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115
“Die Sprache (oder das Denken) ist etwas
Einzigartiges”, das erweist sich als ein Aberglaube
(nicht Irrtum!) hervorgerufen selbst durch grammatische
Täuschungen.
Und auf diese Täuschungen, auf die Probleme, fällt nun das Pathos zurück. |
116
Die Probleme, die durch ein Mißdeuten unserer
Sprachformen entstehen, haben den Charakter der
Tiefe.
Es sind tiefe Beunruhigungen; sie wurzeln so tief in uns, wie die
Formen unserer Sprache und ihre Bedeutung ist so
groß, wie die Wichtigkeit unserer Sprache.
‒ ‒ ‒
Fragen wir uns: Warum empfinden wir einen grammatischen
Witz als tief?
(Und das ist ja die philosophische Tiefe.)
Eine ähnliche Gedankenbewegung: Wie kann man die
Zeit schätzen, da das Leben doch fern von einer Uhr
ist? –
Daß uns die Zeit übereinstimmend mit der Uhr einfallen; daß wir
die Zeit schätzen können; ist ein Grund, warum, was die Uhr meint,
die Zeit, so wichtig ist. |
117
Worin liegt
z.B. die
Tiefe des Witzes: “We called him
tortoise because he taught
us”?
Wir werden plötzlich aufmerksam darauf, daß
eine solche Ableitung des Substantivs unmöglich
ist. –
Warum Eine
ähnliche Gedankenbewegung: Wie kann man die Zeit
schätzen, da das Leben doch fern von einer Uhr ist? –
Daß uns die Zeit übereinstimmend mit
der Uhr einfallen; daß wir die Zeit schätzen können; ist ein
Grund, warum, was die Uhr meint, die Zeit, so wichtig ist.
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118
Ein Gleichnis, das in die Formen unserer Sprache aufgenommen ist,
bewirkt einen falschen Schein; der beunruhigt uns:
“Es ist doch nicht so!” –
sagen wir.
“Aber es muß doch so
sein!” |
119
Denk, wie uns das Substantiv “Zeit” ein Medium
vorspiegeln kann; wie es uns in die Irre führen kann,
daß wir einem Phantom
auf und ab nachjagen.
(“Aber hier ist doch nichts! –
Aber hier ist doch nicht nichts!”)
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120 Log. phil. Abh. (5.4) “Die allgemeine Form des Satzes ist: Es verhält sich so und so”. Das ist die Art von Satz, die man sich unzählige Male wiederholt. Man glaubt, wieder der Natur nachzufahren, und fährt nur der Form entlang, durch die wir sie betrachten. |
121
Ob wir über das Wesen des Satzes, des Verstehens, des privaten, nur
mir selbst bewußten Erlebens nachdenken:
“Es ist doch so ‒ ‒ ‒
–” sagen wir uns wieder und wieder.
Es ist uns, als müßten wir das Wesen der
Sache erfassen, wenn wir unsern Blick nur ganz scharf auf
dies Faktum einstellen, es in den Brennpunkt rücken könnten.
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122
Der Ausdruck dieser Täuschung aber ist die metaphysische Verwendung
unsrer Wörter.
Man prädiziert
von der Sache, was in der Darstellungsweise
liegt.
Die Möglichkeit des Vergleichs, die uns beeindruckt, nehmen
wir für die Wahrnehmung einer höchst allgemeinen Sachlage.
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123
Ein Bild uns gefangen.
Und heraus konnten wir nicht, denn es lag in unsrer Sprache, und sie
schien es uns nur unerbittlich zu wiederholen.
Um dem Bann der Ausdrucksformen zu entgehen, müssen wir die Sprache
durchpflügen. |
124
Wenn die
Philosophen ein Wort gebrauchen
–
“Wissen”, “Sein”,
“Gegenstand”,
“Ich”,
“Satz”,
“Name”
und das Wesen des Dings zu erfassen trachten,
muß man sich immer
fragen: wird denn
dieses Wort in der Sprache, in der es seine
Heimat hat, je tatsächlich so
gebraucht? – |
125
Man sagt mir: “Du verstehst doch diesen Ausdruck?
Nun also in der Bedeutung, die Du kennst, gebrauche auch ich
ihn.”
Als wäre die Bedeutung eine Aura die das Wort mitbringt und in jederlei
Verwendung herüber nimmt.
Wenn Einer z.B. sagt, der Satz “Dies ist hier” – wobei er auf einen Gegenstand zeigt – habe für ihn Sinn, so möge er sich fragen, unter welchen besondern Umständen man diesen Satz verwendet. In diesen hat er dann Sinn. |
126
Wir führen die Wörter von ihrer metaphysischen, wieder auf ihre
alltägliche Verwendung zurück.
(Man steigt öfters zweimal in den gleichen
Fluß . ‒ ‒ ‒
Ein Gegenstand
hört manchmal auf zu existieren, wenn ich aufhöre ihn zu sehen, und
manchmal nicht. ‒ ‒ ‒
Wir
wissen manchmal, welche Farbe der Andere sieht, wenn er
diesen Gegenstand betrachtet, und manchmal
nicht.)
Unsere Antworten müssen, wenn sie richtig sind, gewöhnliche und
triviale sein. –
Denn diese Antworten machen sich gleichsam über die Fragen
lustig.
Nicht aber die Erklärungen, die die Probleme verständlich
machen. |
132
Der Begriff der übersichtlichen Darstellung ist für uns von
grundlegender Bedeutung.
Er bezeichnet unsere Darstellungsform, die Art, wie wir die Dinge
sehen.
(Ähnlich
einer ‘Weltanschauung’.)
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133
Ein philosophisches Problem hat die Form: “ich kenne mich
nicht aus.” |
134
Die Philosophie darf den tatsächlichen Gebrauch der Sprache in keiner
Weise antasten, sie kann ihn am Ende also nur beschreiben.
Denn sie kann ihn auch nicht begründen. Sie läßt alles wie es ist. Sie läßt auch die Mathematik wie sie ist und keine mathematische Entdeckung kann sie weiterbringen. ƪ Ein ‘führendes Problem der mathematischen Logik’ (Ramsey) ist ein Problem der Mathematik, wie jedes andere. |
135
Ein Gleichnis gehört zu unserem Gebäude; aber wir können
auch aus ihm keine Folgen ziehen; es führt uns nicht über sich selbst
hinaus, sondern muß als Gleichnis stehenbleiben. –
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136
Die Philosophie stellt eben alles bloß hin, und
erklärt und folgert nichts. –
Da alles offen daliegt, ist auch nichts zu erklären.
Denn, was etwa verborgen ist, interessiert uns nicht.
“Philosophie” könnte man auch das nennen, was
vor allen neuen Entdeckungen & Empfindungen möglich
ist. |
137
Die Arbeit des Philosophen ist ein Zusammentragen von Erinnerungen zu einem
bestimmten Zweck.
(Die Anlage zur Philosophie beruht auf der Fähigkeit, von einer Tatsache der Grammatik einen starken und nachhaltigen Eindruck zu empfangen.) Wollte man Thesen in der Philosophie aufstellen, es könnte nie über sie zur Diskussion kommen, weil Alle mit ihnen einverstanden wären. |
139
Wer philosophiert
trachtet das erlösende Wort zu finden, das ist das Wort, das uns endlich
erlaubt, das zu fassen, was bis dahin, ungreifbar, unser
Bewußtsein belastet hat.
(Es ist, wie wenn uns ein Haar auf der Zunge liegt; man spürt es,
aber kann es nicht fassen und darum nicht loswerden.)
Eine unsrer (wichtigsten) Aufgaben ist es, alle falschen Gedankengänge so charakteristisch auszudrücken, daß der Andre sagt: “Ja, genau so hab ich es gemeint”. Die Physiognomie jedes Irrtums nachzuzeichnen. Wir können auch nicht den Andern eines Fehlers überführen, es sei denn, daß er diesen Ausdruck als den eigentlichen Ausdruck seines Gefühls anerkennt. – Nämlich nur, wenn er ihn als solchen anerkennt, ist er der richtige Ausdruck. (Psychoanalyse.) Was der Andre anerkennt, ist die Analogie, die ich ihm darbiete, als Quelle seines Gedankens. |
141
Wir befreien uns vom
Zwang eines logischen
Ideals, indem wir es als Bild anerkennen und seinen
Ursprung angeben. –
Wie bist Du zu diesem Ideal gekommen; aus welchem
Material hast Du es geformt?
Welche
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142
Es ist von der größten Bedeutung,
daß wir uns z.B. zu
einem Kalkül der Logik immer ein Beispiel denken, worauf er wirklich
anzuwenden ist; und nicht Beispiele geben und
sagen: dies seien nicht die idealen, für die
der Kalkül wirklich gelte, diese hätten wir noch
nicht.
Das zeigt eine falsche Auffassung.
Kann ich den Kalkül überhaupt verwenden, dann ist dasdas || dies auch die ideale Verwendung und die
Verwendung, um die es geht. –
Man will nämlich nicht das reale Beispiel als die
Verwendung anerkennen, da man in ihm
Verhältnisse sieht, eine Mannigfaltigkeit, die der
Kalkül nicht berührt, die er gleichsam
übersieht.
Aber es ist der wahre Gegenstand, das Material, des Kalküls und
er davon hergenommen.
Und dies ist kein Fehler, keine Unvollkommenheit des
Kalküls.
Der Fehler lag darin, seine Anwendung in nebelhafter Ferne zu
versprechen. |
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144
Nur so nämlich können wir der Ungerechtigkeit, oder Leere unserer
Behauptungen entgehen, indem wir das Vorbild als das, was es ist, als
Vergleichsobjekt – sozusagen als Maßstab
– hinstellen; und nicht als das Vorurteil, dem die Wirklichkeit
entsprechen müsse.
(Die
Betrachtungsweise Spenglers.
Der
Dogmatismus, in den man
beim philosophieren so leicht verfällt). |
145
Auch sind unsere klaren,
einfachen Sprachspiele nicht Vorstudien zu einer künftigen
Reglementierung unserer tatsächlichen Sprache, gleichsam erste
Annäherungen, ohne Berücksichtigung der Reibung und des
Luftwiderstands.
Diese Auffassung führt zu Ungerechtigkeiten (Nicod und Russell.)
Vielmehr stehen die Sprachspiele da als
Vergleichsobjekte, die durch
Ähnlichkeit und Unähnlichkeit ein Licht in
die Verhältnisse unsrer Sprache werfen sollen. |
146
Wir
wollen in unserm Wissen vom Gebrauch der Sprache eine
Ordnung herstellen; eine Ordnung zu einem
bestimmten Zweck; eine von vielen möglichen Ordnungen.
(Keine Über-Ordnung.)
Wir werden zu diesem Zweck immer wieder Unterscheidungen
hervorheben, die unsere gewöhnlichen Sprachformen leicht
übersehen lassen.
Dadurch kann es den Anschein erhalten, als sähen
wir es für unsre Aufgabe an, die Sprache zu reformieren.
So eine Reform für bestimmte praktische Zwecke, die Verbesserung unserer Terminologie zur Vermeidung von Mißverständnissen im praktischen Gebrauch, ist wohl möglich. Aber das sind nicht die Fälle, mit denen wir es zu tun haben. Die Verwirrungen, die uns beschäftigen, entstehen, gleichsam, wenn die Sprache leerläuft, nicht wenn sie arbeitet. |
147
Wir wollen nicht das Regelsystem für die Verwendung unserer Worte in
unerhörter Weise verfeinern oder vervollständigen.
Denn die Klarheit, die wir anstreben, ist allerdings eine vollkommene. Aber das heißt nur, daß die philosophischen Probleme vollkommen verschwinden sollen. |
148
Die eigentliche Entdeckung ist die, die mich fähig macht, mit dem
Philosophieren aufzuhören, wann ich will. –
Die die Philosophie zur Ruhe bringt, so daß sie
nicht mehr von Fragen gepeitscht wird, die sie selbst in
Frage stellen. –
Sondern es wird nur an Beispielen eine Methode gezeigt, und die
Reihe dieser Beispiele kann man abbrechen. ‒ ‒ ‒
Es werden Probleme gelöst (Schwierigkeiten beseitigt), nicht
ein Problem. |
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