Beschreibung an ihre Stelle treten. Und diese Beschreibung empfängt ihr Licht, d.i. ihren Zweck, von den philosophischen Problemen. Diese sind freilich keine empirischen, sondern sie werden durch eine Einsicht in das Arbeiten unserer Sprache gelöst, und zwar so, dass dieses erkannt w[e|i]rd: entgegen einem Trieb, es misszuverstehen. Die Probleme werden gelöst, nicht durch Beibringen neuer Erfahrung, sondern durch Zusammenstellung des längst Bekannten. Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.
 
   
                “Die Sprache (oder das Denken) ist etwas Einzigartiges”, das erweist sich als ein Aberglaube (nicht Irrtum!) hervorgerufen selbst durch grammatische Täuschungen.
                Und auf diese Täuschungen, auf die Probleme, fällt nun das Pathos zurück.
 
   
97 116
                Die Probleme, die durch ein Missdeuten unserer Sprachformen entstehen, haben den Charakter der Tiefe. Es sind tiefe Beunruhigungen; sie wurzeln so tief in uns, wie die Formen unserer Sprache und ihre Bedeutung ist so gross, wie die Wichtigkeit unserer Sprache. ‒ ‒ ‒ Fragen wir uns: Warum empfinden wir einen grammatischen Witz als tief? (Und das ist ja die philosophische Tiefe.) * Eine ähnliche Gedankenbewegung: Wie kann man die Zeit schätzen, da das Leben doch fern von einer Uhr ist? – Daß uns die Zeit übereinstimmend mit der Uhr einfallen; daß wir die Zeit schätzen können; ist ein Grund, warum, was die Uhr meint, die Zeit, so wichtig ist.
 
   
                Worin liegt
z.B.
etwa
die Tiefe des Witzes: “We called him tortoise because he t[o|a]ught us”? Wir werden plötzlich aufmerksam darauf, dass eine solche Abgleitung des Substantivs unmöglich ist. – Warum * Eine ähnliche Gedankenbewegung: Wie kann man die Zeit schätzen, da das Leben doch fern von einer Uhr ist? – Dass uns die Zeit übereinstimmend mit der Uhr einfallen; daß wir die Zeit schätzen können; ist ein Grund, warum, was die Uhr meint, die Zeit, so wichtig ist.
sollte sie aber so unmöglich sein? Sie liesse sich ˇauch sehr wohl denken (tschechische Zunamen, wie Zaplatil – er zahlte). Und nun scheint der Witz seine Tiefe verloren zu haben. Dies kommt aber daher, dass wir unsere Aufmerksamkeit verschoben haben. – Betrachte ein andres Beispiel: ˇIn Lichtenbergs lässt eine Magd in den “Briefen von Mägden über Literatur” schreibt eine Magd der anderen: die Zahl Hundert 001 so schreiben 001. Wenn man sich sagt: “nun,
hundert
es
könnte ja auch in der Richtung geschrieben werden”,
dann
so
fühlt man die Tiefe de[r|s] Komik Witzes nicht. Diese liegt, glaube ich, in dem Zusammenhang unseres Dezimalsystems, in welchem das Zeichen “001” eine gewisse Stelle innehat. Die Tiefe der Absurdität des 001 erscheint erst für den, der, sozusagen, die mathematischen Konsequenzen aus diesem Schreibfehler ziehen kann. Nicht für den, der nur weiss, dass man so nicht ‘hundert’ schreibt. – Man kann, das ‘t[o|a]ught us’ betreffend, sagen: ein Verbum hat für uns eine Grundstellung (wie man bei Turnübungen sagt) und dann verschiedene Stellungen, verschiedenen Verrichtungen gemäss. Eine beliebige dieser Stellungen zur Bezeichnung dessen nehmen, der (z.B.) lehrt, ist so, als nähme man für das Standbild eines Menschen irgend eine Stellung, in der er sich auch einmal befinden kann. Die Grundstellung, könnte man sagen, repräsentiert den Menschen und der Infinitiv das Verbum. Es hätte für uns nicht das Komische des Substantivs “t[o|a]ught us”, wenn man statt dessen den Infinitiv des Verbums zur Bezeichnung des Lehrers verwendet hät-
te. –
Die Tiefe der Absurdität liegt hier wieder in Verhältnissen, die eine längere Erklärung zulassen; weil sie den eigentümlichen Bau unserer Sprache betreffen. – Wenn wir auf das System unserer Sprache sehen, dann haben wir das Gefühl der Tiefe. Es ist, als sähen wir durch ihr Netz hindurch die ganze Welt.



 
   
⌊⌊ˇ Ob wir über das Wesen des Satzes, des Verstehens, des Privaten, nur mir selbst bewussten Erlebens nachdenken: ⌋⌋
 
   
                Ein Gleichnis, das in die Formen unserer Sprache aufgenommen ist, bewirkt einen falschen Schein; der beunruhigt uns: “Es ist doch nicht so!” – sagen wir. “Aber es muss doch so sein!
 
   
                Denk, wie uns das Substantiv “Zeit” ein Medium vorspiegeln kann; wie es uns in die Irre führen kann, dass wir einem Phantom
auf
ab
und ab nachjagen. (“Aber hier ist doch nichts! – Aber hier ist doch nicht nichts!”) Oder denke an das
 
   

Log. phil. Abh. (5.4) Jeder Satz sagt Die allgemeine Form des Satzes ist: Es verhält sich so und so”. Hier ist so eine Form, die uns verführen kann
und mich auch.
. (Mich verführt hat.)

                Bei Plato: “Wer Etwas meint, meint doch etwas Seiendes.” (Theätetus.)

                Das ist die Art ˇvon Satz, die man sich unzähligemale wiederholt. Man glaubt, wieder und wieder der Natur nachzufahren, und fährt nur der Form entlang, durch die wir sie betrachten.
 
   
⌊⌊ˇOb wir über das Wesen des Satzes, des Verstehens, des privaten, nur mir selbst bewussten Erlebens nachdenken:⌋⌋ “Es ist doch so ‒ ‒ ‒ –” sagen wir uns wieder und wieder. Es ist uns, als müssten wir das Wesen der Sache erfassen, wenn wir unsern Blick nur ganz scharf auf dies Faktum einstellen, es in den Brennpunkt rücken könnten. Denn es scheint eben im Innern der Sache zu liegen. Erst wenn diese optische Täuschung entfernt ist, können wir nun die ˇtatsächliche Verwendungen der Sprache einfach sehen, wie sie ist.
 
   
                Der Ausdruck dieser Täuschung aber ist die metaphysische Verwendung unsrer Wörter. Denn [m|M]an prädiziert nun von der Sache, was in der Darstellungsweise liegt. Die Möglichkeit des Vergleichs, die uns beeindruckt, nehmen wir für die Wahrnehmung einer höchst allgemeinen Sachlage. hat man
 
   
Ein Bild hielt uns gefangen. Und heraus konnten wir nicht, denn es lag in unsrer Sprache, und sie schien es uns nur unerbittlich zu wiederholen. Um dem Bann der Ausdrucksformen zu entgehen, müssen wir die Sprache durchpflügen.
 
   
                Wenn die Philosoph[ie|en] ein Wort gebrauchen (“Wissen”, “Sein”, ˇ “Gegenstand”, ˇ “Ich”, “Satz”, “Name”etz.) und das Wesen des Dings zu erfassen trachten, muss man sich immer fragen: [w|W]ird denn dieses Wort in der Sprache, in der es seine Heimat hat, je tatsächlich so gebraucht? –
 
   
⌊⌊                 Man sagt mir: “Du verstehst doch diesen Ausdruck? Nun also in der Bedeutung, die Du kennst, gebrauche auch ich ihn.” Als wäre die Bedeutung eine Aura die das Wort mitbringt und in jederlei Verwendung herüber nimmt.
                Wenn Einer ˇz.B. sagt, der Satz “Dies ist hier” – wobei er auf einen Gegenstand zeigt – habe für ihn Sinn, so möge er sich fragen, unter welchen besondern Umständen man diesen Satz verwendet. In diesen hat er dann Sinn. ⌋⌋
 
   
                Wir führen die Wörter von ihrer metaphysischen, wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurück. (Der Mann, Wer sagt der sagte, man könne nicht zweimal in de[m|n] gleichen Fluss steigen, sagte etwas Falsches; man kann ˇMan steigt öfters zweimal in den gleichen Fluss steigen. ‒ ‒ ‒ Und [e|E]in Gegenstand hört manchmal auf zu existieren, wenn ich aufhöre ihn zu sehen, und manchmal nicht. ‒ ‒ ‒ Und [w|W]ir wissen manchmal, welche Farbe der Andere sieht, wenn er diesen Gegenstand betrachtet, und manchmal nicht.) Und so sieht die Lösung aller philosophischen Schwierigkeiten aus. Unsere Antworten müssen, wenn sie richtig sind, gewöhnliche und triviale sein. – Denn diese Antworten machen sich gleichsam über die Fragen lustig. Nicht aber die Erklärungen, die die Probleme verständlich machen.
 
   
                Der Begriff der übersichtlichen Darstellung ist für uns von grundlegender Bedeutung. Er bezeichnet unsere Darstellungsform, die Art, wie wir die Dinge sehen. (
Ähnlich einer
Vielleicht eine Art der
‘Weltanschauung’. Spengler.)
 
   
⌊⌊ˇ Ein philosophisches Problem hat die Form: “ich kenne mich nicht aus.” ⌋⌋
 
   
101
                Die Philosophie darf den tatsächlichen Gebrauch der Sprache in keiner Weise antasten, sie kann ihn am Ende also nur beschreiben.
                Denn sie kann ihn auch nicht begründen.
                Sie lässt alles wie es ist.
                Sie lässt auch die Mathematik wie sie ist und keine mathematische Entdeckung kann sie weiter bringen.1
                (Ein führendes Problem der mathematischen Logik (Ramsey) ist ein Problem der Mathematik, wie jedes andere.)
 
   
102
                Ein Gleichnis gehört zu uns[o|e]rem Gebäude; aber wir können auch aus ihm keine Folgen ziehen; es führt uns nicht über sich selbst hinaus, sondern muss als Gleichnis stehen bleiben. – Wir können keine Fo[rd|lg]erungen daraus ziehen. So, wenn wir den Satz mit einem Bild vergleichen (wobei ja, was wir unter “Bild” verstehen, schon früher in uns festliegen muss) oder die Anwendung der Sätze, das Operieren mit Sätzen, mit der Anwendung eines Kalküls, z.B. des Multiplizierens.
 
   
                Die Philosophie stellt eben alles bloss hin, und erklärt und folgert nichts. – Da alles offen daliegt, ist auch nichts zu erklären. Denn, was etwa verborgen ist, interessiert uns nicht. “Philosophie” könnte man auch das nennen, was vor allen neuen Entdeckungen & Empfindungen möglich ist.
 
   
104
                
unsere Arbeit ist
Die Arbeit des Philosophen ist
ein Zusammentragen von Erinnerungen zu einem bestimmten Zweck.
                (Die Anlage zur Philosophie beruht auf der Fähigkeit, von einer Tatsache der Grammatik einen starken und nachhaltigen Eindruck zu empfangen.)
Das Lernen der Philosophie ist wirklich ein Rückerinnern. Wir erinnern uns, dass wir die Worte wirklich auf diese Weise gebraucht haben.
                Wollte man Th Thesen in der Philosophie aufstellen, es könnte nie über sie zur Diskussion kommen, weil Alle mit ihnen einverstanden wären.
 
   
106
                
Wer philosophiert
Der Philosoph
trachtet das erlösende Wort zu finden, das ist das Wort, das uns endlich erlaubt, das zu fassen, was bis dahin, ungreifbar, unser Bewusstsein belastet hat. (Es ist, wie wenn uns ein Haar auf der Zunge liegt; man spürt es, aber kann es nicht fassen und darum nicht los werden.)
                Eine
von unsern
()ch
Aufgaben ist es, alle falschen Gedankengänge so charakteristisch auszudrücken, dass der Andre sagt: “Ja, genau so hab ich es gemeint”. Die Physiognomie jedes Irrtums nachzuzeichnen. Wir können auch nicht den Andern eines Fehlers überführen, es sei denn, dass er diesen Ausdruck als den eigentlichen Ausdruck seines Gefühls anerkennt. – Nämlich nur, wenn er ihn als solchen anerkennt, ist er der richtige Ausdruck. (Psychoanalyse.) Was der Andre anerkennt, ist die Analogie, die ich ihm darbiete, als Quelle seines Gedankens.
 
   
107
S                 Wir So befreien wiruns auch vom
Zwang eines logischen
Bann des
Ideals,
indem wir es als Bild anerkennen und seinen Ursprung angeben. – Wie bist Du zu diesem Ideal gekommen; aus welchem Material hast Du es geformt? Welche
konkrete Vorstellung war sein eigentliches Urbild? Dies müssen wir uns fragen, sonst können wir seinen irreführenden Aspekt nicht los werden. (Aesthetik.)
 
   
                Es ist von der grössten Bedeutung, dass wir uns ˇz.B. zu einem Kalkül der Logik immer ein Beispiel denken, worauf er wirklich anzuwenden ist; und nicht Beispiele geben und sagen: dies seien nicht die idealen, für die der Kalkül wirklich gelte, diese hätten wir noch nicht.
Das zeigt eine falsche Auffassung
Das ist das Zeichen einer falschen Auffassung
. Kann ich den Kalkül überhaupt verwenden, dann ist
dies
das
auch die ideale Verwendung und die Verwendung, um die es geht. – Man will
nämlich
nicht das reale Beispiel als die ideale Verwendung anerkennen, da man in ihm allerlei Verhältnisse sieht, eine Mannigfaltigkeit, die der Kalkül nicht berührt, (die er gleichsam übersieht). Aber es ist der wahre Gegenstand, das Material, des Kalküls und er davon hergenommen. Und dies ist kein Fehler, keine Unvollkommenheit des Kalküls. Der Fehler lag darin, seine Anwendung in nebelhafter Ferne zu versprechen.
 
   
                Man könnte sich denken, dass jemand sagt: “Wenn Einer eine Menge Rutenbündel zählt, – das eigentliche Bündel können ja nicht die Stäbe sein. Denn die Stäbe können abbrechen und herausfallen, – und doch bleibt das Bündel das Bündel. Die Stäbe: das ist etwas Unreinliches, und ich könnte dieses Unklare nicht mit meinen reinen, klaren Zahlen 1, 2, 3, … zählen.” (Aber einmal müsstest Du den
Schritt doch machen, vom [r|R]einen, Klaren – zum Unreinlichen. Das Reine, Klare aber ist das Spiel der Zeichen.)
 
   
                Nur so nämlich können wir der Ungerechtigkeit, oder Leere unserer Behauptungen entgehen, indem wir das Vorbild als das, was es ist, als Vergleichsobjekt – sozusagen als Masstab – hinstellen; und nicht als das Vorurteil, dem die Wirklichkeit entsprechend müsse. (Ich denke an [d|D]ie Betrachtungsweise Spenglers.) Hierin nämlich liegt der Dogmatismus, in den unsreˇman beim Philosophieˇren so leicht verf[a|ä]ll[e|t]n kann).
 
   
115
                Auch sind unsere
klaren,
exakten
ˇeinfachen Sprachspiele nicht Vorstudien zu einer künftigen Reglementierung unserer tatsächlichen Sprache, gleichsam erste Annäherungen, ohne Berücksichtigung der Reibung und des Luftwiderstands. Diese Auffassung führt zu Ungerechtigkeiten (Nicod und Russell.) Vielmehr stehen die Sprachspiele da als Vergleichsobjekte, die durch Aehnlichkeit und Unähnlichkeit ein Licht in die Verhältnisse unsrer Sprache werfen sollen.
 
   
113
                
Wir wollen
Da unser Ziel ist, den Bann zu brechen, in welchem uns gewisse Sprachformen halten, so wollen wir
in unserm Wissen vom Gebrauch der Sprache eine Ordnung herstellen, die dies möglich macht. D.i.; eine Ordnung zu einem bestimmten Zweck; eine von vielen möglichen Ordnungen. (Keine Ueber-Ordnung.) Wir werden zu diesem Zweck immer wieder Unterscheidungen hervorheben, die unsere gewöhnlichen Sprachformen leicht übersehen lassen. Dadurch kann es allerdings den Anschein erhalten, als sähen wir es für unsre Aufgabe an, die Sprache zu reformieren.
                So eine Reform für bestimmte praktische Zwecke, die Verbesserung unserer Therminologie zur Vermeidung von Missverständnissen im praktischen Gebrauch, ist wohl möglich. Aber das sind nicht die Fälle, mit denen wir es zu tun haben. Die
Verwirrungen
Konfusionen
, die uns beschäftigen, entstehen, gleichsam, wenn die Sprache feiert,
nicht wenn sie arbeitet
. (Man könnte sagen: wenn sie leerläuft.)
 
   
114
                Wir wollen nicht das Regelsystem für die Verwendung unserer Worte in unerhörter Weise verfeinern oder vervollständigen.
                Denn die Klarheit, die wir anstreben, ist allerdings eine vollkommene. Aber das heisst nur, dass die philosophischen Probleme vollkommen verschwinden sollen.
 
   
116
                Die eigentliche Entdeckung ist die, die mich fähig macht, mit dem Philosophieren aufzuhören, wann ich will. – Die die Philosophie zur Ruhe bringt, so dass sie nicht mehr von Fragen gepeitscht wird, die sie selbst in Frage stellen. – Sondern es wird nur an Beispielen eine Methode gezeigt, und die Reihe dieser Beispiele kann man abbrechen. ‒ ‒ ‒ Es werden Probleme gelöst (Schwierigkeiten beseitigt), nicht ein Problem.
 

Editorial notes

1) See facsimile; line connecting this sentence with the following one.