespielt. Die Zeichen, die A dem B gibt, seien nun Schriftzeichen; B hat eine Tabelle: in der ersten Kolumne stehen die Schriftzeichen, die im Spiel gebraucht werden, in einer zweiten, Bilder von Bausteinformen. A zeigt dem B so ein geschriebenes Zeichen (schreibt es etwa auf eine Tafel): B sucht es in der Tabelle auf, blickt auf das gegenüberliegende Bild, etc.. Die Tabelle ist also eine Regel, nach der er sich beim Ausführen der Befehle richtet. – Das Aufsuchen des Bildes in der Tabelle lernt man durch Abrichtung und ein Teil
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dieser Abrichtung besteht etwa darin, daß der Schüler lernt, in der Tabelle mit dem Finger horizontal von links nach rechts zu fahren, also lernt, sozusagen, eine Reihe horizontaler Striche ziehen.
     Denk Dir, es würden nun verschiedene Arten eingeführt, eine Tabelle zu lesen: nämlich einmal, wie oben, nach dem Schema:
ein andermal nach diesem Schema:
oder diesem:
etc.. So ein Schema wird der Tabelle beigefügt als Regel, wie sie zu gebrauchen sei.
     Können wir uns nun nicht weitere Regeln zur Erklärung dieser vorstellen? Und war anderseits jene erste Tabelle unvollständig ohne das Schema
? Und sind es die anderen ohne das ihre?
   
84.
     Nimm an, ich erkläre: “Unter ‘Moses’ verstehe ich den Mann, wenn es einen solchen gegeben hat, der die Israeliten aus Ägypten geführt hat, wie immer er damals geheißen hat und was immer er sonst getan oder nicht getan haben mag”: Aber über die Wörter dieser Erklärung sind ähnliche Zweifel möglich, wie die über den Namen “Moses” (was nennst Du “Ägypten”, wen “die Israeliten”, etc.). Ja, diese Fragen kommen auch nicht zu einem Ende, wenn
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wir bei Wörtern wie “rot”, ”dunkel”, “süß”, angelangt wären. – “Aber wie hilft mir dann eine Erklärung zum Verständnis, wenn sie doch nicht die letzte ist? Die Erklärung ist dann ja nie beendet; ich verstehe also noch immer nicht, und nie, was er meint!” Als hinge eine Erklärung, gleichsam, in der Luft, wenn nicht eine andere sie stützte. Während eine Erklärung zwar auf einer andern, die man gegeben hat, ruhen kann, aber keine einer anderen bedarf, – es sei denn, daß wir sie benötigen, um ein Mißverständnis zu vermeiden. Man könnte sagen: eine Erklärung dient dazu, ein Mißverständnis zu beseitigen, oder zu verhüten, – also eines, was ohne die Erklärung eintreten würde; aber nicht: jedes, welches ich mir vorstellen kann.
     Es kann leicht so scheinen als zeigte jeder Zweifel nur eine vorhandene Lücke im Fundament; so daß ein sicheres Verständnis nur dann möglich ist, wenn wir zuerst an allem zweifeln, woran gezweifelt werden kann, und dann alle diese Zweifel beheben.
   
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     Der Wegweiser ist in Ordnung, – wenn er, unter normalen Verhältnissen, seinen Zweck erfüllt.
     Wenn ich Einem sage, wie in (68), || : “Halte Dich ungefähr hier auf!“ – Kann denn diese Erklärung nicht vollkommen funktionieren? (Und kann jede andere nicht auch versagen?)
     “Aber ist die Erklärung nicht doch unexakt?” – Doch; warum soll man sie nicht “unexakt” nennen? Verstehen wir aber nur, was “unexakt” bedeutet! Denn erstens bedeutet es nicht “unbrauchbar”, sonst müßte es heißen: “unexakt für diesen Zweck”; zweitens – überlegen wir uns, was wir im Gegensatz zu dieser unexakten Erklärung eine “exakte” nennen! Etwa die, wenn man auf dem Platz einen Kreidestrich zieht, einen ‘Bezirk’ abgrenzt. – Aber da fällt uns gleich ein, daß ja der Strich eine Breite hat,
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exakter wäre also eine Farbgrenze. Aber hat denn diese Exaktheit hier noch eine Funktion, läuft sie nicht leer? Und wir haben ja auch noch nicht bestimmt, was als Überschreiten dieser scharfen Grenze gelten soll; wie, mit welchen Instrumenten, sie festzustellen ist. etc..
     Wir verstehen, was es heißt: eine Taschenuhr auf die genaue Stunde stellen, oder – sie richten, daß sie genau geht. Wie aber, wenn man fragte: ist diese Genauigkeit eine ideale Genauigkeit, oder wie weit nähert sie sich ihr? – Wir können freilich von Zeitmessungen reden, bei welchen es eine andere, und wie wir sagen würden, größere Genauigkeit gibt, als bei der Zeitmessung mit der Taschenuhr. Wo die Worte “die Uhr auf die genaue Stunde stellen”, eine andere, wenn auch verwandte, Bedeutung haben, und die Uhr ablesen ein anderer Prozeß ist, etc..– Wenn ich nun jemandem sage: “Du solltest pünktlicher zum Essen kommen: Du weißt, daß es genau um 1 Uhr anfängt” – ist hier von Genauigkeit eigentlich nicht die Rede, – weil man sagen kann: “denk an die Zeitbestimmung im Laboratorium, oder auf der Sternwarte, da siehst Du was ‘Genauigkeit’ bedeutet”?
     “Unexakt”, das ist eigentlich ein Tadel, und “exakt” ein Lob. Und das heißt doch: das Unexakte erreicht das Ziel nicht so vollkommen, wie das Exaktere. Da kommt es also auf das an, was wir “das Ziel” nennen. Ist es unexakt, wenn wir dem Tischler die Breite des Tisches nicht auf 1000stel mm angeben? Und den Abstand der Sonne von uns nicht auf m?
     Denk also an die dehnbare Verwendungsweise der Wörter “genau”, “ungenau”. – Ein Ideal der Genauigkeit ist nicht vorgesehen wir wissen nicht, was wir uns darunter vorstellen sollen – es sei denn, Du selbst setzt fest, was so genannt werden soll. Aber es wird Dir schwer werden, so eine Festsetzung zu treffen; eine, die Dich befriedigt.
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     Wir stehen mit diesen Überlegungen an dem Ort, wo das Problem steht: Inwiefern ist die Logik etwas Sublimes?
     Denn es schien, daß ihr eine besondere Tiefe – allgemeine Bedeutung – zukomme. Sie liege, so schien es, am Grunde aller Wissenschaften. – Denn die logische Betrachtung erforscht das Wesen aller Bindungen || Dinge. Sie will den Dingen auf den Grund sehen, und soll sich nicht um das so oder so des tatsächlichen Geschehens kümmern. ‒ ‒ ‒ Sie entspringt nicht einem Interesse für Tatsachen des Naturgeschehens, noch dem Bedürfnisse, kausale Zusammenhänge zu erfassen. Sondern einem Streben, das Fundament, oder Wesen, alles Erfahrungsmäßigen zu verstehen. Nicht aber, als sollten wir dazu neue Tatsachen aufspüren: es ist vielmehr für unsere Untersuchung wesentlich, daß wir nichts Neues mit ihr lernen wollen. Wir wollen etwas verstehen, was schon offen vor unsern Augen liegt. Denn das scheinen wir, in irgendeinem Sinne, nicht zu verstehen.
     Augustinus (Confessiones XI/14): “quid est ergo tempus? Si nemo ex me quaerat scio; si quaerenti explicare velim, nescio.” – Dies könnte man nicht von einer Frage der Naturwissenschaft sagen (z.B.: wie groß ist das spezifische Gewicht des Wasserstoffs). Das, was man weiß, wenn uns niemand fragt, aber nicht mehr weiß, wenn wir es erklären sollen, ist etwas, worauf man sich besinnen muß. (Und offenbar etwas worauf man sich aus irgendeinem Grunde schwer
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besinnt.)
   
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     Es ist uns, als müßten wir die Erscheinungen durchschauen: unsere Untersuchung aber richtet sich nicht auf die Erscheinungen, sondern – wie man sagen könnte – auf die ‘Möglichkeiten’ der Erscheinungen. Wir besinnen uns, heißt das, auf die Art der Aussagen, die wir über die Erscheinungen machen. Daher besinnt sich auch Augustinus auf die verschiedenen Aussagen, die man über die Dauer von Ereignissen, über ihre Vergangenheit, Gegenwart, oder Zukunft macht. (Dies sind natürlich nicht philosophische Aussagen über die Zeit, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.)
     Unsere Betrachtung ist daher eine grammatische. Und diese Betrachtung bringt Licht in unser Problem, indem sie Mißverständnisse wegräumt. Mißverständnisse nämlich, welche den Gebrauch der Wörter unserer Sprache betreffen und hervorgerufen sind durch Analogien, welche zwischen unseren Ausdrucksformen bestehen. – Und diese Mißverständnisse kann man dadurch beseitigen, daß man gewisse Ausdrucksformen durch andere ersetzt; diese kann man ein “Analysieren” unsrer Ausdrucksformen nennen, denn der Vorgang hat eine Ähnlichkeit mit dem einer Zerlegung.
   
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     Nun aber kann es den Anschein gewinnen, als gäbe es so etwas wie eine letzte Analyse unserer Sprachformen, also eine vollkommen zerlegte Form
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des Ausdrucks. D.h.: als seien unsere gebräuchlichen Ausdrucksformen, wesentlich, noch unanalysiert; als sei in ihnen etwas verborgen, was ans Licht zu befördern ist. Ist dies geschehen, so sei der Ausdruck damit vollkommen geklärt und unsre Aufgabe gelöst.
     Man kann das auch so sagen: Wir beseitigen Mißverständnisse, indem wir unsern Ausdruck exakter machen: aber es kann nun so scheinen, als ob wir einem bestimmten Zustand, der vollkommenen Exaktheit, zustreben; und als wäre das das eigentliche Ziel unsrer Untersuchung.
     Dies drückt sich aus in der Frage nach dem Wesen der Sprache, des Satzes, des Denkens. – Denn wenn wir auch in unsern Untersuchungen das Wesen der Sprache – ihre Funktion, ihren Bau – zu verstehen trachten, so ist es doch nicht das, was diese Frage im Auge hat. Denn sie sieht in dem Wesen nicht etwas, was schon offen zutage liegt, und was durch Ordnen übersichtlich wird. Sondern etwas, was unter der Oberfläche liegt. Etwas, was im Innern liegt, was wir sehen, wenn wir die Sache durchschauen und was eine Analyse hervorgraben soll.
     ‘Das Wesen ist uns verborgen’: das ist die Form, die unser Problem nun annimmt. Wir fragen: “Was ist die Sprache?”; “Was ist der Satz?”. Und die Antwort auf diese Fragen ist ein für allemal zu geben; und unabhängig von jeder künftigen Erfahrung.
   
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     Einer könnte sagen: “ein Satz, das ist das Alltäglichste von der Welt”, und der
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Andre: “Ein Satz – das ist etwas sehr Merkwürdiges!” ‒ ‒ ‒ Und dieser kann nicht: einfach nachschauen, wie Sätze funktionieren, – weil die Formen unserer Ausdrucksweise, die Sätze und das Denken betreffend, ihm im Wege stehen.
     Warum sagen wir, der Satz sei etwas Merkwürdiges? Einerseits wegen der ungeheuren Bedeutung, die ihm zukommt. (Und das ist richtig.) Anderseits verführt uns diese Bedeutung und Mißverständnisse der Sprachlogik dazu, daß wir meinen, der Satz müsse etwas Außerordentliches, ja Einzigartiges, leisten. – Durch ein Mißverständnis erscheint es uns, als tue der Satz etwas Seltsames.
     ‘Der Satz, ein merkwürdiges Ding!’: darin liegt schon die Sublimierung der ganzen Darstellung. – Die Tendenz, ein reines Mittelwesen anzunehmen zwischen dem Satzzeichen und den Tatsachen. Oder auch das Satzzeichen selber reinigen, sublimieren, zu wollen. – Denn, daß es mit gewöhnlichen Dingen zugeht, das zu sehen, verhindern uns auf mannigfache Weise unsere Ausdrucksformen, indem sie uns auf die Jagd nach Chimären schicken.
     Oder: “Denken muß etwas Einzigartiges sein.” Wenn wir sagen, meinen, daß es sich so und so verhält, so halten wir mit dem, was wir meinen, nicht irgendwo vor der Tatsache; sondern meinen, daß das und das so und so ist. – Man kann aber dieses Paradox (welches ja die Form einer Selbstverständlichkeit hat) auch so ausdrücken: Man kann denken, was nicht der Fall ist.
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     Der besondern Täuschung, die hier gemeint ist, schließen sich, von verschiedenen Seiten, andere an. Das Denken, die Sprache, erscheint uns nun als das einzigartige Korrelat, Bild, der Welt. Die Begriffe: Satz, Sprache, Denken, Welt stehen in einer Reihe hintereinander, jeder dem andern äquivalent. (Wozu aber sind diese Wörter nun zu brauchen? Es fehlt das Sprachspiel, das mit ihnen zu spielen ist.)
   
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     Das Denken ist mit einem Nimbus umgeben. – Sein Wesen, die Logik, stellt eine Ordnung dar, und zwar die Ordnung a priori der Welt, d.i. die Ordnung der Möglichkeit, die Welt und Denken gemeinsam sein muß. Diese Ordnung aber, scheint es, muß höchst einfach sein. Sie ist vor aller Erfahrung, muß sich durch die ganze Erfahrung hindurchziehen, ihr selbst darf keine erfahrungsmäßige Trübe oder Unsicherheit anhaften. ‒ ‒ ‒ Sie muß vielmehr vom reinsten Kristall sein. Dieser Kristall aber erscheint nicht als eine Abstraktion, sondern als etwas Konkretes, ja als das Konkreteste, gleichsam Härteste.
     Wir sind in der Täuschung, das Besondere, Tiefe, das uns Wesentliche unserer Untersuchung liege darin, daß sie das unvergleichliche Wesen der Sprache zu begreifen trachtet. D.i. die Ordnung, die zwischen den Begriffen des Satzes, Wortes, Schließens, der Wahrheit, der Erfahrung, u.s.w. besteht. Diese Ordnung ist eine Über-Ordnung zwischen – sozusagen – Über- Begriffen. (Während ja die Worte “Sprache”, “Erfahrung”,
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“Welt”, wenn sie eine Verwendung haben, eine so niedrige haben müssen, wie die Worte “Tisch”, “Lampe” und “Tür”.)
   
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     Einerseits ist klar, daß jeder Satz unsrer Sprache ‘in Ordnung ist, wie er ist’. D.h., daß wir nicht ein Ideal anstreben. Als hätten unsere gewöhnlichen, vagen Sätze noch keinen Sinn und wir müßten erst zeigen, wie ein richtiger Satz ausschaut. Anderseits scheint es klar: wo Sinn ist muß vollkommene Ordnung sein. Also muß die vollkommene Ordnung auch im vagsten Satz stecken.
     “Der Sinn des Satzes – möchte man sagen – kann freilich dies oder das offen lassen, aber der Satz muß doch einen bestimmten Sinn haben.” Oder: “Ein unbestimmter Sinn,’, das wäre eigentlich gar kein Sinn.” Das ist, wie wenn man sagt: “Eine unscharfe Begrenzung, das ist eigentlich gar keine Begrenzung”. Man denkt da etwa so: Wenn ich sage: “ich habe den Mann fest im Zimmer eingeschlossen – nur eine Tür ist offen geblieben”, so habe ich ihn eben gar nicht eingeschlossen; er ist nur zum Schein eingeschlossen. Man wäre geneigt, hier zu sagen: “also hast Du damit gar nichts getan”. Und doch hat er etwas getan. (Eine Umgrenzung, die ein Loch hat – möchte man sagen – ist so gut, wie gar keine. Aber ist das denn wahr?)
     Betrachte auch diesen Satz: “Die Regeln eines Spiels können wohl eine gewisse Freiheit lassen, aber sie müssen doch ganz bestimmte Regeln sein.”
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Das ist, als sagte man: “Du kannst zwar einem Menschen durch vier Wände eine gewisse Bewegungsfreiheit lassen, aber die Wände müssen vollkommen starr sein” – und das ist nicht wahr. Sagst Du aber: “die Wände können wohl elastisch sein, aber dann haben sie eine ganz bestimmte Elastizität,” – was sagt das nun noch? Es scheint zu sagen, daß man diese Elastizität muß angeben können, aber das ist wieder nicht wahr. “Das Ding hat immer eine bestimmte Länge – ob ich sie weiß, oder nicht” –: das ist eigentlich das Bekenntnis zu einer bestimmten Ausdrucksform. Derjenigen nämlich, die sich der Form eines Ideals der Genauigkeit bedient. Gleichsam als eines Parameters der Darstellung.
     Das Bekenntnis zu einer Ausdrucksform, wenn es ausgesprochen wird in der Verkleidung als Satz, der von den Gegenständen handelt (statt von dem Zeichen) muß ‘a priori’ sein. Denn sein Gegenteil wird wirklich undenkbar, insofern ihm eine Denkform, Ausdrucksform, entspricht, die wir ausgeschlossen haben.
     “Es ist doch kein Spiel, wenn es eine Vagheit in den Regeln gibt.” – Aber ist es dann kein Spiel? – “Ja, vielleicht wirst Du es ‘Spiel’ nennen, aber es ist doch jedenfalls kein vollkommenes Spiel.” D.h.: es ist doch dann verunreinigt, und ich interessiere mich für das, was verunreinigt ist. Aber ich will sagen, Du mißverstehst die Rolle, die das Ideal in Deiner Ausdrucksweise spielt. D.h.: auch Du würdest es ein Spiel nennen,
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nur bist Du vom Ideal geblendet und siehst daher nicht deutlich die wirkliche Anwendung des Wortes “Spiel”. (Es ist ähnlich, als wenn Du sagtest: “Der Umfang dieses Rades ist wirklich D × Π”; so genau ist es gearbeitet.)
   
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     Eine Vagheit in der Logik – wollen wir sagen – kann es nicht geben. Wir leben nun in der Idee: das Ideal ‘müsse’ sich in der Realität finden. Während man noch nicht sieht, wie es sich darin findet, und nicht das Wesen dieses “muß” versteht. Wir glauben – es muß in ihr stecken, denn wir glauben es schon in ihr zu sehen.
     Das Ideal, in unsern Gedanken, sitzt unverrückbar fest. Du kannst nicht aus ihm heraustreten. Du mußt immer wieder zurück. Es gibt gar kein Draußen; draußen fehlt die Lebensluft. – Woher dies? Die Idee sitzt gleichsam als Brille auf unsrer Nase und was wir ansehen, sehen wir durch sie. Wir kommen gar nicht auf den Gedanken, sie abzunehmen.
     Wie kann ich den Satz jetzt verstehen, wenn die Analyse soll zeigen können, was ich eigentlich verstehe? – Hier spielt die Idee des Verstehens als eines sonderbaren geistigen Vorgangs hinein.
     Die strengen und klaren Regeln des logischen Satzbaues erscheinen uns als etwas im Hintergrund, – im Medium des Verstehens versteckt. Ich sehe sie schon jetzt (wenn auch durch ein Medium hindurch), da ich ja das Zeichen verstehe, etwas mit ihm meine. Der ideal strenge Bau erscheint mir als etwas Konkretes: – Ich
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hatte ein Gleichnis gebraucht; aber durch die grammatische Täuschung, dem Begriffswort entspräche Eines, das Gemeinsame aller seiner Gegenstände, erschien es nicht als Gleichnis.
   
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     Wir haben nun eine Theorie (eine dynamische Theorie des Satzes, etc.) aber sie erscheint nicht als Theorie. Es ist ja das Charakteristikum einer solchen Theorie, daß sie einen besonderen, klar anschaulichen, Fall ansieht, und sagt: “Das zeigt, wie es sich überhaupt verhält; dieser Fall ist das Urbild aller Fälle.” – “Natürlich! so muß es sein”, sagen wir, und sind zufrieden. Wir sind auf eine Form der Darstellung gekommen, die uns einleuchtet. Aber es ist, als haben wir nun etwas gesehen, was unter der Oberfläche liegt.
     Diese Tendenz nun, den klaren Fall zu verallgemeinern, scheint in der Logik ihre strenge Berechtigung zu haben; man scheint hier mit voller Berechtigung zu schließen: “Wenn ein Satz ein Bild ist, so muß jeder Satz ein Bild sein, denn sie müssen alle wesensgleich sein.” Denn wir sind ja in der Täuschung, das Sublime, Wesentliche unserer Untersuchung bestehe darin, daß sie ein allumfassendes Wesen erfasse.
   
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     Wenn wir aber glauben, jene Ordnung, das Ideal, in der wirklichen Sprache finden zu müssen, kommen wir leicht dahin, von einem ‘eigentlichen’ Zeichen zu reden, das eigentliche Zeichen zu suchen, – hinter dem nämlich, was normalerweise
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‘das Zeichen’ genannt wird. ‒ ‒ ‒ Denn uns verlangt nun nach etwas Reinerem. Der Sinn (das Wesen) unserer Betrachtung verlangt hier etwas Reineres, wovon die strengen Regeln handeln. Die Gesamtheit dieser Regeln bilde die vollständige Grammatik des Zeichens. Der Satz, das Wort, von dem die Logik handelt, muß etwas Reines und Scharfgeschnittenes sein. Wir zerbrechen uns nun über das Wesen des Zeichens den Kopf. – Ja, muß es nicht die Vorstellung vom Wort sein, ja die Vorstellung im gegenwärtigen Augenblick?!
     Hier ist es schwer, gleichsam den Kopf oben zu behalten, – zu sehen, daß wir bei den Dingen des alltäglichen Denkens bleiben müssen und nicht auf den Abweg zu geraten, wo es scheint, als müßten wir die letzten Feinheiten beschreiben, die wir doch wieder mit unsern Mitteln gar nicht beschreiben könnten. Es ist, als sollten wir ein zerstörtes Spinnennetz mit unsern Fingern in Ordnung bringen.
     (Auch in diesen Überlegungen || rührt das Problematische nicht daher, daß wir noch nicht auf den Grund der Erscheinungen gekommen wären; sondern daher, daß wir uns in der Grammatik unserer Ausdrucksweise, die Zeichen, die physikalischen Gegenstände betreffend, nicht auskennen.)
   
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     Je genauer wir aber die tatsächliche Sprache uns ansehen, desto stärker wird der Widerstreit zwischen ihr und unsrer Forderung. (Die Kristallreinheit der Logik hatte sich mir ja nicht ergeben,
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sondern sie war ja eine Forderung.) Der Widerstreit wird unerträglich; die Forderung droht nun zu etwas Leerem zu werden. – Wir sind aufs Glatteis geraten, wo die Reibung fehlt, also die Bedingungen in gewissem Sinne ideal sind, aber wir eben deshalb auch nicht gehen können. Wir wollen gehen; dann brauchen wir die Reibung. Zurück auf den rauhen Boden!
     Hier erkennen wir nun, daß, was wir “Satz”, “Sprache”, nennen, nicht die formelle Einheit ist, die ich mir vorstellte, sondern die Familie mehr oder weniger miteinander verwandter Gebilde. – Was aber wird nun aus der Logik? Ihre Strenge scheint hier aus dem Leim zu gehen. – Verschwindet sie damit aber nicht ganz? – Denn wie kann die Logik ihre Strenge verlieren?! Natürlich nicht dadurch, daß man ihr etwas von ihrer Strenge abhandelt. – Das Vorurteil der Kristallreinheit kann nur so beseitigt werden, daß wir unsere ganze Betrachtung drehen. Und dadurch jene Reinheit eine andere Stelle erhält. (Man könnte sagen: die Betrachtung muß gedreht werden, aber um unser eigentliches Bedürfnis als Angelpunkt.)
   
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     Richtig war, daß unsere Betrachtungen nicht wissenschaftliche Betrachtungen sein durften. Die Erfahrung, “daß sich das oder das denken lasse, entgegen unserm Vorurteil” – was immer das heißen mag – konnte uns nicht interessieren. (Die pneumatische Auffassung des Denkens.) Und wir dürfen keinerlei Theorie aufstellen. Es darf nichts Hypothetisches in unsern Betrachtungen sein. Alle Erklärung muß fort, und nur
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Beschreibung an ihre Stelle treten. Und diese Beschreibung empfängt ihr Licht, d.i. ihren Zweck, von den philosophischen Problemen. Diese sind freilich keine empirischen, sondern sie werden durch eine Einsicht in das Arbeiten unserer Sprache gelöst, und zwar so, daß dieses erkannt wird: entgegen einem Trieb, es mißzuverstehen. Die Probleme werden gelöst, nicht durch Beibringen neuer Erfahrung, sondern durch Zusammenstellung des längst Bekannten. Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.
     “Die Sprache (oder das Denken) ist etwas Einzigartiges”, das erweist sich als ein Aberglaube (nicht Irrtum!) hervorgerufen selbst durch grammatische Täuschungen.
     Und auf diese Täuschungen, auf die Probleme, fällt nun das Pathos zurück.
   
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     Die Probleme, die durch ein Mißdeuten unserer Sprachformen entstehen, haben den Charakter der Tiefe. Es sind tiefe Beunruhigungen; sie wurzeln so tief in uns, wie die Formen unserer Sprache und ihre Bedeutung ist so groß, wie die Wichtigkeit unserer Sprache. ‒ ‒ ‒ Fragen wir uns: Warum empfinden wir einen grammatischen Witz als tief? (Und das ist ja die philosophische Tiefe.)
     Worin liegt etwa die Tiefe des Witzes: “We called him tortoise because he taught us”? Wir werden plötzlich aufmerksam darauf, daß eine solche Ableitung des Substantivs unmöglich ist. – Warum
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sollte sie aber so unmöglich sein? Sie ließe sich auch sehr wohl denken (tschechische Zunamen, wie Zaplatil – – er zahlte). Und nun scheint der Witz seine Tiefe verloren zu haben. Dies kommt aber daher, daß wir unsere Aufmerksamkeit verschoben haben. – Betrachte ein anderes Beispiel: Lichtenberg läßt eine Magd in den “Briefen von Mägden über Literatur” die Zahl Hundert 001 schreiben. Wenn man sich sagt: “nun, es könnte ja auch in der Richtung geschrieben werden”, so fühlt man die Tiefe der Komik nicht. Diese liegt, glaube ich, in dem Zusammenhang unseres Dezimalsystems, in welchem das Zeichen “001” eine gewisse Stelle innehat. Die Tiefe der Absurdität des 001 erscheint erst für den, der, sozusagen, die mathematischen Konsequenzen aus diesem Schreibfehler ziehen kann. Nicht für den, der nur weiß, daß man so nicht hundert schreibt. – Man kann, das taught us betreffend, sagen: ein Verbum hat für uns eine Grundstellung (wie man bei Turnübungen sagt) und dann verschiedene Stellungen, verschiedenen Verrichtungen gemäß. Eine beliebige dieser Stellungen zur Bezeichnung dessen nehmen, der (z.B.) lehrt, ist so, als nähme man für das Standbild eines Menschen irgend eine Stellung, in der er sich auch einmal befinden kann. Die Grundstellung, könnte man sagen, repräsentiert den Menschen und der Infinitiv das Verbum. Es hätte für uns nicht das Komische des Substantivs “taught us”, wenn man statt dessen den Infinitiv des Verbums zur Bezeichnung des Lehrers verwendet hätte. –
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Die Tiefe der Absurdität liegt hier wieder in Verhältnissen, die eine längere Erklärung zulassen; weil sie den eigentümlichen Bau unserer Sprache betreffen. – Wenn wir auf das System unserer Sprache sehen, dann haben wir das Gefühl der Tiefe. Es ist, als sähen wir durch ihr Netz hindurch die ganze Welt.
   
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     Die philosophischen Fragen werden zur Ruhe gebracht dadurch, daß der Darstellungsform unserer Sprache ein uns beunruhigender Aspekt genommen wird.
     Ein Gleichnis, das in die Formen unserer Sprache aufgenommen ist, bewirkt einen falschen Schein; der beunruhigt uns: “Es ist doch nicht so!” – sagen wir. “Aber es muß doch so sein!!”
     Denk, wie uns das Substantiv “Zeit” ein Medium vorspiegeln kann; wie es uns in die Irre führen kann, daß wir einem Phantom || auf und ab nachjagen. (“Aber hier ist doch nichts! – Aber hier ist doch nicht nichts!”) Oder denke an das Problem: Wir können die Dauer eines Ereignisses messen, und doch ist sie nie gegenwärtig. – Oder an das Problem, welches daraus entsteht, daß das Wort “ist” Kopula und Gleichheitszeichen ist. Die Rose ist rot, und ist doch wieder nicht rot. Und der Satz der Identität sagt doch etwas, und er sagt doch wieder nichts.
     Man weiß keinen Ausweg, denn die Sprache scheint uns keinen zu lassen.
   
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     Wir ändern nun den Aspekt, indem wir
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einem System des Ausdrucks andere an die Seite stellen. – So kann der Bann, in dem uns eine Analogie hält, gebrochen werden, wenn man ihr eine andere an die Seite stellt, die wir als gleichberechtigt anerkennen. – Wir sind geneigt, den Satz der Identität als Grundgesetz des Seins fallen zu lassen, wenn uns ein System des Ausdrucks gezeigt wird, das diesen Satz mit andern, die uns auf ähnliche Weise beunruhigten, systematisch aus unsrer Notation ausschließt. – Und wir greifen zu der Notation, die das Wort “ist” einmal durch “ε”, einmal durch “ = ” ersetzt und das Problem der Identität in der Verschiedenheit verschwindet. “Ach so –” sagen wir, wenn uns die philosophische Erklärung gegeben wird, und atmen auf.
Das Seltsame an der philosophischen Beunruhigung und ihrer Lösung möchte scheinen, daß sie wie die Qual des Asketen ist, der, eine schwere Kugel stemmend, betäubt || unter Leiden dastand, und den ein Mann erlöste, indem er ihm sagte: “Laß sie fallen”. Man fragt sich: Wenn Dich diese Sätze beunruhigen, Du nichts mit ihnen anzufangen wußtest, warum ließest Du sie nicht schon früher fallen, was hat Dich daran gehindert? – Es war das System des Ausdrucks, welches mich in Bann hielt.
   
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     Eine Hauptquelle unseres Unverständnisses ist, daß wir den Gebrauch unserer Wörter nicht übersehen. – Unserer Grammatik fehlt es an Übersichtlichkeit. – Die übersichtliche Darstellung vermittelt das Verständnis, welches eben darin besteht, daß wir die ‘Zusammenhänge sehen’. Daher die Wichtigkeit des Findens der Zwischenglieder.
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     Der Begriff der übersichtlichen Darstellung ist für uns von grundlegender Bedeutung. Er bezeichnet unsere Darstellungsform, die Art, wie wir die Dinge sehen. (Vielleicht eine Art der ‘Weltanschauung’. Spengler.)
   
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     Die Philosophie darf den tatsächlichen Gebrauch der Sprache in keiner Weise antasten, sie kann ihn am Ende also nur beschreiben.
     Denn sie kann ihn auch nicht begründen.
     Sie läßt alles wie es ist.
     Sie läßt auch die Mathematik wie sie ist und keine mathematische Entdeckung kann sie weiter bringen.
     Ein “führendes Problem der mathematischen Logik” (Ramsey) ist ein Problem der Mathematik, wie jedes andere.
   
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     Ein Gleichnis gehört zu unserem Gebäude; aber wir können auch aus ihm keine Folgen ziehen; es führt uns nicht über sich selbst hinaus, sondern muß als Gleichnis stehen bleiben. – Wir können keine Folgerungen daraus ziehen. So, wenn wir den Satz mit einem Bild vergleichen (wobei ja, was wir unter “Bild” verstehen, schon früher in uns festliegen muß) oder die Anwendung der Sätze, das Operieren mit Sätzen, mit der Anwendung eines Kalküls, z.B. des Multiplizierens.
     Die Philosophie stellt eben alles bloß hin, und erklärt und folgert nichts. – Da alles offen daliegt, ist auch nichts zu erklären. Denn, was etwa verborgen ist, interessiert uns nicht.
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     “Philosophie” könnte man auch das nennen, was vor allen neuen Entdeckungen und Erfindungen möglich ist.
     Wenn Einer die Lösung des ‘Problems des Lebens’ gefunden zu haben glaubt und sich sagen wollte, jetzt sei alles ganz leicht, so brauchte er sich zu seiner Widerlegung nur erinnern, daß es eine Zeit gegeben hat, wo die Lösung nicht gefunden war; aber auch zu der Zeit mußte man leben können, und im Hinblick auf sie erscheint die gefundene Lösung als ein Zufall. Und so geht es in der Logik. Wenn es eine ‘Lösung’ – wie eines mathematischen Problems – der logischen, d.i. philosophischen Probleme gäbe, so müßten wir uns nur vorhalten, daß sie ja einmal nicht gelöst waren (und auch da mußte man leben und denken können).
   
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     Die Arbeit des Philosophen ist ein Zusammentragen von Erinnerungen zu einem bestimmten Zweck.
     (Die Anlage zur Philosophie beruht auf der Fähigkeit, von einer Tatsache der Grammatik einen starken und nachhaltigen Eindruck zu empfangen.)
     Das Lernen der Philosophie ist wirklich ein Rückerinnern. Wir erinnern uns, daß wir die Worte wirklich auf diese Weise gebraucht haben.
     Wollte man Thesen in der Philosophie aufstellen, es könnte nie über sie zur Diskussion kommen, weil Alle mit ihnen einverstanden wären.
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     Die philosophisch wichtigsten Aspekte der Dinge sind durch ihre Einfachheit und Alltäglichkeit verborgen. (Man kann es nicht bemerken, weil man es immer offen vor Augen hat.) Die eigentlichen Grundlagen seiner Forschung fallen dem Menschen gar nicht auf. Es sei denn, daß ihm dies einmal aufgefallen ist. – Und das heißt, das Auffallendste (Stärkste) fällt ihm nicht auf.
   
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     Der Philosoph trachtet das erlösende Wort zu finden, das ist das Wort, das uns endlich erlaubt, das zu fassen, was bis dahin, ungreifbar, unser Bewußtsein belastet hat. (Es ist, wie wenn uns ein Haar auf der Zunge liegt; man spürt es, aber kann es nicht fassen und darum nicht los werden.)
     Eine unsrer wichtigsten Aufgaben ist es, alle falschen Gedankengänge so charakteristisch auszudrücken, daß der Andre sagt: “Ja, genau so hab ich es gemeint”. Die Physiognomie jedes Irrtums nachzuzeichnen. Wir können auch nicht den Andern eines Fehlers überführen, es sei denn, daß er diesen Ausdruck als den eigentlichen Ausdruck seines Gefühls anerkennt. – Nämlich nur, wenn er ihn als solchen anerkennt, ist er der richtige Ausdruck. (Psychoanalyse.) Was der Andre anerkennt, ist die Analogie, die ich ihm darbiete, als Quelle seines Gedankens.
   
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     So befreien wir auch vom Bann des Ideals, indem wir es als Bild anerkennen und seinen Ursprung angeben. – Wie bist Du zu diesem Ideal gekommen; aus welchem Material hast Du es geformt? Welche
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konkrete Vorstellung war sein eigentliches Urbild? Dies müssen wir uns fragen, sonst können wir seinen irreführenden Aspekt nicht los werden. (Ästhetik.)
     Es ist von der größten Bedeutung, daß wir uns zu einem Kalkül der Logik immer ein Beispiel denken, worauf er wirklich anzuwenden ist; und nicht Beispiele geben und sagen: dies seien nicht die idealen, für die der Kalkül wirklich gelte, diese hätten wir noch nicht. Das ist das Zeichen einer falschen Auffassung. Kann ich den Kalkül überhaupt verwenden, dann ist das auch die ideale Verwendung und die Verwendung, um die es geht. – Man will nämlich nicht das reale Beispiel als die ideale Verwendung anerkennen, da man in ihm allerlei Verhältnisse sieht, eine Mannigfaltigkeit, die der Kalkül nicht berührt (die er gleichsam übersieht). Aber es ist der wahre Gegenstand, das Material, des Kalküls und er davon hergenommen. Und dies ist kein Fehler, keine Unvollkommenheit des Kalküls. Der Fehler lag darin, seine Anwendung in nebelhafter Ferne zu versprechen.
     Man könnte sich denken, daß jemand sagt: “Wenn Einer eine Menge Rutenbündel zählt, – das eigentliche Bündel können ja nicht die Stäbe sein. Denn die Stäbe können abbrechen und herausfallen, – und doch bleibt das Bündel das Bündel. Die Stäbe: das ist etwas Unreinliches, und ich könnte dieses Unklare nicht mit meinen reinen, klaren Zahlen 1, 2, 3, … zählen.” (Aber einmal müßtest Du den
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Schritt doch machen, vom Reinen, Klaren – zum Unreinlichen. Das Reine, Klare aber ist das Spiel der Zeichen.)
     Nur so nämlich können wir der Ungerechtigkeit, oder Leere unserer Behauptungen entgehen, indem wir das Vorbild als das, was es ist, als Vergleichsobjekt – sozusagen als Maßstab – hinstellen; und nicht als das Vorurteil, dem die Wirklichkeit entsprechen müsse. (Ich denke an die Betrachtungsweise Spenglers.) Hierin nämlich liegt der Dogmatismus, in den unsre Philosophie vielleicht || so leicht verfallen kann.
Es ist wahr: eine Maßeinheit ist gut gewählt, wenn sie viele der Längen, die wir mit ihr messen wollen, in ganzen Zahlen ausdrückt. Aber der Dogmatismus behauptet, jede Länge müsse ein ganzes Vielfaches unserer Maßeinheit sein.
   
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     Ich habe seinerzeit (in der Log. Phil. Abh.) gesagt, der ‘Elementarsatz’ sei eine Verkettung von Namen. Denn den Namen entsprächen Gegenstände und dem Satz entspreche ein Komplex aus ihnen. Dem Satz, “Die Flasche steht rechts vom Glas”, wenn er wahr ist, entspricht der Komplex bestehend aus der Flasche, dem Glase und der Relation Rechts-Links (oder wie man sie bezeichnen will). – Die sprachwidrige Verwendung des Wortes “Gegenstand” und “Komplex”!! Ein Häuserkomplex ‘besteht’ doch aus den Häusern, und nicht aus ihnen und ihren
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gegenseitigen Lagen! Und wenn ich sage, ich sehe drei Gegenstände auf dem Tisch, so meine ich doch nicht: das Glas, die Flasche und ihre räumliche Beziehung.
     Man kann, für Andere verständlich, von Kombinationen von Farben mit Formen sprechen (etwa der Farben rot und blau mit den Formen Quadrat und Kreis) ebenso wie von Kombinationen verschiedener Formen oder Körper. Und dies ist die Wurzel meines schiefen Ausdrucks: die Tatsache sei ein Komplex von Gegenständen. Zu sagen, ein roter Kreis ‘bestehe aus’ Röte und Kreisförmigkeit, sei ein Komplex aus diesen Bestandteilen, ist ein Mißbrauch dieser Wörter, und irreführend. (Verwandt damit: die Verwechslung von color und pigmentum.) Die Tatsache, daß dieser Kreis rot ist, ‘besteht’ aus gar nichts. (Frege beanstandete meinen Ausdruck, indem er sagte: “der Teil ist doch kleiner als das Ganze.”)
   
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     Aber ich suche, suche krampfhaft, nach einem System, nach einer Einheit aller Sätze. – Und nun werde ich der Gefangene bestimmter Ausdrucksformen meiner Sprache, bleibe im Netze der Sprache hängen. ‒ ‒ ‒ Denn, wenn wir statt “die || Die Flasche ist blau” sagen: “Die Flasche hat die Eigenschaft Blau”, statt “Die Flasche steht rechts vom Glase”: “Die Flasche steht zum Glase in der Beziehung Rechts”, u.s.f., – so kann es allerdings den Anschein gewinnen, als sei jeder Satz eine Verbindung von Namen. Denn alle Wörter mit, quasi, materieller Bedeutung erscheinen hier verstreut
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in einem Netz rein logischer Beziehungen. ‒ ‒ ‒ Und wieder: Allen Wörtern im Satz entsprechen Gegenstände; denn “Paul” bezeichnet das, “ißt” bezeichnet das, “drei” das, und “Äpfel” das. ‒ ‒ ‒ Das Bild hielt uns gefangen. Und heraus konnten wir nicht, denn es lag in unsrer Sprache, und sie schien es uns nur unerbittlich zu wiederholen. Um dem Bann der Ausdrucksformen zu entgehen, müssen wir die Sprache durchpflügen.
   
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     “Jeder Satz sagt: Es verhält sich so und so”. Hier ist so eine Form, die uns verführen kann. (Mich verführt hat.)
     Bei Plato: “Wer Etwas meint, meint doch etwas Seiendes.” (Theätet.)
     Das ist die Art Satz, die man sich unzählige Male wiederholt. Man glaubt, wieder und wieder der Natur nachzufahren, und fährt nur der Form entlang, durch die wir sie betrachten.
     Denke Dir, die Menschen pflegten auf Gegenstände immer in der Weise zu zeigen, daß sie mit dem Finger in der Luft gleichsam einen Kreis um den Gegenstand beschrieben. Man könnte sich dann denken, daß ein Philosoph sagen möchte: “Jedes Ding ist doch kreisrund; denn der Tisch sieht so aus, der Ofen so, die Lampe so” etc., indem er jedesmal einen Kreis um das Ding schlägt.
     Oder man sagt: “Ich habe doch einen bestimmten Begriff vom Satz! Ein Satz sagt: es ist so
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und so.” – Oder: “Ich weiß doch, was das Wort ‘Satz’ bedeutet!” ‒ ‒ ‒ Ja, ja, könnte man antworten, aber was heißt denn das? ich meine, wie wird denn dieser Satz angewandt, daß Du weißt, was das Wort “Satz” bedeutet? Von wem sagt man denn das, und von wem das Gegenteil? Rufe Dir doch die praktische Verwendung dieser Behauptung ins Gedächtnis!
     Wir ziehen immer wieder die Ausdrucksform nach und glauben, wir haben die Sache gezeichnet. – Durch eine optische Täuschung scheinen wir im Innern der Dinge zu sehen, was auf unsrer Brille gezeichnet ist.
     “Es ist doch so –” sagen wir uns wieder und wieder. Es ist uns, als müßten wir das Wesen der Sache erfassen, wenn wir unsern Blick nur ganz scharf auf dies Faktum einstellen, es in den Brennpunkt rücken könnten. Denn es scheint eben im Innern der Sache zu liegen. Erst wenn diese optische Täuschung entfernt ist, können wir nun die Sprache einfach sehen, wie sie ist.
     Der Ausdruck dieser Täuschung aber ist die metaphysische Verwendung unsrer Wörter. Denn man prädiziert nun von der Sache, was in der Darstellungsweise liegt. Die Möglichkeit des Vergleichs, die uns beeindruckt, nehmen wir für die Wahrnehmung einer höchst allgemeinen Sachlage.
     Denn, “Gegenstand” hat man doch nie, z.B., die Lage eines Dinges genannt. Und sagt
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man denn vom Satz “Es regnet”, er sage: es verhält sich so und so? Wie gebraucht man denn diesen Ausdruck in Wirklichkeit? Denn von diesem Gebrauch hast ja Du ihn gelernt. Verwendest Du ihn nun gegen seinen ursprünglichen Gebrauch und denkst, Du spieltest noch das alte Spiel mit ihm, so ist das, als wenn Du mit Schachfiguren Dame spieltest und Dir einbildetest, es hafte den Figuren nun doch noch etwas vom Schachspiel an.
     Wenn die Philosophie || Philosophen ein Wort gebrauchen (“Wissen”, “Sein”, “Gegenstand”, “Ich”, etc.), und das Wesen des Dings zu erfassen trachten, muß man sich immer fragen: wird denn dieses Wort in der Sprache, in der es seine Heimat hat, je tatsächlich so gebraucht? –
   
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     Wir führen die Wörter von ihrer metaphysischen, wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurück. (Der Mann, der sagte, man könne nicht zweimal in den gleichen Fluß steigen, sagte etwas Falsches; man kann zweimal in den gleichen Fluß steigen. ‒ ‒ ‒ Und ein Gegenstand hört manchmal auf zu existieren, wenn ich aufhöre ihn zu sehen, und manchmal nicht. ‒ ‒ ‒ Und wir wissen manchmal, welche Farbe der Andere sieht, wenn er diesen Gegenstand betrachtet, und manchmal nicht.) Und so sieht die Lösung aller philosophischen Schwierigkeiten aus. Unsere Antworten müssen, wenn sie richtig sind, gewöhnliche und triviale sein. – Denn diese Antworten machen sich gleichsam über die Fragen lustig.
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     Woher nimmt die Betrachtung ihre Wichtigkeit, da sie doch nur alles Interessante, d.h. alles Große und Wichtige, zu zerstören scheint? (Gleichsam alle Bauwerke; indem sie nur Steinbrocken und Schutt übrig läßt.) Aber es sind nur Luftgebäude, die wir zerstören, und wir legen den Grund der Sprache frei, auf dem sie standen.
     Die Ergebnisse der Philosophie sind die Entdeckung irgendeines schlichten Unsinns und Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an das Ende || die Grenze der Sprache geholt hat. Sie, die Beulen, lassen uns den Wert jener Entdeckung erkennen.
   
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     Daß ich bei meinen Erklärungen, die Sprache betreffend, schon die volle Sprache (nicht etwa eine vorbereitende, vorläufige) anwenden muß, zeigt schon, daß ich nur Äußerliches über die Sprache vorbringen kann.
     Ja, aber wie können uns diese Ausführungen dann befriedigen? – Nun, Deine Fragen waren ja auch schon in dieser Sprache abgefaßt; mußten in dieser Sprache ausgedrückt werden, wenn etwas zu fragen war!
     Und Deine Skrupel sind Mißverständnisse.
     Deine Fragen beziehen sich auf Wörter, so muß ich von Wörtern reden.
     (Hierher gehört auch: Wenn die Philosophie
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vom Gebrauch des Worts “Philosophie” redet, so könnte man meinen, es muß also eine Philosophie zweiter Ordnung geben. Aber es ist eben nicht so; sondern der Fall entspricht dem der Rechtschreiblehre, die es auch mit dem Wort “Rechtschreiblehre” zu tun hat, aber dann nicht eine Rechtschreiblehre zweiter Ordnung ist.)
   
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     Da unser Ziel ist, den Bann zu brechen, in welchem uns gewisse Sprachformen halten, so wollen wir in unserm Wissen vom Gebrauch der Sprache eine Ordnung herstellen, die dies möglich macht. D.i. eine Ordnung zu einem bestimmten Zweck; eine von vielen möglichen Ordnungen. (Keine Über-Ordnung. Wir werden zu diesem Zweck immer wieder Unterscheidungen hervorheben, die unsere gewöhnlichen Sprachformen leicht übersehen lassen. Dadurch kann es allerdings den Anschein erhalten, als sähen wir es für unsre Aufgabe an, die Sprache zu reformieren.
     So eine Reform für bestimmte praktische Zwecke, die Verbesserung unserer Terminologie zur Vermeidung von Mißverständnissen im praktischen Gebrauch, ist wohl möglich. Aber das sind nicht die Fälle, mit denen wir es zu tun haben. Die Konfusionen, die uns beschäftigen, entstehen, gleichsam, wenn die Sprache feiert, nicht wenn sie arbeitet. (Man könnte sagen: wenn sie leerläuft.)
   
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     Wir wollen nicht das Regelsystem für die Verwendung unserer Worte in unerhörter Weise verfeinern oder vervollständigen.
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     Wie hätten wir uns ein komplettes Regelverzeichnis für die Verwendung eines Worts zu denken? – Was versteht man unter einem kompletten Regelverzeichnis für die Verwendung einer Figur im Schachspiel? Könnten wir uns nicht Zweifelsfälle konstruieren, in denen das normale Regelverzeichnis nicht entscheidet? Denke etwa an so eine Frage: wie ist es festzustellen, wer zuletzt gezogen hat, wenn die Zuverlässigkeit des Gedächtnisses der Spieler angezweifelt wird?
     Die Verkehrsregelung in den Straßen erlaubt und verbietet gewisse Handlungen der Fahrer und Fußgänger; aber sie versucht nicht, ihre sämtlichen Bewegungen durch Vorschriften zu leiten. Und es wäre sinnlos, von einer ‘idealen’ Verkehrsordnung zu reden, die das täte; wir wüßten zunächst gar nicht, was wir uns unter diesem Ideal zu denken hätten. Wünscht Einer die Verkehrsordnung in irgendwelchen Punkten strenger zu gestalten, so bedeutet das nicht, er wünsche sie so einem Ideal anzunähern.
   
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     Auch sind unsere exakten Sprachspiele nicht Vorstudien zu einer künftigen Reglementierung unserer tatsächlichen Sprache, gleichsam erste Annäherungen, ohne Berücksichtigung der Reibung und des Luftwiderstands. Diese Auffassung führt zu Ungerechtigkeiten (Nicod und Russell.) Vielmehr stehen die Sprachspiele da als Vergleichsobjekte, die durch Ähnlichkeit und Unähnlichkeit ein Licht in die Verhältnisse unsrer Sprache werfen sollen.
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     Denn die Klarheit, die wir anstreben, ist allerdings eine vollkommene. Aber das heißt nur, daß die philosophischen Probleme vollkommen verschwinden sollen.
   
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     Die eigentliche Entdeckung ist die, die mich fähig macht, mit dem Philosophieren aufzuhören, wann ich will. – Die die Philosophie zur Ruhe bringt, so daß sie nicht mehr von Fragen gepeitscht wird, die sie selbst in Frage stellen. – Sondern es wird nur an Beispielen eine Methode gezeigt, und die Reihe dieser Beispiele kann man abbrechen. ‒ ‒ ‒ Es werden Probleme gelöst (Schwierigkeiten beseitigt), nicht ein Problem.
     Die Unruhe in der Philosophie, könnte man sagen, kommt daher, daß wir die Philosophie falsch ansehen, falsch sehen, nämlich gleichsam in (endlose) Längsstreifen zerlegt, statt in (begrenzte) Querstreifen. Die || Diese Umstellung der Auffassung macht die größte Schwierigkeit. Wir wollen also gleichsam den unbegrenzten Streifen erfassen, und klagen, daß es nicht Stück für Stück möglich ist. Freilich nicht, wenn man unter einem Stück einen endlosen Längsstreifen versteht. Wohl aber, wenn man einen Querstreifen darunter versteht. – Aber dann kommen wir ja mit unserer Arbeit wieder nicht zu Ende! – Freilich nicht, denn sie hat keins.
     (Statt der turbulenten Mutmaßungen und Erklärungen wollen wir ruhige Erwägung sprachlicher Tatsachen setzen.)
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     Laß uns zu dem Satz zurückkehren: “Jeder Satz sagt: es verhält sich so und so.” – Inwiefern ist denn dies die Form jedes Satzes? – Es ist vor allem selbst ein Satz, ein deutscher Satz, denn es hat Subjekt und Prädikat (ein Verbum). Wie aber wird dieser Satz angewendet – in unsrer alltäglichen Sprache angewendet? Denn nur daher habe ich ihn ja genommen. ‒ ‒ ‒ Wir sagen z.B.: Er erklärte mir seine pekuniäre Lage, sagte, es verhält sich so und so und ich brauche daher einen Vorschuß. Man kann also insofern sagen, jener Satz stünde für irgendwelche Aussagen. Er wird als Satzschema verwendet; aber das nur, weil er den Bau eines deutschen Satzes hat. Man könnte statt seiner ohneweiters auch sagen: “das und das ist der Fall”, oder “so und so liegen die Sachen”, etc. Wir könnten uns aber auch leicht vorstellen, daß Leute für diesen Zweck einen ‘sinnvollen’ Satz verwenden – etwa einen sehr abgedroschenen – wie, “Der Himmel ist blau”. Und wer in der neuern Logik aufgewachsen ist, wird vielleicht sagen: “Er sagte: p, und ich brauche daher einen Vorschuß”. – Aber den Buchstaben ‘p’ wird doch niemand die allgemeine Form eines Satzes nennen. – Wie gesagt: – “Es verhält sich so und so” war dies nur dadurch, daß es selbst das ist, was man einen deutschen Satz nennt. Denn es enthält das Fürwort “es” und das Verbum in der dritten Person der Einzahl. – Aber obschon es ein Satz ist, so hat es doch nur als Satzvariable Verwendung. Zu sagen, dieser Satz stimme mit der Wirklichkeit
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überein (oder nicht überein) wäre offenbarer Unsinn. Und er illustriert also dies, daß ein Merkmal unseres Satzbegriffes der Satzklang ist – wie wir es nennen könnten.
     Es wäre mir, z.B., nicht eingefallen, statt jenes Satzschemas die Form “es so” zu setzen, und doch könnte in einer Sprache, die (wie z.B. die russische) keine Kopula verwendet, dies sehr wohl als Satzvariable gebraucht werden.
   
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     Ja aber haben wir denn nicht einen Begriff davon, was ein Satz ist, was wir unter “Satz” verstehen? – Doch, – insofern wir auch einen Begriff davon haben, was wir unter Spiel verstehen. Gefragt, was ein Satz ist – ob wir nun einem Andern antworten sollen, oder uns selbst – werden wir Beispiele angeben und unter diesen auch, was man induktive Reihen von Sätzen nennen kann; nun, auf diese Weise haben wir einen Begriff vom Satz. (Vergleiche den Begriff des Satzes mit dem Begriff der Zahl!)
   
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     Im Grunde ist die Angabe von “es verhält sich so und so” als allgemeine Form des Satzes das Gleiche, wie die Erklärung: ein Satz sei alles, was wahr oder falsch sein könne. Denn statt “es verhält sich …” hätte ich auch sagen können: “das und das ist wahr”. (Aber auch: “das und das ist falsch”.)
     Nun ist aber
      p ist wahr = p
      p ist falsch = nicht-p
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Und zu sagen, ein Satz sei alles, was wahr oder falsch sein könne, kommt darauf hinaus: einen Satz nennen wir das, worauf wir in unserer Sprache den Kalkül der Wahrheitsfunktionen anwenden.
     Denn hier ist es nun leicht, in einen Irrtum zu verfallen: Es scheint nämlich, als bestimmte die Erklärung – Satz sei dasjenige, was wahr oder falsch sein könne – was ein Satz ist, indem sie sage: Was zum Begriff ‘wahr’ paßt, oder, worauf der Begriff ‘wahr’ paßt, das ist ein Satz. Es ist also so, als hätten wir einen Begriff von wahr und falsch, mit dessen Hilfe wir nun bestimmen können, was ein Satz ist und was keiner. Was in den Begriff der Wahrheit eingreift, wie ein Zahnrad, das ist ein Satz.
     Aber das ist ein irreführendes Bild. – Es ist, als sagte man: “Schachkönig ist die Figur, der man Schach ansagen kann”. Aber das kann doch nur heißen, daß wir in unserm gebräuchlichen Schachspiel nur dem König Schach geben. So wie der Satz, daß nur ein Satz wahr sein könne, nur sagen kann, daß wir “wahr” und “falsch” nur von dem prädizieren, was wir einen Satz nennen. Und was ein Satz ist, ist in einem Sinne bestimmt durch die Regeln des Satzbaus (der deutschen Sprache z.B.), in einem andern Sinne durch den Gebrauch des Zeichens im Sprachspiel. Und der Gebrauch der Wörter “wahr” und “falsch” kann auch ein Bestandteil dieses Spiels sein; und dann gehört er für uns zum Satz, aber
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er ‘paßt’ nicht zu ihm. Wie wir auch sagen können, daß Schachgeben gehöre zu unserm Begriff vom Schachkönig (gleichsam als ein Bestandteil desselben). Zu sagen, das Schachgeben passe nicht auf unsern Begriff von den Bauern würde heißen, daß ein Spiel, in welchem den Bauern Schach gegeben wird, in welchem etwa der verliert, der seine Bauern verliert, daß ein solches Spiel uninteressant wäre, oder zu kompliziert, oder dergleichen.
   
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     Aber wie ist es denn, wenn wir das Subjekt im Satz bestimmen lernen durch die Frage “Wer oder was …?” – Hier gibt es doch ein ‘Passen’ des Subjekts zu dieser Frage; denn wie erführen wir sonst durch die Frage, was das Subjekt ist? Nun, wir erfahren es in ähnlicher Weise, wie wir erfahren, welcher Buchstabe im Alphabet nach dem ‘K’ kommt, indem wir uns das Alphabet bis zum ‘K’ hersagen. Inwiefern paßt nun das ‘L’ zu jener Buchstabenreihe? – Und insofern || insofern könnte man auch sagen, “wahr” und “falsch” passe zum Satz, und man könnte ein Kind lehren, Sätze von Ausdrücken zu unterscheiden, die keine Sätze sind, indem man ihm sagt: “Frag Dich, ob Du danach sagen kannst ‘ist wahr’! Wenn diese Worte passen, so ist es ein Satz.” (Und ebenso hätte man sagen können: frage Dich, ob Du davor die Worte “Es verhält sich so:” setzen kannst.)

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     Ja aber kann denn nicht die Bedeutung eines Worts, welche ich verstehe, zum Sinn des Satzes, den ich verstehe, passen? Oder die Bedeutung eines Worts zur Bedeutung eines andern Worts? – Freilich, wenn die Bedeutung des Worts der Gebrauch ist, den wir von ihm machen, das Spiel, das wir mit ihm spielen, dann hat es keinen Sinn, von so einem Passen zu reden: nun verstehen wir aber doch die Bedeutung eines Wortes, wenn wir es hören, oder aussprechen; wir erfassen sie mit einem Schlage; und was wir so erfassen, ist doch etwas Anderes, als der in der Zeit ausgedehnte ‘Gebrauch’!
   
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     Wenn mir jemand z.B. das Wort “Würfel” sagt, so weiß ich, was es bedeutet. Aber kann mir denn die ganze Verwendung des Wortes vorschweben, wenn ich es so verstehe?
     Ja, wird aber anderseits die Bedeutung des Worts nicht auch durch diese Verwendung bestimmt? Und können sich diese Bestimmungen nun widersprechen? Kann, was wir so mit einem Schlage erfassen, mit einer Verwendung übereinstimmen, zu ihr passen, oder nicht zu ihr passen? Und wie kann das, was uns in einem Augenblicke gegenwärtig ist, was uns in einem Augenblicke vorschwebt, zu einer Verwendung passen?!
     Was ist es denn eigentlich, was uns vorschwebt, wenn wir ein Wort verstehen? ‒ ‒ ‒ Ist es nicht etwas, wie ein Bild? Kann es nicht ein
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Bild sein?
     Nun nimm an, beim Hören des Wortes “Würfel” schwebt Dir ein Ding vor. Etwa das Bild . Inwiefern kann dies Bild zu einer Verwendung des Wortes “Würfel” passen, oder nicht zu ihr passen? – Vielleicht sagst Du: “Das ist einfach: wenn mir dieses Bild vorschwebt und ich zeige z.B. auf ein dreieckiges Prisma und sage, dies sei ein Würfel, so paßt diese Verwendung nicht zum Bild.” – Aber paßt sie nicht? Ich habe das Beispiel absichtlich so gewählt, daß es ganz leicht ist, sich eine ‘Projektionsmethode’ vorzustellen, nach welcher das Bild nun doch paßt.
     Das Bild des Würfels legte uns allerdings eine gewisse Verwendung nahe, aber ich konnte es auch anders verwenden.
   
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     Welcher Art war dann aber mein Irrtum; der, welchen man so ausdrücken möchte: ich hätte geglaubt, das Bild zwinge mich nun zu einer bestimmten Anwendung? Wie konnte ich denn das glauben? Was habe ich denn da geglaubt? Gibt es denn ein Bild, oder etwas einem Bild Ähnliches, was uns zu einer bestimmten Anwendung zwingt, und war mein Irrtum also eine Verwechslung? – Denn wir könnten geneigt sein, uns auch so auszudrücken: wir seien höchstens unter einem psychologischen Zwang, aber unter keinem logischen. Und da scheint es ja völlig, als kennten wir zweierlei Fälle.
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     Was tat denn mein Argument? Es machte Dich drauf aufmerksam (erinnerte Dich daran), daß Du unter Umständen bereit wärest, auch einen andern Vorgang “Anwendung des Würfelbildes” zu nennen, als nur den, an welchen Du ursprünglich gedacht hattest. Dein Glauben, das Bild zwinge Dich zu einer bestimmten Anwendung bestand also darin, daß Dir nur der eine Fall und kein andrer einfiel. “Es gibt auch eine andere Lösung” heißt: es gibt auch etwas Anderes, was ich bereit bin ‘Lösung’ zu nennen, worauf ich bereit bin, das und das Bild, die und die Analogie, anzuwenden etc.¤
     Und das Wesentliche ist nun, daß wir sehen, daß uns das Gleiche beim Hören des Wortes vorschweben, und seine Anwendung doch eine andere sein kann. Und hat es dann beidemale die gleiche Bedeutung? Ich glaube, das werden wir verneinen.
   
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     Aber wie, wenn uns nicht einfach das Bild des Würfels, sondern dazu auch die Projektionsmethode vorschwebt? ‒ ‒ ‒ Wie soll ich mir das denken? – Etwa so, indem ich ein Schema der Projektionsart vor mir sehe. Ein Bild etwa, das zwei Würfel zeigt durch Projektionsstrahlen miteinander verbunden. – Aber bringt mich das denn || denn das wesentlich weiter? Kann ich mir nun nicht auch verschiedene Anwendungen dieses Schemas denken?! ‒ ‒ ‒ Ja aber kann mir denn also nicht
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eine Anwendung vorschweben? – Doch; nur müssen wir uns über unsre Anwendung dieses Ausdrucks klarer werden. Nimm an, ich setze jemandem verschiedene Projektionsmethoden auseinander, damit er sie dann anwende; und fragen wir uns, in welchem Falle wir sagen werden, es schwebe ihm die Projektionsmethode vor, welche ich meine.
     Wir erkennen dafür nun offenbar zweierlei Kriterien an: einerseits das Bild (welcher Art immer es sei) welches ihm zu irgendeiner Zeit vorschwebt, anderseits die Anwendung, die er – mit der Zeit – von dieser Vorstellung macht. (Und ist es hier nicht klar, daß es durchaus unwesentlich ist, daß dieses Bild ihm im Geiste vorschwebt, und nicht vielmehr als eine Zeichnung vor ihm liegt, oder als Modell; oder von ihm hergestellt wird?)
     Können nun Bild und Anwendung kollidieren? Nun, sie können insofern kollidieren, als uns das Bild eine andere Anwendung erwarten läßt: – weil die Menschen im allgemeinen von diesem Bild diese Anwendung machen.
     Ich will sagen: Es gibt hier einen normalen Fall und abnormale Fälle.
   
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     Betrachten wir zur Klärung unsrer Begriffe diese Art von Sprachspiel: B soll auf den Befehl des A Reihen von Zeichen niederschreiben nach einem bestimmten Bildungsgesetz.
     Die erste dieser Reihen soll die sein der natürlichen Zahlen im Dezimalsystem. – Wie lernt er dieses
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System verstehen? – Nun, zunächst werden ihm Zahlenreihen vorgeschrieben und er wird angehalten, sie nachzuschreiben. (Stoße Dich nicht daran, daß ich sage “Zahlenreihen,”, statt “Reihen von Zahlzeichen”. Du verstehst mich doch!) Und schon hier gibt es eine normale und eine abnormale Reaktion des Lernenden. – Wir führen ihm etwa zuerst beim Nachschreiben der Reihe 0 bis 9 die Hand; dann aber wird die Möglichkeit der Verständigung daran hängen, daß er nun selbständig weiterschreibt. – Und hier können wir uns, z.B., denken, daß er nun zwar selbständig Ziffern kopiert, aber nicht nach der Reihe, sondern regellos einmal die, einmal die. Und dann hört da die Verständigung auf. – Oder aber er macht ‘Fehler’ in der Reihenfolge. – Der Unterschied zwischen diesem und dem ersten Fall ist natürlich einer der Häufigkeit. – Oder: aber er macht einen ‘systematischen Fehler’, er schreibt z.B. immer nur jede zweite Zahl nach; oder er kopiert die Reihe 0, 1, 2, 3, 4, 5, … so: 1, 0, 3, 2, 5, 4, … Hier werden wir beinahe versucht sein, zu sagen, er habe uns falsch verstanden.
     Aber merke: Es gibt keine scharfe Grenze zwischen einem regellosen und einem systematischen Fehler. D.h.: zwischen dem, was Du einen “regellosen”, und dem, was Du einen “systematischen Fehler” zu nennen geneigt bist.
     Man kann ihm nun vielleicht den systematischen
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Fehler abgewöhnen (wie eine Unart). Oder, man läßt seine Art des Kopierens gelten und trachtet, ihm die normale Art als eine Abart, Variation, der seinigen beizubringen. – Und auch hier kann die Lernfähigkeit unseres Schülers abbrechen.
   
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     Nun laß mich diese Betrachtung für einen Augenblick unterbrechen und fragen: Was meine ich denn, wenn ich sage: “hier kann die Lernfähigkeit des Schülers abbrechen”? Teile ich das aus meiner Erfahrung mit? Natürlich nicht! (Auch wenn ich so eine Erfahrung gemacht hätte.) Und was tue ich denn mit jenem Satz? Ich möchte doch, daß Du sagst: “Ja, es ist wahr, das könnte man sich auch denken, das konnte auch geschehen!” Aber wollte ich Dich darauf aufmerksam machen, daß Du imstande bist, Dir dies vorzustellen? ‒ ‒ ‒ Ich wollte dies Bild vor Deine Augen stellen, und Deine Anerkennung dieses Bildes besteht darin, daß Du nun geneigt bist, einen gegebenen Fall anders zu betrachten: nämlich ihn mit dieser Bilderreihe zu vergleichen. Ich habe Deine Anschauungsweise geändert. (Ich habe irgendwo gelesen, daß indischen Mathematikern zum Beweis eines Satzes eine geometrische Figur dient mit den Worten: “Sieh' dies an!” Auch dies Ansehen bewirkt eine Änderung der Anschauungsweise.)
   
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     Der Schüler schreibe nun die Reihe 0 bis 9 zu unsrer Zufriedenheit. – Und dies wird nur der Fall sein, wenn ihm dies oft gelingt, nicht, wenn er es einmal unter hundert Versuchen richtig macht. (Aber wie oft ist ‘oft’?) Ich führe ihn nun weiter in der Reihe
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und lenke seine Aufmerksamkeit auf die Wiederkehr der ersten Reihe in den Einern; dann auf diese Wiederkehr in den Zehnern (was nur heißt, daß ich gewisse Betonungen anwende, Zeichen unterstreiche, in der und der Weise untereinander schreibe, u.dgl.). – Und nun setzt er einmal die Reihe selbständig fort, – oder er tut es nicht. – Ja, warum sagst Du das, das ist selbstverständlich! – Freilich! Ich wollte sagen: die Wirkung jeder weiteren Erklärung hänge von seiner Reaktion ab.
     Aber nehmen wir nun an, er setzt, nach einigen Bemühungen des Lehrers, die Reihe richtig fort, d.h. so, wie Du und ich es tun. Nun können wir also sagen: er beherrscht das System. Aber halt, – wie weit muß er die Reihe richtig fortsetzen, damit wir das mit Recht sagen können? Es ist klar: Du kannst hier keine Begrenzung angeben.
   
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     Wenn ich nun aber frage: “Hat er das System verstanden, wenn er die Reihe hundert Stellen weit fortsetzt?” Oder – wenn ich in unserm primitiven Beispiel nicht von ‘verstehen’ reden soll: Hat er das System inne, wenn er die Reihe bis dorthin richtig fortsetzt? – Da wirst Du vielleicht sagen: Das System innehaben (oder auch, verstehen) kann nicht darin bestehen, daß man die Reihe bis zu dieser oder bis zu jener Zahl fortsetzt; das ist nur die Anwendung des Verstehens. Das Verstehen selbst ist ein Zustand, woraus die richtige Verwendung entspringt.
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     Und an was denkst Du denn da eigentlich? Denkst Du nicht an das Ableiten einer Reihe aus ihrem algebraischen Ausdruck? Oder doch an etwas dem Analoges? – Aber da waren wir ja schon einmal. Wir können uns ja eben mehr als eine Anwendung eines algebraischen Ausdrucks denken; und jede Anwendungsart kann zwar wieder algebraisch niedergelegt werden, aber dies führt uns, selbstverständlich, nicht weiter. – Die Anwendung bleibt ein Kriterium des Verständnisses.
   
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     – “Aber wie kann sie das sein? Wenn ich sage, ich verstehe das Gesetz einer Reihe, so sage ich es doch nicht auf Grund der Erfahrung, daß ich bis jetzt den algebraischen Ausdruck so und so angewandt habe! Ich weiß doch von mir selbst jedenfalls, daß ich die und die Reihe meine, gleichgültig, wie weit ich sie tatsächlich entwickelt habe.” –
     Du meinst also: Du weißt die Anwendung des Gesetzes der Reihe, auch ganz abgesehen von einer Erinnerung an die tatsächlichen Anwendungen auf bestimmte Zahlen. Und Du wirst vielleicht sagen: “Selbstverständlich! denn die Reihe ist ja unendlich und das Reihenstück, das ich entwickeln konnte, endlich.” –
   
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     Worin aber besteht dies Wissen? Oder laß mich fragen: Wann weißt Du diese Anwendung? Ich meine: Immer, – Tag und Nacht? oder nur während Du gerade an das Gesetz der Reihe denkst? D.h.: Weißt Du sie, wie Du auch das ABC und das Einmaleins weißt und wie Du verschiedene Gedichte und Melodien, etc. auswendig
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weißt; oder ist das Wissen, wovon Du redest, ein Bewußtheitszustand oder Vorgang, etwa ein An-etwas-Denken oder dergleichen?
     Denn, wenn Du jetzt verschiedene Melodien auswendig weißt, wie kommt es, daß sie da zusammen nicht einen fürchterlichen Mißklang geben? Wenn Dich jemand fragt: “Weißt Du das ABC?” und Du antwortest mit “ja”, so heißt das doch nicht, daß Du jetzt eben im Geist das ABC durchgehst, oder in einem besondern Geisteszustand bist, der irgendwie dem Hersagen des ABC äquivalent ist.
   
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     Wenn man also sagen wollte, das Wissen des ABC sei ein Zustand der Seele, so kann || könnte das nur den Zustand eines hypothetischen Seelenapparates bedeuten, etwa einen Zustand unsres Gehirns, mittels welchem wir die Äußerungen dieses Wissens erklären. Einen seelischen Zustand in diesem Sinne will ich eine Disposition nennen. (Nichts wäre hier irreleitender, als der Gebrauch der Wörter “bewußtes” und “unbewußtes” Wissen für jenen Gegensatz. Denn dieses Wortpaar verhüllt einen grammatischen Unterschied.)
     Die Grammatik des Wortes “wissen” ist offenbar eng verwandt der Grammatik der Worte “können”, “imstande sein”. Aber auch eng verwandt der¤ des Wortes “verstehen”. Denn ich verstehe – schon seit Jahren – wie eine Dampfmaschine funktioniert, wie ich seit Jahren das ABC weiß, und Schach spielen kann.
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     Nun gibt es aber auch diese Verwendung des Wortes “wissen”: Wir sagen: “jetzt weiß ich's!” – und ebenso “jetzt kann ich's!” und “jetzt versteh ich's!”. Stellen wir uns dieses Beispiel vor: A schreibt Reihen von Zahlen an, B sieht ihm zu und trachtet, in der Zahlenfolge ein Gesetz zu finden. Ist es ihm gelungen, so ruft er: “Jetzt kann ich fortsetzen!” – Diese Fähigkeit, dieses Verstehen ist also etwas, was in einem Augenblick eintritt. Schauen wir also doch nach: Was ist es, was hier eintritt? – A habe die Zahlen 1, 5, 11, 19, 29 hingeschrieben; da sagt B, jetzt wisse er weiter. Was geschah da? Es konnte verschiedenerlei geschehen sein; z.B.: Während A langsam eine Zahl nach der andern hinsetzte, ist B damit beschäftigt, verschiedene algebraische Formeln an den angeschriebenen Zahlen zu versuchen. Als A die Zahl 19 geschrieben hatte, versuchte B die Formel an = n² + n ‒ 1; und die nächste Zahl bestätigte seine Annahme.
     Oder aber: B denkt nicht an Formeln. Er sieht mit einem gewissen Gefühl von Spannung zu, wie A seine Zahlen hinschreibt; dabei schwimmen ihm allerlei unklare Gedanken im Kopf. Endlich sagt er sich: “Was ist die Reihe der Differenzen?” Er findet: 4, 6, 8, 10 und sagt: Jetzt kann ich weiter.
     Oder er sieht hier hin und sagt: “Ja die Reihe kenn' ich”, und setzt sie fort. Wie er's etwa auch getan hätte, wenn A die Reihe 1, 3, 5, 7, 9, 11 hingeschrieben hätte. Oder er sagt gar nichts und schreibt
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bloß in der Reihe weiter. Vielleicht hatte er eine Empfindung, die man die Empfindung “das ist leicht!” nennen kann. (Eine solche Empfindung ist z.B. die¤ eines leichten, schnellen Einziehens des Atems, ähnlich wie bei einem gelinden Schreck.)
   
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     Aber sind denn diese Vorgänge, die ich da beschrieben habe, das Verstehen?
     “B versteht das System der Reihe” heißt doch nicht einfach: B fällt die Formel “an = …” ein! Denn es ist sehr wohl denkbar, daß ihm die Formel einfällt und er doch nicht versteht. “Er versteht”, muß mehr beinhalten als: ihm fällt die Formel ein. Und ebenso auch mehr, als irgendeiner jener, mehr oder weniger charakteristischen, Begleitvorgänge (oder Äußerungen) des Verstehens.
     Wir versuchen nun, jenen geistigen Vorgang des Verstehens, der sich, scheint es, hinter diesen leichter erkennbaren Begleiterscheinungen verbirgt, zu erfassen. || Wir versuchen nun, den seelischen Vorgang des Verstehens, der sich, scheint es, hinter jenen gröbern und daher leichter in die Augen fallenden Begleiterscheinungen versteckt, zu erfassen. Aber das gelingt nicht. Oder, richtiger gesagt: es kommt gar nicht zu einem wirklichen Versuch. Denn auch angenommen, ich hätte etwas gefunden, was in allen jenen Fällen des Verstehens geschähe, – warum sollte das nun das Verstehen sein? Ja wie konnte denn der Vorgang des Verstehens versteckt sein, wenn ich
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doch sagte, “jetzt verstehe ich”, weil ich verstand?! Und wenn ich sage, er ist versteckt, – wie weiß ich denn, wonach ich zu suchen habe? – Ich bin in einem Wirrwarr.
   
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     Aber halt: wenn, “jetzt verstehe ich das System”, nicht das Gleiche sagt, wie “mir fällt die Formel … ein”(oder, was auf dasselbe hinauskommt: “ich spreche die Formel aus”, “schreibe sie auf”, etc.) – folgt daraus, daß ich den Satz, “jetzt verstehe ich …”, oder “jetzt kann ich fortsetzen”, als Beschreibung eines Vorgangs verwende, der hinter, oder neben, dem des Aussprechens der Formel besteht?
     Wenn etwas ‘hinter dem Aussprechen der Formel’ stehen muß, so sind es gewisse Umstände, – die mich berechtigen zu sagen, ich könne fortsetzen, wenn mir die Formel einfällt.
     Denk' doch einmal gar nicht an das Verstehen als ‘seelischen Vorgang’! – Denn das ist die Redeweise, die Dich verwirrt. Sondern frage Dich: in was für einem Fall, unter was für Umständen, sagen wir denn: “jetzt weiß ich weiter”– wenn mir die Formel eingefallen ist?
     Es ist jene Redeweise, die Dich hindert, die Tatsachen unparteiisch zu sehen. (Betrachte die Aussprache eines Worts durch die Darstellungsform der Schreibung! Wie leicht kann man sich überreden, daß zwei Worte (z.B. “für” und “führ'”) im täglichen Gebrauche doch verschieden klingen; weil man sie verschieden ausspricht,
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wenn man sein Augenmerk gerade auf den Unterschied ihrer Schreibung richtet. Damit zu vergleichen: die Meinung, ein Violinspieler mit feinem Gehör greife f immer etwas höher als eis. Überlege Dir solche Fälle! So kann das Darstellungsmittel eine Einbildung erzeugen.) Also denk' nicht, Du müßtest einen spezifischen seelischen Vorgang finden, weil das Tätigkeitswort || Verbum “verstehen” dasteht und weil man sagt: Verstehen sei eine seelische Tätigkeit.
     Ich wollte also sagen: Wenn er plötzlich weiter wußte, das System verstand, so hatte er allerdings ein besonderes Erlebnis – welches er etwa beschreiben wird, wenn man ihn fragt: “wie war das, was ging da vor, als Du das System plötzlich begriffst?”, ähnlich, wie er || wir es in (132) beschrieben haben – das aber, was ihn für uns berechtigt, in so einem Fall zu sagen, er verstehe, er wisse weiter, sind die Umstände, unter denen er ein solches Erlebnis hatte.
     Dies wird aber klarer werden, wenn ich die Betrachtung der Worte “verstehen” und “wissen” hier unterbreche und die eines andern Wortes einschalte, nämlich des Wortes “lesen”.
   
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     Zuerst muß ich bemerken, daß ich zum ‘Lesen’, in dieser Betrachtung, nicht das Verstehen des Sinns des Gelesenen rechne; sondern Lesen ist hier die Tätigkeit, Geschriebenes oder Gedrucktes in Laute umzusetzen; auch aber, nach Diktat zu schreiben, oder Gedrucktes
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abzuschreiben, und dergleichen.
     Der Gebrauch dieses Wortes unter den Umständen unsres gewöhnlichen Lebens ist uns natürlich ungemein wohl bekannt. Die Rolle aber, die das Wort in unserm Leben spielt, und damit das Sprachspiel, in dem wir es verwenden, wäre schwer auch nur in groben Zügen darzustellen. Ein Mensch, sagen wir ein Deutscher, ist in der Schule, oder zu Hause, durch eine der bei uns üblichen Unterrichtsarten gegangen, er hat in diesem Unterricht seine Muttersprache lesen gelernt. Später liest er Bücher, Briefe, die Zeitung u.a..
     Was geht nun vor sich, wenn er, z.B., die Zeitung liest? ‒ ‒ ‒ Seine Augen gleiten – wie wir sagen – den gedruckten Wörtern entlang, er spricht sie laut aus, – oder sagt sie nur zu sich selbst; und zwar gewisse Wörter, indem er ihre Druckform als Ganzes erfaßt, andere, nachdem sein Auge die ersten Silben erfaßt hat, einige || andere wieder liest er Silbe für Silbe, und das eine oder andre vielleicht Buchstabe für Buchstabe. – Wir würden auch sagen, er habe einen Satz gelesen, wenn er während des Lesens weder laut noch zu sich selbst spricht, aber danach im Stande ist, den Satz wörtlich oder annähernd wiederzugeben. – Er kann auf das achten, was er liest, oder auch – wie wir sagen könnten – als bloße Lesemaschine funktionieren, ich meine, laut und richtig lesen, ohne auf das, was er liest, zu achten, – vielleicht während seine Aufmerksamkeit auf etwas ganz anderes gerichtet ist (so daß er nicht im Stande ist, zu sagen, was er gelesen hat, wenn wir ihn gleich darauf fragen). –
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Vergleiche nun mit diesem Leser einen Anfänger. Er liest die Wörter, indem er sie mühsam buchstabiert. – Einige Wörter aber errät er aus dem Zusammenhang; oder er weiß das Lesestück vielleicht zum Teil schon auswendig. – Der Lehrer sagt dann, daß er die Wörter nicht wirklich liest (und in gewissen Fällen, daß er nur vorgibt, sie zu lesen).
     Wenn wir an dieses Lesen, an das Lesen des Anfängers, denken, und uns fragen, worin Lesen besteht, werden wir geneigt sein, zu sagen: es sei eine besondere bewußte geistige Tätigkeit.
     Wir sagen von dem Schüler auch: “Nur er weiß natürlich, ob er wirklich liest, oder die Worte bloß auswendig sagt.” (Über diese Aussagen: “Nur er weiß, …” muß später noch geredet werden.) Ich will aber sagen: wir müssen zugeben, daß – was das Aussprechen irgend eines der gedruckten Wörter betrifft – im Bewußtsein des Schülers, der ‘vorgibt’ zu lesen, das Gleiche stattfinden kann, wie im Bewußtsein des geübten Lesers, der es liest. Das Wort “lesen” wird anders angewandt, wenn wir vom Anfänger – und wenn wir vom geübten Leser sprechen. ‒ ‒ ‒ Wir möchten nun freilich sagen: Was im geübten Leser und was im Anfänger vor sich geht, wenn sie das Wort aussprechen, kann nicht das Gleiche sein. Und wenn der Unterschied nicht in dem liegt, was ihnen gerade bewußt ist, so liegt er im Unbewußten des Geistes. ||
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Und wenn kein Unterschied in dem wäre, was ihnen gerade bewußt ist, so im unbewußten Arbeiten ihres Geistes; oder auch im Gehirn. –
Wir möchten also sagen: Hier sind jedenfalls zwei verschiedene Mechanismen! Und was in ihnen vorgeht, muß Lesen von Nicht-lesen unterscheiden. – Aber diese Mechanismen sind doch nur Hypothesen; Konstruktionen || Modelle zur Erklärung, zur Zusammenfassung dessen, was Du wahrnimmst.
   
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     Überlege Dir folgenden Fall: Menschen, oder andere Wesen, würden von uns als Lesemaschinen benützt. Sie werden zu diesem Zweck abgerichtet. Der, welcher sie abrichtet, sagt von Einigen, sie können schon lesen, von Andern, sie könnten es noch nicht. Nimm den Fall eines Schülers, der bisher nicht mitgetan hat: zeigt man ihm ein geschriebenes Wort, so wird er manchmal irgendwelche Laute hervorbringen, und hie und da geschieht es dann ‘zufällig’, daß sie ungefähr stimmen. Ein Dritter hört diesen Schüler in so einem Fall und sagt: “Er liest”. Aber der Lehrer sagt: “Nein, er liest nicht; es war nur ein Zufall.” – Nehmen wir aber an, dieser Schüler, wenn ihm nun weitere Wörter vorgelegt werden, reagiert auf sie fortgesetzt richtig. Nach einiger Zeit sagt der Lehrer: “Jetzt kann er lesen!” – Aber wie war es mit jenem ersten Wort? Soll der Lehrer sagen: “Ich hatte mich geirrt, er hat es doch gelesen” – oder: “Er hat erst später angefangen, wirklich zu lesen”? – Wann hat er angefangen, zu lesen? Welches ist das erste Wort, das er gelesen hat? Diese Frage ist hier sinnlos. Es sei denn, wir erklärten: “Das erste Wort, das Einer ‘liest’,
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ist das erste Wort der ersten Reihe von 50 Wörtern, die er richtig liest” (oder dergleichen).
   
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     Verwenden wir dagegen “Lesen” für ein gewisses Erlebnis des Übergangs vom Zeichen zum gesprochenen Laut, dann hat es wohl Sinn, von einem ersten Wort zu sprechen, das er wirklich gelesen hat. Er kann dann etwa sagen: “Bei diesem Worte hatte ich zum ersten Male das Gefühl, ‘jetzt lese ich’.”
   
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     Oder aber in dem hievon verschiedenen Fall einer Lesemaschine, die, etwa nach Art des Pianola, Zeichen in Laute übersetzt, könnte man sagen: “Erst nachdem dies und dies an der Maschine geschehen war – die Teile durch Drähte verbunden worden waren – hat die Maschine gelesen; das erste Zeichen, welches sie gelesen hat, war ….”
   
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     Im Falle aber der lebenden Lesemaschine hieß “lesen”: so und so auf Schriftzeichen reagieren. Dieser Begriff war also ganz unabhängig von dem eines seelischen, oder andern, Mechanismus. – Der Lehrer kann hier auch vom Abgerichteten nicht sagen: “Vielleicht hat er dieses Wort schon gelesen”. Denn es ist ja kein Zweifel über das, was er getan hat. Die Veränderung, als der Schüler zu lesen anfing, war eine Veränderung seines Verhaltens; und von einem ‘ersten Wort im neuen Zustand’ zu reden, hat hier keinen Sinn.
     Aber liegt dies nicht nur an unserer zu geringen Kenntnis der Vorgänge im Gehirn und im Nervensystem? Wenn wir diese genauer kennten, würden wir sehen, welche Verbindungen durch das Abrichten hergestellt worden waren
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und wir könnten dann, wenn wir ihm ins Gehirn sähen, sagen: ‘Dieses Wort hat er jetzt gelesen, jetzt war die Leseverbindung hergestellt’.” – Und das muß wohl so sein denn wie könnten wir sonst so sicher sein, daß es eine solche Verbindung gibt? Das ist wohl a priori so, – oder ist es nur wahrscheinlich? – Und wie wahrscheinlich ist es denn? Frage Dich doch, was weißt Du denn von diesen Sachen?! – Ist es aber a priori, dann heißt das, daß es eine uns sehr einleuchtende Darstellungsform ist.
   
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     Aber wir sind, wenn wir darüber nachdenken, versucht zu sagen: das einzig wirkliche Kriterium dafür, daß Einer liest, ist der bewußte Akt des Lesens, des Ablesens der Laute von den Buchstaben. “Ein Mensch weiß doch, ob er liest, oder nur vorgibt, zu lesen!” – Angenommen, A will den B glauben machen, er könne kyrillische Schrift lesen. Er lernt einen russischen Satz auswendig und sagt ihn dann, indem er die gedruckten Wörter ansieht, als läse er sie. Wir werden hier gewiß sagen, A wisse, daß er nicht liest, und er empfinde, während er zu lesen vorgibt, eben dies. Denn es gibt natürlich eine Menge für das Lesen eines Satzes im Druck mehr oder weniger charakteristischer Empfindungen; es ist nicht schwer, sich solche ins Gedächtnis zu rufen; denke an Empfindungen des Stockens, genaueren Hinsehens, Verlesens, der größeren und geringeren Geläufigkeit der Wortfolgen, u.a.. Und ebenso gibt es charakteristische Empfindungen
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für das Aufsagen von etwas Auswendiggelerntem. Und A wird in unserm Fall keine von den Empfindungen haben, die für das Lesen charakteristisch sind und er wird etwa eine Reihe von Empfindungen haben, die für das Schwindeln charakteristisch sind.
   
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     Denke Dir aber diesen Fall: Wir geben Einem, der fließend lesen kann, einen Text zu lesen, den er nie zuvor gesehen hat. Er liest ihn uns vor; aber mit der Empfindung, als sage er etwas Auswendiggelerntes (dies könnte die Wirkung irgendeines Giftes sein). Würden wir in einem solchen Falle sagen, er läse das Stück nicht wirklich? Würden wir hier also seine Empfindungen als Kriterium dafür gelten lassen, ob er liest oder nicht?
     Oder aber: Wenn man einem Menschen, der unter dem Einfluß eines bestimmten Giftes steht, eine Reihe von Schriftzeichen vorlegt, die aber keinem existierenden Alphabet anzugehören brauchen, so spricht er nach der Anzahl der Zeichen Wörter aus, so als wären die Zeichen Buchstaben, und zwar mit allen äußeren Merkmalen und mit Empfindungen des Lesens. (Ähnliche Erfahrungen haben wir in Träumen; nach dem Aufwachen sagt man dann etwa: “Es kam mir vor, als läse ich die Zeichen, – obwohl es gar keine Zeichen waren.”) In so einem Fall würden Manche geneigt sein, zu sagen, der Mensch lese diese Zeichen; Andere, er lese sie nicht. – Angenommen, er habe auf diese Weise eine
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Gruppe von vier Zeichen als “OBEN” gelesen (oder gedeutet); nun zeigen wir ihm die gleichen Zeichen in umgekehrter Reihenfolge und er liest “NEBO” und so behält er bei weiteren Versuchen immer die gleiche Deutung bei: hier wären wir wohl geneigt, zu sagen, er lege sich ad hoc ein Alphabet zurecht und lese dann danach.
   
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     Bedenke nun auch, daß es eine kontinuierliche Reihe von Übergängen gibt zwischen dem Falle, in welchem jemand das auswendig hersagt, was er lesen soll, und dem, in welchem er jedes Wort Buchstabe für Buchstaben liest ohne jede Hilfe des Erratens aus dem Zusammenhang, oder des Auswendigwissens.
     Mache diesen Versuch: Sage die Zahlenreihe von 1 bis 12. – Nun schau auf das Zifferblatt Deiner Uhr und lies diese Reihe. – Was hast Du in diesem Falle “lesen” genannt? Das heißt: was hast Du getan, um es zum Lesen zu machen?
   
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     Versuchen wir diese Erklärung: Jemand liest, wenn er die Reproduktion von der Vorlage ableitet. Und ‘Vorlage’ nenne ich den Text, welchen er liest, oder abschreibt, das Diktat, nach welchem er schreibt, die Partitur, die er spielt, etc. etc.¤ – Wenn wir nun z.B. jemand das kyrillische Alphabet gelehrt hätten und wie jeder Buchstabe auszusprechen sei; wenn wir ihm dann ein Lesestück vorlegen und er liest es, indem er jeden Buchstaben so ausspricht, wie wir es ihn gelehrt haben; dann werden wir wohl sagen, er leite den
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Klang eines Wortes vom Schriftbild mit Hilfe der Regel, die wir ihm gegeben haben, ab. Und dies ist auch ein klarer Fall des Lesens. (Wir könnten sagen, wir haben ihn die ‘Regel des Alphabets’ gelehrt.)
     Aber warum sagen wir, er habe die gesprochenen Worte von den gedruckten abgeleitet? Wissen wir mehr, als daß wir ihn gelehrt haben, wie jeder Buchstabe auszusprechen sei, und daß er dann die Worte laut gelesen habe? Wir werden vielleicht antworten: der Schüler zeige –, daß er den Übergang vom Gedruckten zum Gesprochenen mit Hilfe der Anleitung || Regel macht, die wir ihm gegeben haben. – Wie man dies zeigen könne, wird klarer, wenn wir unser Beispiel dahin abändern, daß der Schüler, statt den gedruckten Text vorzulesen, ihn abzuschreiben hat, ihn aus der Druckschrift in die Schreibschrift zu übertragen hat; denn in diesem Fall können wir ihm die Regel in Form einer Tabelle geben: in einer Kolonne stehen die Druckbuchstaben, in der andern die Kursivbuchstaben. Und daß er die Schrift vom Gedruckten ableitet, zeigt sich darin, daß er in der Tabelle nachsieht.
   
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     Aber wie, wenn er dies täte, und dabei ein A immer in ein b, ein B in ein c, ein C in ein d umschriebe, u.s.f., und ein z in ein a? – Auch das würden wir doch ein Ableiten nach der Tabelle nennen. – Er gebraucht sie nun, könnten wir sagen, nach dem Schema statt nach dem:
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Auch das wäre wohl noch ein Ableiten nach der Tabelle, wenn der Gebrauch, den er von ihr macht, durch ein Pfeilschema ohne alle einfache Regelmäßigkeit wiedergegeben ist. –
     Aber nimm an, er bleibe nicht bei einer Art des Transkribierens; sondern ändere sie nach einer einfachen Regel: Hat er einmal ein A in ein n umgeschrieben, so schreibt er das nächste A in ein o, das nächste in ein p um, u.s.w..– Aber wo ist die Grenze zwischen diesem Vorgehen und dem eines regellosen?
     Aber heißt das nun, das Wort “ableiten” habe eigentlich keine Bedeutung, da es ja scheint, daß diese, wenn wir ihr nachgehen, in nichts zerfließt?
     Im Falle (140) stand die Bedeutung des Wortes “ableiten” klar vor uns. – Aber wir sagten uns, dies sei nur ein ganz spezieller Fall des Ableitens; eine ganz spezielle Einkleidung; diese mußte ihm abgestreift werden, wenn wir das Wesen des Ableitens erkennen wollten. Nun streiften wir ihm die besonderen Hüllen ab; aber da verschwand || zerging das Ableiten selbst. – Um die eigentliche Artischocke zu finden, hatten wir sie ihrer Blätter entkleidet. Denn es war freilich (140) ein spezieller Fall des Ableitens, aber das Wesentliche des Ableitens war nicht unter dem Äußeren dieses Falls versteckt, sondern dieses Äußere war ein Fall aus der Familie der Fälle des Ableitens.
     Und so verwenden wir auch das Wort “Lesen” für eine Familie von Fällen. Und wir wenden unter verschiedenen
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Umständen verschiedene Kriterien an dafür, daß Einer liest.
   
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     “Aber lesen – möchten wir sagen – ist doch ein ganz bestimmter Vorgang! Lies eine Druckseite, dann kannst Du's sehen, es geht da etwas Besonderes vor und etwas höchst Charakteristisches.” – Nun, was geht denn vor, wenn ich den Druck lese? Ich sehe gedruckte Wörter und spreche Wörter aus. Aber das ist natürlich nicht alles, denn ich könnte gedruckte Wörter sehen und Wörter aussprechen und es wäre doch nicht Lesen. Auch dann nicht, wenn die Wörter, die ich spreche, die sind, die man, zufolge einem bestehenden Alphabet, von jenen gedruckten ablesen soll. – Und wenn Du sagst, das Lesen sei ein bestimmtes Erlebnis, so spielt es ja gar keine Rolle, ob Du nach einer von Menschen allgemein anerkannten Regel des Alphabets liest oder nicht. – Worin besteht also das Charakteristische am Erlebnis des Lesens? – Da möchte ich sagen: “Die Worte, die ich ausspreche, kommen in besonderer Weise.” Nämlich sie kommen nicht so, wie sie kämen, wenn ich sie z.B. ersänne. – Sie kommen von selbst. – Aber auch das ist nicht genug; denn es können mir ja Lautreihen || Wortklänge einfallen, während ich auf die gedruckten Worte schaue, und ich habe damit diese doch nicht gelesen. – Da könnte ich noch sagen, daß mir die gesprochenen Wörter auch nicht so einfallen, als erinnerte mich, z.B., etwas an sie. Ich möchte z.B. nicht sagen: das Druckwort “nichts” erinnert mich immer
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an den Laut “nichts”. – Sondern die gesprochenen Wörter schlüpfen beim Lesen gleichsam herein. Ja, ich kann ein deutsches gedrucktes Wort gar nicht ansehen, ohne einen eigentümlichen Vorgang des innern Hörens des Wortklangs.
   
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     Ich sagte, die gesprochenen Worte, beim Lesen, kämen ‘in besonderer Weise’; aber in welcher Weise? Ist dies nicht eine Fiktion? Sehen wir uns einzelne Buchstaben an und geben acht, in welcher Weise der Laut des Buchstabens kommt. Lies den Buchstaben A. Nun, wie kam der Laut? – Wir wissen gar nichts darüber zu sagen. – Nun schreib' ein kleines lateinisches A. – Wie kam die Handbewegung beim Schreiben? anders als der Laut im vorigen Versuch? Ich habe auf den Druckbuchstaben gesehen und schrieb den Kursivbuchstaben; mehr weiß ich nicht. – Nun schau auf das Zeichen
und laß Dir dabei einen Laut einfallen; sprich ihn aus. Mir fiel der Laut U ein, aber ich könnte nicht sagen, es war ein wesentlicher Unterschied in der Art und Weise, wie dieser Laut kam. Der Unterschied lag in der etwas andern Situation: ich hatte mir vorher gesagt, ich solle mir einen Laut einfallen lassen; es war eine gewisse Spannung da, ehe der Laut kam. Und ich sagte mir nicht: “Das ist ein U”, wie beim Anblick des Buchstabens ‘U’. Auch war mir jenes Zeichen nicht vertraut, wie die Buchstaben; ich sah es gleichsam gespannt, mit einem gewissen Interesse für seine Form, an, ich dachte dabei an ein umgekehrtes σ. ‒ ‒ ‒ Stelle Dir vor, Du müßtest nun dieses Zeichen wirklich als Lautzeichen
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benützen; Du gewöhnst Dich also daran, bei seinem Anblick einen bestimmten Laut auszusprechen, etwa den Laut ‘sch’. Können wir mehr sagen, als daß nach einiger Zeit dieser Laut automatisch kommt, wenn wir das Zeichen ansehen? D.h.: ich frage mich bei seinem Anblick nicht mehr: “Was ist das für ein Buchstabe?” – auch sage ich mir natürlich nicht: “Ich will bei diesem Zeichen den Laut ‘sch’ aussprechen” – noch auch: “Dieses Zeichen erinnert mich irgendwie an den Laut || sch”.
   
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     Was ist nun an dem Satz, das Lesen sei doch ‘ein ganz bestimmter Vorgang’? Das heißt doch wohl, beim Lesen finde immer ein bestimmter Vorgang statt, den wir wiedererkennen. – Aber wenn ich nun einmal einen Satz im Druck lese und einandermal nach Morsezeichen schreibe, – findet hier wirklich der gleiche seelische Vorgang statt? ‒ ‒ ‒ Dahingegen ist aber freilich eine Gleichförmigkeit in dem Erlebnis des Lesens einer Druckseite. Denn der Vorgang ist ja ein gleichförmiger. Und es ist ja leicht verständlich, daß sich dieser Vorgang unterscheidet von dem etwa, sechs Wörter beim Anblick beliebiger Striche einfallen zu lassen. – Denn schon der bloße Anblick einer gedruckten Zeile ist ja ungemein charakteristisch, d.h., ein ganz spezielles Bild: Die Buchstaben alle von ungefähr der gleichen Größe, auch der Gestalt nach verwandt, immer wiederkehrend; die Wörter, die zum großen Teil sich ständig wiederholen und uns unendlich wohlvertraut sind, ganz wie wohlvertraute Gesichter. – Denke
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an das Unbehagen, das wir empfinden, wenn die Rechtschreibung eines Wortes geändert wird (und an die noch tieferen Gefühle, die Fragen der Schreibung von Wörtern aufgeregt haben). Freilich, nicht jede Zeichenform hat sich uns tief eingeprägt. Ein Zeichen, wie Russells “~” für die Verneinung, kann durch ein beliebiges anderes ersetzt werden, ohne daß tiefe Gefühle in uns aufgeregt würden. – Bedenke, daß das gesehene Wortbild uns in ähnlicher Weise vertraut ist, wie das gehörte.
   
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     Auch gleitet der Blick anders über die gedruckte Zeile, als über eine Reihe beliebiger Haken und Schnörkel (Ich rede hier aber nicht von dem, was durch Beobachtung der Augenbewegung des Lesenden festgestellt werden kann.) der Blick gleitet, möchte man sagen, besonders widerstandslos: ohne hängenzubleiben, – und doch rutscht er nicht. Und dabei geht ein unwillkürliches Sprechen in der Vorstellung vor sich. Und so verhält es sich, wenn ich Deutsch und andere Sprachen lese, gedruckt oder geschrieben, und in verschiedenen Schriftformen. – Was aber von dem allen ist für das Lesen als solches wesentlich? Nicht ein Zug, der in allen Fällen des Lesens vorkäme! (Vergleiche mit dem Vorgang beim Lesen der gewöhnlichen Druckschrift das Lesen von Worten, die ganz in Großbuchstaben gedruckt sind, wie manchmal die Auflösungen von Rätseln. Welch anderer Vorgang! Oder das Lesen unserer Schrift von rechts nach links.)
   
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     Aber empfinden wir nicht, wenn wir lesen,
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eine Art Verursachung unseres Sprechens durch die Wortbilder? Lies einen Satz! – und nun schau der Reihe
entlang und sprich dabei einen Satz. Ist es nicht klar || fühlbar, daß im ersten Fall das Sprechen mit dem Anblick der Zeichen verbunden war und im zweiten ohne Verbindung neben dem Sehen der Zeichen herläuft?
     Aber warum sagst Du, wir fühlten eine Verursachung? Verursachung ist doch das, was wir durch Experimente feststellen, indem wir (beiläufig gesprochen) das regelmäßige Zusammentreffen von Vorgängen beobachten. Wie könnte ich denn sagen, daß ich das, was so durch Versuche festgestellt wird, fühle? (Hievon muß noch später die Rede sein.) Eher noch könnte man sagen, ich fühle, daß die Buchstaben der Grund sind, warum ich so und so lese. Denn, wenn mich jemand fragt: “Warum liest Du so? – so begründe ich es durch die Buchstaben, welche da stehen.
     Aber was soll es heißen, diese Begründung, die ich ausgesprochen, gedacht, habe, zu fühlen? Ich möchte sagen: ich fühle beim Lesen einen gewissen Einfluß der Buchstaben auf mich; aber nicht einen Einfluß jener Reihe beliebiger Schnörkel auf das, was ich rede. – Vergleichen wir wieder einen einzelnen Buchstaben mit einem solchen Schnörkel. Würde ich auch sagen, ich fühle den Einfluß von i, wenn ich diesen Buchstaben lese? Es ist natürlich ein Unterschied, ob ich
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beim Anblicken von ‘i’ den Laut i sage, oder beim Anblick von ‘§’. Der Unterschied ist, daß beim Anblick des Buchstaben das innere Hören des i-Lauts automatisch, ja gegen meinen Willen, vor sich geht; und wenn ich den Buchstaben laut lese, sein Aussprechen anstrengungsloser ist, als beim Anblick von ‘§’. Das heißt: – es verhält sich so, wenn ich den Versuch mache, aber natürlich nicht, wenn ich, zufällig auf das Zeichen ‘§’ blickend, etwa ein Wort ausspreche, in welchem der i-Laut vorkommt.
   
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     Wir wären ja nie auf den Gedanken gekommen, wir fühlten den Einfluß der Buchstaben auf uns beim Lesen, wenn wir nicht den Fall der Buchstaben mit dem beliebiger Striche verglichen hätten. Und hier merken wir allerdings einen Unterschied. Und diesen Unterschied deuten wir als Einfluß – und Fehlen des Einflusses.
     Und zwar sind wir zu dieser Deutung dann besonders geneigt, wenn wir absichtlich langsam lesen, – etwa um zu sehen, was denn beim Lesen geschieht. Wenn wir uns sozusagen recht absichtlich von den Buchstaben führen lassen. Aber dieses ‘mich führen lassen’ besteht wieder || eben nur darin, daß ich mir die Buchstaben gut anschaue, etwa, gewisse andere Gedanken ausschalte.
     Wir bilden uns ein, wir nähmen durch ein Gefühl, quasi, einen verbindenden Mechanismus wahr zwischen dem Wortbild und dem Laut, den wir sprechen. Denn wenn ich vom Erlebnis des Einflusses, der Verursachung, des Geführtwerdens
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rede, so soll das ja heißen, daß ich sozusagen die Bewegung der Hebel fühle, die den Anblick der Buchstaben mit dem Sprechen verbinden.
   
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     Ich hätte mein Erlebnis beim Lesen eines Wortes auf verschiedene Weise treffend in Worte fassen können. || treffend durch Worte ausdrücken können. So könnte ich sagen, daß das Geschriebene mir die Laute eingebe. – Aber auch dies, daß Buchstabe und Laut beim Lesen eine Einheit bilden – gleichsam eine Legierung. (Eine ähnliche Verschmelzung gibt es z.B. zwischen den Gesichtern berühmter Männer und dem Klang ihrer Namen. Es kommt uns vor, dieser Name sei der einzig richtige Ausdruck für dieses Gesicht.) Wenn ich diese Einheit fühle, könnte ich sagen: ich sehe, oder höre den Laut in dem geschriebenen Wort.
     Aber jetzt lies einmal ein paar Sätze im Druck, so wie Du's gewöhnlich tust, wenn Du nicht an den Begriff des Lesens denkst; und frage Dich, ob Du beim Lesen solche Erlebnisse der Einheit, des Einflusses, etc., gehabt hast. – Sag nicht, Du habest sie unbewußt gehabt. Auch lassen wir uns nicht durch das Bild verleiten: ‘Beim nähern Hinsehen’ zeigen sich diese Erscheinungen. Wenn ich beschreiben soll, wie ein Gegenstand aus der Ferne ausschaut, so wird diese Beschreibung nicht genauer, dadurch, daß ich sage, was aus der Nähe an ihm zu sehen ist. || , was bei näherem Hinsehen an ihm zu bemerken ist.
   
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     Denken wir an das Erlebnis des Geführtwerdens! Fragen wir uns: Worin besteht dieses Erlebnis, wenn
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wir z.B. einen Weg geführt werden? Stelle Dir diese Fälle vor:
Du bist auf einem Spielplatz (vielleicht mit verbundenen Augen) und wirst von jemand an der Hand geleitet, bald links, bald rechts – Du mußt immer des Zuges seiner Hand gewärtig sein und etwa achtgeben, daß Du bei einem unerwarteten Ruck || Zug nicht stolperst.
     Oder aber: – Du wirst von jemandem an der Hand mit Gewalt geführt || geschleppt, wo Du nicht hin willst.
     Oder: Du wirst im Tanz von einem Partner geführt; Du machst Dich so rezeptiv wie möglich, um seine Absicht zu erraten und dem leisesten Drucke zu folgen.
     Oder: Jemand führt Dich einen Spazierweg; ihr geht im Gespräch; wo immer er geht, gehst Du auch.
     Oder: Du gehst einem Feldweg entlang (und wirst von ihm geführt).
     Alle diese Situationen sind einander ähnlich; aber was ist allen den Erlebnissen gemeinsam?
   
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     “Aber Geführtwerden ist doch ein bestimmtes Erlebnis.” – Die Antwort darauf ist: Du denkst jetzt an ein bestimmtes Erlebnis des Geführtwerdens. || Wenn Du aber sagst, Geführtwerden sei doch ein bestimmtes Erlebnis, so ist die Antwort: Du denkst jetzt an ein bestimmtes Erlebnis des Geführtwerdens.
     Wenn ich mir das Erlebnis dessen || Desjenigen vergegenwärtigen will, der in (140) durch den gedruckten Text und die Tabelle beim Schreiben geführt wird, so stelle ich mir das ‘gewissenhafte’ Nachsehen, etc., vor. Ich nehme dabei sogar einen bestimmten Gesichtsausdruck an (den z.B. eines
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gewissenhaften Buchhalters). An diesem Bild ist z.B. die Sorgfalt sehr wesentlich; an einem andern wieder das Ausschalten jedes eigenen Willens. (Denke Dir aber, daß jemand Dinge, die der gewöhnliche Mensch mit den Zeichen der Unachtsamkeit tut, mit dem Ausdruck – und warum nicht mit den Empfindungen? – der Sorgfalt begleitet. – Ist er nun sorgfältig?) Vergegenwärtige ich mir so ein bestimmtes Erlebnis, so erscheint es mir als das Erlebnis des Geführtwerdens (oder Lesens). Nun aber frage ich mich: “Was tust Du? – Du schaust auf jedes Zeichen, Du machst dieses Gesicht dazu, Du schreibst die Buchstaben mit Bedacht (u.dgl.) – Das ist also das Erlebnis des Geführtwerdens?” Da möchte ich sagen. “Nein, das ist es nicht; es ist etwas Innerlicheres, Wesentlicheres.” – Es ist, als ob zuerst all diese mehr oder weniger unwesentlichen Vorgänge in eine bestimmte Atmosphäre gekleidet wären, die sich nun verflüchtigt, wenn ich genau hinschaue.
   
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     Frage Dich, wie Du ‘mit Bedacht’ eine Strecke parallel zu einer gegebenen Strecke ziehst, ein andermal mit Bedacht in einem Winkel zu ihr. Was ist das Erlebnis des Bedachts? Da fällt Dir gleich eine bestimmte Miene, eine Gebärde ein, – und dann möchtest Du sagen: “und es ist eben ein bestimmtes inneres Erlebnis”. (Womit Du natürlich gar nichts mehr gesagt hast.)
     (Du merkst einen Zusammenhang mit der Frage nach dem Wesen der Absicht, des Willens.)
     Mache einen beliebigen Fahrer auf dem Papier
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und nun zeichne ihn daneben nach, laß Dich von ihm führen. – Ich möchte sagen: “Gewiß! ich habe mich jetzt führen lassen. Aber was dabei Charakteristisches geschehen ist –? Wenn ich sage, was geschehen ist, so kommt es mir nicht mehr charakteristisch vor.”
     Aber nun merke ich dies: Während ich mich führen lasse, ist alles ganz einfach, ich merke nichts Besonderes; aber danach, wenn ich mich frage, was damals geschehen ist, so scheint es etwas Unbeschreibbares gewesen zu sein. Danach genügt mir keine Beschreibung. Ich kann, sozusagen, nicht glauben, daß ich bloß hingeschaut, das || dieses Gesicht gemacht, den Strich gezogen habe. – Aber erinnere ich mich denn an etwas anderes? Nein; und doch kommt mir vor, als müsse etwas anderes gewesen sein; und zwar dann, wenn ich mir dabei das Wort “führen”, “Einfluß”, und andere, vorsage || sage. ‘Denn ich bin doch geführt worden, sage ich mir. – Dann erst tritt die Idee jenes ätherischen, ungreifbaren, Einflusses auf.
   
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     Ich habe, wenn ich nachträglich über das Erlebnis denke, das Gefühl, daß das Wesentliche an ihm das ‘Erlebnis eines Einflusses’, einer Verbindung ist, im Gegensatz zu irgendeiner bloßen Gleichzeitigkeit von Phänomenen: Zugleich aber möchte ich kein erlebtes Phänomen “Erlebnis des Einflusses”
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nennen. Hier liegt die Idee: der Wille ist keine Erscheinung.) Ich möchte sagen, ich hätte das ‘Weil’ erlebt; und doch will ich keine Erscheinung ‘Erlebnis des Weil” nennen.
     Vergleiche damit diesen Fall: Jemand soll sagen, was er fühlt, wenn ihm ein Gewicht auf der flachen Hand ruht. – Ich kann mir nun vorstellen, daß hier ein Zwiespalt entsteht: Einerseits sagt er sich, was er fühle sei eine Pressung gegen die Handfläche und eine Spannung in den Muskeln seines Arms; anderseits will er sagen: “aber das ist doch nicht alles; ich empfinde doch einen Zug, ein Streben des Gewichts nach unten!” – Empfindet er denn ein solches Streben? Ja: wenn er nämlich an das Streben denkt. Mit dem Wort “Streben” geht hier ein bestimmtes Bild, ein Gesichtsausdruck || eine Geste, ein Tonfall; und in diesem siehst Du das Erlebnis des Strebens.
     (Denke auch daran: manche Leute sagen, von dem und dem ‘gehe ein Fluidum aus’. – Daher fiel uns auch das Wort “Einfluß” ein.)
     Ich möchte sagen: “ich erlebe das Weil” –, aber nicht, weil ich mich an dieses Erlebnis erinnere; sondern, weil ich beim Nachdenken darüber, was ich in so einem Fall erlebe, dies || dieses durch das Medium des Begriffes ‘weil’ (oder ‘Einfluß’, oder ‘Ursache’, oder ‘Verbindung’) anschaue. – Denn es ist freilich richtig, zu sagen, ich habe diese Linie unter dem Einfluß der Vorlage gezogen: dies liegt aber nicht einfach in dem,
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was ich beim Ziehen der Linie empfinde – sondern unter Umständen auch (z.B.) darin, daß ich sie der andern parallel ziehe – obwohl auch das wieder für das Geführtwerden nicht allgemein wesentlich ist. –
   
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     Wir sagen auch: “Du siehst ja, daß ich mich von ihr führen lasse”; und was sieht der, der das sieht?
     Wenn ich zu mir selbst sage: “Ich werde doch geführt”, so mache ich etwa eine Handbewegung dazu, die das Führen ausdrückt. – Mache eine solche Handbewegung, gleichsam als leitetest Du jemand entlang, und frage Dich dann, worin das Führende dieser Bewegung besteht. Denn Du hast hier ja doch niemand geführt; – und doch möchtest Du die Bewegung eine führende nennen. Also war in dieser Bewegung, und Empfindung, nicht das Wesen des Führens enthalten und doch drängte es Dich, diese Bezeichnung zu gebrauchen. Es ist eben eine Erscheinungsform des Führens, die Dir diesen Ausdruck aufdrängt.
   
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     Kehren wir zu unserm Fall (132) zurück. Es ist klar: wir würden nicht sagen, B habe ein Recht, die Worte, “jetzt weiß ich weiter”, zu gebrauchen, weil ihm die Formel eingefallen ist, – wenn nicht erfahrungsmäßig ein Zusammenhang bestünde zwischen dem Einfallen – Aussprechen, Anschreiben – der Formel und dem tatsächlichen Fortsetzen der Reihe. Und so ein Zusammenhang besteht ja
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offenbar. – Und nun könnte man meinen, der Satz “ich kann fortsetzen” sage soviel wie: “ich habe ein Erlebnis, welches erfahrungsgemäß zum Fortsetzen der Reihe führt”. Aber meint das B, wenn er sagt “ich kann fortsetzen”? Schwebt ihm jener Satz dabei im Geiste vor, oder ist er bereit, ihn als Erklärung dessen, was er meint, zu geben?
     Nein. – Die Worte “jetzt weiß ich weiter” waren richtig angewandt, wenn ihm die Formel eingefallen war: nämlich unter gewissen Umständen – z.B., wenn er Algebra gelernt, solche Formeln schon früher benutzt hatte. – Das heißt aber nicht, jene Aussage sei nur eine Abkürzung für die Beschreibung sämtlicher Umstände, die den Schauplatz unseres Sprachspiels bilden. – Denke daran, wie wir jene Ausdrücke, “jetzt weiß ich weiter”, “jetzt kann ich fortsetzen”, u.a., gebrauchen lernen – in welcher Familie von Sprachspielen wir ihren Gebrauch lernen.
     Wir können uns auch den Fall vorstellen, daß im Geist des B gar nichts anderes vorfiel, als daß er plötzlich sagte: “jetzt weiß ich weiter” – etwa mit einem Gefühl der Erleichterung, und daß er nun die Reihe tatsächlich fortrechnet, ohne die Formel zu benützen. Und auch in diesem Falle würden wir – unter gewissen Umständen – sagen, er habe weiter gewußt.
     So werden diese Worte gebraucht. Es wäre in diesem letzteren Fall z.B. ganz irreleitend, sie die Beschreibung eines Geisteszustandes zu nennen. – Eher könnte man sie hier ein
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‘Signal’ nennen; und ob es richtig angewendet war, beurteilen wir nach dem, was er weiter tut.
   
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     Um dies zu verstehen, müssen wir uns auch folgendes überlegen: Angenommen, B sagt, er wisse weiter – wenn er aber nun fortsetzen will, stockt er und kann es nicht: sollen wir dann sagen, er habe mit Unrecht gesagt, er könne fortsetzen, oder aber: er hätte damals fortsetzen können, nur jetzt könne er es nicht? – Es ist klar, daß wir in verschiedenen Fällen Verschiedenes sagen werden. (Überlege Dir beide Arten von Fällen.)
   
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     Sollen wir aber nun sagen, daß im Fall (132) der Satz “Jetzt kann ich fortsetzen” dasselbe geheißen habe, wie “Mir ist die Formel eingefallen”, oder etwas anderes? || Wie aber, – hat nun der Satz “jetzt kann ich fortsetzen” im Fall (132) das Gleiche geheißen, wie, “jetzt ist mir die Formel eingefallen”, oder etwas anderes? Wir können sagen, daß dieser Satz, unter diesen Umständen, den gleichen Sinn habe, wie jener. Aber auch, daß, allgemein, diese beiden Sätze nicht den gleichen Sinn haben.
     Wir sagen auch: “Jetzt kann ich fortsetzen, – ich meine: ich weiß die Formel”; wie wir sagen: “Ich kann gehen, d.h., ich habe Zeit”; aber auch: “Ich kann gehen, d.h., ich bin schon stark genug”; oder “Ich kann gehen, was den Zustand meines Beines anbelangt”; wenn wir nämlich diese Bedingung des Gehens, andern
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Bedingungen entgegensetzen. Hier müssen wir uns aber hüten, zu glauben, es gäbe, entsprechend der Natur des Falles, eine Gesamtheit aller Bedingungen – z.B. dafür, daß einer geht – so daß er, sozusagen, nicht anders als gehen könnte, wenn sie alle erfüllt sind.
   
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     Ich will mich an eine Melodie erinnern und sie fällt mir nicht ein; plötzlich sage ich, “Jetzt weiß ich's!”, und singe sie: Wie war es, als ich sie plötzlich wußte? Sie konnte mir doch nicht in diesem Moment ganz eingefallen sein! – Du sagst vielleicht: “Es ist ein bestimmtes Gefühl, als wäre sie jetzt da” – aber ist sie jetzt da? Wie, wenn Du nun anfängst, sie zu singen und steckenbleibst? – Ja aber konnte ich nicht doch in diesem Moment sicher sein, daß ich sie wüßte? Sie war also eben doch in irgendeinem Sinne da! – Aber in welchem Sinne? Du sagst doch wohl, die Melodie sei da, wenn er sie etwa durchsingt, oder von Anfang bis zum Ende vor dem innern Ohr hört. Ich leugne natürlich nicht, daß Du der Aussage, die Melodie sei da, auch einen ganz andern Sinn geben kannst – z.B. den, ich hätte einen Zettel, auf dem sie aufgeschrieben steht. – Und worin besteht es denn, daß er sicher ist, er wisse sie? – Du kannst natürlich sagen: Wenn jemand mit Überzeugung sagt, jetzt wisse er die Melodie, so stehe sie in diesem Augenblick (irgendwie) ganz vor seinem Geist; und das ist hier eine Erklärung der Worte: “die Melodie steht ganz vor seinem Geist”.
   
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     Gehen wir nun zu unserm Beispiel (125) zurück.
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Der Schüler beherrscht jetzt – nach den gewöhnlichen Kriterien beurteilt – die Grundzahlenreihe. Wir lehren ihn nun auch andere Reihen von Kardinalzahlen anschreiben und bringen ihn dahin, daß er z.B. auf Befehle von der Form “+n” Reihen anschreibt von der Form
0, n, 2n, 3n, etc., auf den Befehl “ + 1” aber die Grundzahlenreihe. – Wir hätten unsre Übungen und Stichproben seines Verständnisses im Zahlenraum bis 1000 gemacht.
     Wir lassen nun den Schüler einmal eine Reihe (etwa ‘ + 2’) über 1000 hinaus fortsetzen, – da schreibt er: 1000, 1004, 1008, 1012.
     Wir sagen ihm: “Schau, was Du machst!” – Er versteht uns nicht. Wir sagen: “Du solltest doch 2 addieren; schau, wie Du die Reihe begonnen hast!” – Er antwortet: “Ja! ist es denn nicht richtig? Ich dachte, so soll ich's machen.” Oder nimm an, er sagte, auf die Reihe weisend: “Ich bin doch auf die gleiche Weise fortgefahren!” – Es würde uns nun nichts nützen, zu sagen: “Aber siehst Du denn nicht …?” – und ihm die alten Erklärungen und Beispiele zu wiederholen. – Wir könnten in so einem Falle etwa sagen: Dieser Mensch versteht von Natur aus jenen Befehl auf unsre Erklärungen hin so, wie wir den Befehl: “Addiere bis 1000 immer 2, bis 2000 4, bis 3000 6, etc.!”
     Dieser Fall hätte eine Ähnlichkeit mit dem, daß ein Mensch von Natur aus auf eine zeigende Handbewegung damit reagierte, daß er in der Richtung von der Fingerspitze
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zur Handwurzel blickt, statt in der Richtung zur Fingerspitze. || daß ein Mensch auf eine zeigende Gebärde von Natur aus so reagierte, daß er in der Richtung von der Fingerspitze zur Handwurzel blickt, statt in der Richtung zur Fingerspitze.
   
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     “Was Du sagst, läuft also wohl darauf hinaus: es sei zum richtigen Befolgen des Befehls ‘+n’ auf jeder Stufe eine neue Einsicht – Intuition – nötig.” – Zur richtigen Befolgung! Wie wird denn entschieden, welches an einem bestimmten Punkt der richtige Schritt ist? – “Der richtige Schritt ist der, welcher mit dem Befehl – wie er gemeint war – übereinstimmt.” – Du hast also zur Zeit, als Du den Befehl “ + 2” gabst, gemeint, er solle auf ‘1000’ ‘1002’ schreiben – und hast Du damals auch gemeint, er solle auf ‘1866’ ‘1868’ schreiben und auf ‘100034’ ‘100036’, u.s.f. – eine unendliche Anzahl solcher Sätze? – “Nein; ich habe gemeint, er solle nach jeder Zahl, die er schreibt, die zweitnächste schreiben; und daraus folgen ihres Orts alle jene Sätze.” – Aber es ist ja gerade die Frage, was, an irgendeinem Ort, aus jenem Satz folgt. Oder auch: – was wir an irgendeinem Ort “Übereinstimmung” mit jenem Satz nennen sollen (und auch mit der Meinung, die Du damals dem Satz gegeben hast, – worin immer diese bestanden haben mag). Richtiger, als zu sagen, es sei an jedem Punkt eine neue Intuition nötig, wäre es, zu sagen: es sei an jedem Punkt eine neue Entscheidung nötig.
   
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     “Ich habe aber doch auch damals, als ich den Befehl gab, schon gewußt, daß er auf ‘1000’ ‘1002’ schreiben soll!” – Gewiß; und Du kannst sogar sagen, Du habest es damals gemeint; nur sollst Du Dich nicht
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von der Grammatik der Wörter “wissen” und “meinen” irreführen lassen. Denn Du meinst ja nicht, daß Du damals an den Übergang von 1000 auf 1002 gedacht hast – und wenn auch an diesen Übergang, so doch an andre nicht. Dein “Ich habe damals schon gewußt …” heißt etwa: “Hätte man mich damals gefragt, welche Zahl er nach 1000 schreiben soll, so hätte ich geantwortet, 1002”. Und daran zweifle ich nicht. Es ist das eine Annahme etwa von der Art dieser: “Wenn er damals ins Wasser gefallen wäre, so wäre ich ihm nachgesprungen.” – Worin lag nun das Irrige Deiner Idee?
   
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     Da möchte ich zuerst sagen: Deine Idee sei die gewesen, jenes Meinen des Befehls habe auf seine Weise alle die Übergänge doch schon gemacht: Deine Seele fliegt beim Meinen, gleichsam, voraus und macht alle Übergänge, ehe Du körperlich bei dem oder jenem angelangt bist.
     Du warst also zu Ausdrücken geneigt, wie: “Die Übergänge sind eigentlich schon gemacht; auch ehe ich sie schriftlich, mündlich, oder in Gedanken, mache”. Und es schien, als wären sie in einer einzigartigen Weise vorausbestimmt, antizipiert: wie nur das Meinen die Wirklichkeit antizipieren können. (Und dieser Täuschung werden wir noch öfters begegnen.)
     “Aber sind die Übergänge also durch die algebraische Formel nicht bestimmt?” – In der Frage liegt ein Fehler.

Editorial notes

1) The page contains in the right, left and lower margin chemical and other drawings which don't seem to be in Wittgenstein's hand.

2) Page 49v contains two schematic drawings.