Die normale Ausdrucksweise “Ich habe Zahnschmerzen”, “N. hat Zahnschmerzen”, macht eine grammatische Zusammenfassung, die den Tatsachen insofern angepasst ist, wie eine Geometrie den Tatsachen der Physik angepasst sein kann. So nämlich, dass es zwar eine andere Geometrie auch täte, aber diese eine besomders einfache Darstellung der Tatsachen erlaubt. (Hiermit ist nätürlich nicht gesagt, dass die Geometrie, und allgemein die Grammatik, eine Darstellung der Tatsachen ist; wir we[e|r]den nur von gewissen Tatsachen dazu geführt, diese geometrische, oder allgemein grammatische, Darstellung zu bevorzugen.) So ist es kein Wunder, dass gewisse Tatsachen, unsern Körper betreffend, an die wir mindestens so sehr gewöhnt sind wie an die Festigkeit des Holzes, Eisens oder Steins, unsere Grammatik in ganz bestimmte Bahnen gelenkt haben.
          
 
   
Ich denke hier an folgende Tatsachen: dass wir mit den Augen sehen, mit den Ohren hören; dass meine Hand heute ungefähr so aussieht wie sie gestern ausgesehen hat; dass es nie vorgekommen ist, dass ich beim Erwachen an meinem Arm eine Hand sitzen sah, die ich als die meines Freundes erkannte, und an seinem Arm die meinige; dass eine gewisse Erfahrung, die ich das Muskelgefühl beim Biegen eines meiner Finger nenne, nie regelmässig mit dem Biegen des Fingers eines andern als meines Körpers zusammentraf; und dergleichen merhr.
          
 
   
Es ist überflüssig zu sagen: es beschäftigen uns nicht Probleme über den Zahnschmerz. Solche wären etwa Probleme der Zahnheilkunde oder der Psychologie. Und ferner ist uns der Gebrauch des Wortes “Zahnschmerz” in keiner Weise problematisch, so lange wir dieses Wort praktisch verwenden. Die Schwierigkeit tritt erst ein, wenn wir den Gebrauch des Wortes von aussen betrachten. Plötzlich, wenn wir von Zahnschmerzen reden, scheint ein Problem da zu sein; und es ist uns, als wären wir früher, im praktischen Leben, achtlos an einer Schwierigkeit vorbei gegangen, die sich uns nun zeigt. Das Problem scheint gewissermassen ein wissenschaftliches zu
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sein; es betrifft, möchte man sagen, das Wesen des Schmerzes.
          
 
   
D[er|ie] Philosophie betrachtet den Zahnschmerz, und das Problem ist da. Es ist als würde sie den Gegenstand, etwa die Tür, durch ein lichtbrechendes Medium betrachten, und sie erschiene uns nun geknickt, während wir doch nach wie vor durch sie aus- und eingehen können. So entsteht die [T|t]ypische Frage: “Wie ist … überhaupt möglich?” So fragen wir nur, wenn uns die Tatsachen wundern, wenn uns etwas an ihnen eigentlich ungereimt erscheint. Es sind verschiedene Ausdrucksweisen der Sprache, die wie Medien mit verschiedenen Brechungskoeffizienten wirken und den Gegenstand geknickt erscheinen lassen, wenn ich ihn zur Hälfte durch die eine, zur Hälfte durch die andere darstelle.


 
   
          Es kann das Pronblem bestehen, ob ein Mensch A Zahnschmerzen habe oder nicht. Es mag schwer sein, das festzustellen. Wir sagen in gewissen Fällen: ich vermute, dass er Zahnschmerzen hat; in andern: ich weiss gewiss, er hat Zahnschmerzen. Nun wieder sagt man andererseits: “Ich kann nie wissen, ob der andere Zahnschmerzen hat, ich kann es nur vermuten.” Das, was uns dazu treibt, dies zu sagen, ist das Bedürfnis, einen Unterschied zu betonen zwischen der Grammatik des Satzes “Ich habe Zahnschmerzen” und der Grammatik des Satzes: “Der andere hat Zahnschmerzen”. Die Art und Weise, wie ich das tue, ist irreführend, denn sie lässt es erscheinen, als wollte ich sagen, ich könne das (logisch erreichbare) Ideal des Wissens in dem einen Fall nicht erreichen, während gesagt werden soll: Ich wünsche das Wort “Wissen” aus diesem Zusammenhang auszuschliessen. So angewendet, ist Wissen dann kein Grenzwert des Vermutens. Und diese Regel über den Gebrauch der Worte Wissen und Vermuten sagt natürlich auch nicht, dass ich im Irrtum war, als ich sagte: “Ich weiss, dass er Zahnschmerzen hat”, im Gegensatz zu dem Fall, in dem ich es nur vermutete. Ja, die neue Redeweise wird uns ein Mittel an die Hand geben mäüssen, eben diesen Gegensatz auszudrücken.
          
 
   
Wir sagen also irreführend: “Ob der andere Zahnschmerzen hat, kann ich nicht wissen, sondern nur vermuten”; aber da meldet sich die Frage: Wie ist es auch nur möglich, das zu vermuten, wenn ich es nicht wissen kann?
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Ist, dass der andere Zahnschmerzen hat, dann nicht jedenfalls eine ganz überflüssige Annahme? Soll ich nicht einfach sagen: “Nur ich habe Zahnschmerzen, der andere nicht; er benimmt sich nur so wie ich, wenn ich Zahnschmerzen habe”? Wer das sagt, kann freilich nicht umhin, sich ein wenig vor den andern zu schämen. Er möchte dann sagen: “Es ist zwar wahr, aber man kann es nicht sagen, weil es die andern natürlich nicht gelten lassen.” Und man hält ihm den gesunden Menschenverstand vor, welcher sagt, dass die andern doch Zahnschmerzen haben können, auch wenn er sie nicht fühlt; und dass dies doch leicht denkbar sei, da die andern dann eben das hätten, was er habe, wenn er Zahnschmerzen hat. Und nun scheint e[i|s] ihm beinahe, als ob alles klar wäre und es gar keine Schwierigkeit gäbe.
          
 
   
Die Schwierigkeit aber besteht doch. Denn das Vorbild, welches uns vorschwebt, wenn wir etwa sagen: “Er hat jetzt|das, was ich früher hatte” oder “warum soll er nicht haben können, was ich habe?” ist der Gebrauch des Wortes “haben” in Sätzen wie “er hat jetzt die Uhr, die ich früher hatte”; “er hat schlechte Zähne, und ich habe schlechte Zähne”; “er hat weisse Haare und ich habe weisse Haare”. In ganz demselben Sinne kann man sagen, dass meine rechte Hand jetzt etwas haben, was dann meine linke hat (etwa eine Krankheit), dass dieser und jener Zahn in meinem Munde eine Plombe habe, und auch, dass dieser und jener Zahn in meinem Munde Schmerzen habe. Und sage ich nun in diesem Sinne, der andere habe was ich hatte, so führt uns dieser Uebergang nicht von meinen Zahnschmerzen zu seinen Zahnschmerzen, sondern (wie ich jetzt sagen müsste) von meinen Zahnschmerzen in meinem Munde zu meinen Zahnschmerzen in seinem Munde.


          

 
   
“Jeder Mensch fühlt nur seinen eigenen Schmerz, nicht den des andern”. Wenn wir das sagen, wollen wir nicht die bisherige Erfahrung zusammenfassen. Wollten wir es, so müssted der Gebrauch des Ausdruckes ““A fühlt den Schmerz des B” erst näher bestimmt werden; es müssten uns etwa Erfahrungen beschrieben werden, welche als Kriterien dafür zu gelten haben. In Wirklichkeit aber will man sagen, es sei logisch unmöglich, dass
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A den Schmerz des B fühle. Man trifft also damit eine Bestimmung über den Gebrauch der Sprache, und es sollte eigentlich heissen: es ist sinnlos, zu sagen, “A fühlt den Schmerz des B”. Dann aber ist es auch sinnlos zu sagen: “A fühlt seinen eigenen Schmerz”. Analog verhält es sich mit dem Ausdruck: “Meine Schmerzen erkenne ich direkt, die der andern indirekt”. Ich kann freilich die Worte direkt und indirekt für die eigenen Schmerzen und die der andern reservieren, aber die Worte “Ich” (bzw. “mein”) bilden da und “direkt” bilden dann eine sprachliche Einheit, sie sind nicht trennbar, sie sind gleichsam korrelativ; und ebenso “der andere” und indirekt”. Die Regel sagt dann gleichsam, es schicke sich, im Falle des eigenen Schmerzes von “direkt” usw. zu reden.
          
 
   
Diese Verdoppelung der Unterscheidungen ist also nicht nötig, und das w[i|e]ist uns darauf hin, dass wir statt der ersten auch die zweite allein anwenden können, also statt von meinen Schmerzen und Schmerzen des andern von direkten und in[s|d]irekten Schmerzen reden können.
          
 
   
Dass wir sagen “Ich fühle meinen Schmerzen direkt, die des andern erfahre ich nur indirekt”, kann uns als ein Anzeichen dafür gelten, dass wir geneigt sind, hier die besitzanzeigende Redeweise aufzugeben. Jener verschleierte grammatische Satz führt eigentlich eine neue Redeweise ein. Er ist es aber, der scheinbar die metaphysische Ausnahmsstellung des Ich ausspricht, (im Gegensatz zu einer erfahrungsmässigen Ausnahmsstellung eines menschlichen Körpers), während es eine solche Ausnahmsstellung weder in der einen noch in der andern Redeweise hat, die der Satz verwendet. Wir können kaum umhin, ˇhier zu glauben, es läge etwas beinahe Geheimnisvolles in dem Ich und dem Er, und dem Verhältnis meines Gefühls zu seinem; als sei hier etwas schwer Fassbares vorhanden, etwas, etwas, das sich gegen das Erfassen durch unsern Geist sträubt. Wir scheinen einen Widerstand überwinden zu müssen, während er durch die richtige Einstellung unserer Sprache verschwindet. (Eine Tür, die schwer zu öffnen ist, nämlich nur durch Anwendung grosser Kraft, und andererseits eine Kassentür mit Geheimschloss.)
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(Wenn der Ort meiner Schmerzen der Zahn eines andern wäre, so könnte ich eigentlich sehr wohl sagen: ich fühle die Schmerzen des andern. Aber dies will man nicht, man ˇwill vielmehr sagen: Unsinn, ich kann immer nur meine Schmerzen fühlen, und wäre es auch im Zahn des andern. Hierdurch zeigt man, dass man Ort und Besitzer der Schmerzen voneinander unterscheiden möchte. Obglieich der Ort (der “Träger”) der Schmerzen ein anderer Körper ist, soll ich doch ihr Besitzer bleiben, es soll unsinnig sein zu sagen “ich fühle die Schmerzen eines andern”. Dann ist es aber auch unsinnig zu sagen: “Ich kann nur meine Schmerzen fühlen”; denn dies wäre nur sinnvoll zusagen, wenn es eben logisch auch anders sein könnte (wenn jenes “kann nicht” nur eine empirische Unmöglichkeit wäre). Wenn es also unsinnig ist zu sagen: “Die Schmerzen eines andern kann ich nicht fühlen”, wenn also Schmerz und Besitzer wesensmässig zusammenfallen, nicht trennbar sind, dann hat es überhaupt keinen Sinn, von einem Besitzer des Schmerzes zu sprechen. Dies hätte nur Sinn, wenn der Schmerz seinen Besitzer wechseln könnte.)


          

 
   
Der Satz “Ich nehme meine Zahnschmerzen direkt wahr, die des andern indirekt” trägt unabweislich den Schein einer gegenständlichen Aussage an sich, und baut doch erst eine Ausdrucksweise auf. Mit ihm kann die Wirklichkeit gar nicht übereinstimmen oder nicht übereinstimmen. Er kann also das Ich auch nicht in Gegensatz stellen zum Andern, er kann ihm gar keine Ausnahmsstellung geben.
          
 
   
Räumen w[e|i]r der Länge der menschlichen Elle dadurch eine Ausnahmsstellung ein, dass wir sie als Längeneinheit festsetzen? Ja und Nein.
          
 
   
Wenn man sagt: “den Schmerz des andern kann ich nicht fühlen, sondern nur meinen eigenen”, so könnte man die darin ausgesprochene Auffassu[g|n]g auch so ausdrücken: Mein [s|S]chmerz unterscheide sich von seinem nicht durch die Lage. Ich kann nach dieser Auffassung sagen: “Ich habe Schmerzen in der Hand des andern, des A. des B, des C etc.” Nenne ich also Menschenleiber A, B, C, so ist der Besitzer des Schmerzes dadurch nicht angegeben,
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dass ich sage, der Schmerz sei in der Hand des Leibes A. Zum mindesten soll es von meinem Schmerz gelten, dass e[s|r] nicht durch die Lage in einem bestimmten menschlichen Körper asls der meinige charakterisiert ist.
          
 
   
Wenn ich frage, was ihn als solchen charakterisiert, so wird zunächst geantwortet, dass “ich ihn direkt empfinde”. Aber wie wäre es denn, wenn ich ihn indirekt empfände? Soll diese Redewiese keinen Sinn haben? Dann kann ich das Wort “ich” im vorigen [s|S]atze auslassen und sagen, mein Schmerz sei dadurch charakterisiert, dass er direkt empfunden w[ä|e]rde (“es denkt”). Meiner ist also der, welcher direkt empfunden wird, und dass ein anderer Schmerzen hat, weiss ich nur indirekt aus seinen Aeusserungen.
          
 
   
Aber dies ist eine Festsetzung. Denn wir reden davon, jene Aeusserungen seien Anzeichen des Schmerzes, und das klingt so, als hätten wir der indirekten Kenntnis des Schmerzes des andern eine direkte Kenntnis des Schmerzes des andern entgegengesetzt. Wir können davon reden, wir wüssten diekt, dass ein Mensch im Nebenzimmer sei, wenn wir ihn dort durch die Tür sehen; indirekt, wenn wir in bloss sprechen hören. Es kann uns dann z.B. d[er|as] [g|G]ehörte Satz dazu führen, dass wir die Tür öffnen, und ihn nun direkt im andern Zimmer sehen.
          
 
   
Wir sind nun versucht anzunehmen, dass die Grammatik dieses Falles auch die des vorigen Falles ist. Unsere Ausdrucksweise lässt es so erscheinen, als könnten wir nicht dazu gelangen, den Schmerz des andern direkt wahrzunehmen, in dem Sinne, in welchem wir nicht in das Zimmer des andern gelangen können, wenn die Tür versperrt ist, – während wir ja festgesetzt|haben, gewisse Phänomene “Anzeichen des Schmerzes des andern” zu nennen und dem Wahrnehmen der Anzeichen kein Wahrnehmen des Schmerzes des andern entgegengesttzt haben.
          
 
   
Alle Misverständnisse in diesem Gebiete entspringen dadurch, dass wir hier “direkt” und “indirekt” nicht als mögliche Argumente der gleichen Funktion gebrauchen, also gar nicht als Gegensätze.
          

 
   
Wer sagt: “Zwei Menschen können nicht denselben (identischen) Schmerz empfinden”, den kann man fragen: “Wie ist es etwa im Falle der si-
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amesischen Zwillinge? Diese könnten Schmerz an einer Stelle ihres Doppelkörpers empfinden. War das nun ein Schmerz, oder waren es zwei Schmerzen, und welcher Art ist die Untersuchung, ob es das eine oder das andere war? Ich nehme hier an, dass die Aussagen “Jeder der beiden hat einen andern Schmerz” und “die beiden haben denselben Schmerz” entgegengesetzte Aussagen sein sollen. Wenn also die eine zutrifft, so muss die andre falsch sein, nicht sinnlos. Es müsste also Kriterien in der Erfahrung geben, nach welchen ich einmal das eine, einmal das andere sagen würde (so ein Kriterium der ersten Aussage könnte es z.B. sein, dass der eine sagt, er habe einen stechenden Schmerz, der andere, er fühle einen schmerzenden Druck). Aber diese Art Fall ist es ja gar nicht, die ich betrachten wollte. Ich wollte ja eine metaphysische Entscheidung treffen, ich wollte gar nicht zwei Erfahrungen voneinander unterscheiden. – Nun, dann brauche ich auch keine Redeweise, wlche sich wie eine Entscheidung zwischen zwei gegensätzlichen Aussagen anhö[t|r]t. Nehmen wir nämlich an, ich sagte “Jeder der beiden hat seinen eigenen Schmerz, auch wenn sich die beiden Schmerzen weder durch ihre Stärke noch durch ihre Lage usw. unterscheiden”, so ist dem kein Fall entgegengesetzt, in welchem die beiden einen Schmerz gemeinsam haben, und also ist in dem Satze “A hat seinen Schmerz” das Wort “seinen” überflüssig.


          

 
   
Denken wir uns folgenden F[y|a]ll: In einer Gesellschaft von Menschen sei der eine A besonders geschickt darin, Tongefässe zu machen; die andern können das nicht, können aber welche zeichnen. Durch diese Umstände hat sich eine Redeweise eingebürgert, nach welcher man mit “Gefäss des A” das meint, was wir unter “Gefäss” verstehen; unter “Gefäss des B, C, D usw.” versteht man Zeichnungen von Gefässen, welche die Leute B, C, D usw. angefertigt haben. Ich nehme an, es gebe auch einen bestimmten Ausdruck für die Zeichnung eines Gefässes, welches A angefertigt hat.
          
 
   
Es braucht nicht erklärt zu werden, in wie fern die beschriebene Ausdrucksweise irreführend sein kann. Aber könnte man sie falsch nennen? Gewiss nicht! Man kann ihr zum Vorwurf machen, dass sie [u|U]ngleichartiges
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zusammenfasse – aber warum soll sie das nicht tun? Nehmen wir an, dass in der oben geschilderten Sprache die Ausdrücke “Werkzeug des A”, “Werkzeug des B” usw. das bedeuten, was wir für gewöhnlich darunter verstehen würden, dann wird die Ausdrucksweise “Gefäss des A” usw. ganz besonders irreführend sein. Man wird nun in verschiedenen Fällen sagen können, man spreche von einem Gefäss des A im Gegensatz zu einem Gefäss des B (wenn auch dieser Gegensatz von ganz anderer Art ist als der zwischen einem Werkzeug des A und einem Werkzeug des B). Wie aber, wenn ich etwa sagte: “Dieses Gefäss des A ist aus Ton gemacht”? Kann ich hier sagen, ich habe vn einem Gefäss des A im Gegensatz zu einem Gefäss des B gesprochen? Nein, denn der Ausdruck “Gefäss des B” ergäbe statt des andern gesetzt hier keinen Sinn.
          

 
   
Dieses Beispiel zeigt den Fall einer gleichsam unsymmetrischen Anwendung des Possessivums, und es ist leicht, aus ihr die verschiedenen philosophischen Misverständnisse zu entwickeln, die in den ähnlichen Fällen unserer Sprache wirklich aufgetreten sind. In einem Fall, in welchem das Subjenct Ich keinem andern entgegengesetzt wird – dadurch nämlich, dass die Grammatik der übrigen Satzglieder dafür sorgt, dass das Wort Ich durch keinen seiner gewöhnlichen Gegensätze sinnvoll ersetzt werden kann – in einem so solchen Falle wird der Gebrauch des Wortes Ich obsolet.





       

 
   
Kann eine Maschine denken?
       Wir rufen uns in Erinnerung, dass das Denken nicht notwendig eine Folge oder Reihe von Vorstellungen ist (ich meine, von Phantasievorstellungen). Das Denken kann ebenso wohl im Schreiben, Lesen, Zeichnen, Rechnen bestehen. Nun, dann kann eine Maschine denken, wenn sie z.B. Schreiben oder zeichnen kann.
       
 
   
Das befriedigt uns aber vielleicht nicht, und wir sagen: “Aber die Maschine weiss doch nichts davon, dass sie schreibt. Unter “Denken verstehen wir ja die persönliche Erfahrung des schreibens, Lesesens usw., und die hat die Maschine nicht”. Wenn wir das sagen, dann ist das genaue Analogon
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zu unserer ersten Frage die: “kann eine Maschine Schmerzen haben?” Nun, kann ein menschlicher Körper Schmerzen haben? So weit man das eine sagen kann, kann man auch das andere sagen. Nun möchte man sagen: “Aber der Körper kann ja auch nicht Schmerzen haben!” Insofern aber der Körper nicht der Träger oder Besitzer des Schmerzes ist, hat der Schmerz keinen Besitzer. Man wendet ein; : “Aber ich habe doch Schmerzen, nicht mein Körper, denn ich könnte Schmerzen haben auch ohne Körper (in der amputierten Hand), und könnte auch meinen Körper wechseln.” Aber warum nenne ich ihn dann meinen Körper? im Gegensatz wozu? Hier verweise ich auf die vorhergegangene Untersuchung.




       

 
   
Der Ausdruck “rot und grün zugleich an demselben Ort” ist nach verschiedenen Analogien gebildet.
       
 
   
Bedenken wir zuerst, dass der Sinn des Satzes nicht als ein ätherisches Wesen über ihm ist, sondern in den grammatischen Bestimmungen über seine Teile liegt. Das erklärt, wie ein Satz “sinnvoll klingen” kann: er hat den altgewohnten Satzklang, besteht aus al[z|t]gewohnten Wortverbindungen.
       
 
   
Sehen wir uns die Analogien an, nach denen der Satz “grün und rot ist hier zu gleicher Zeit” gebaut ist. Eine von ihnen ist z.B. “Dieses Papier ist grün und rund”. Bedenken wir hier die Vielfältigkeit der Grammatik von Subjekt und Prädikat. Denken wir, einer würde auf den Satz “Dieses Papier ist grün und rund” antworten: “Hier ist grün (indem er mit dem Finger auf die Mitte des Papiers zeigt), aber hier ist doch nicht rund! Es ist also nicht dort grün, wo es rund ist.”
       
 
   
Kann man dem Satz “Dieser Fleck ist zugleich rot und grün” Sinn geben? Gewiss! z.B. den des Satzes: dieser Fleck ist teils rot teils grün. Aber wenn wir dem Satz diesen Sinn geben, sind wir da nicht von der Norm der Sinngebung solcher Sätze abgewichen? Das heisst, haben wir ihm
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nicht einen disparaten Sinn gegegben? Haben wir den nicht gleichsan betrogen, dem wir sagten, jener Satz könne sehr wohl einen Sinn haben, nämlich eben den angegebenen? Das heisst eigentlich: sind wir wirklich den Analogien gefolgt, von denen wir uns bei der Sinngebung hätten leiten lassen sollen?
       
 
   
Denken wir an folgenden Fall. Wir erklären jemand, was ein regelmässiges in einen Kreis eingeschriebenes Viereck ist; dann ein Dreieck und ein Zweieck. Nun verlangen wir von hihm, dass er nach Analogie ein regelmässiges Eineck zeichne, oder wir sagen, er könne es nicht tun. Wenn er nub aber einen Punkt auf eine Kreislinie zeichnet und sagt, das sei das regelmässige Eineck? Wie können wir ihm vorwerfen, er habe es nicht richtig nach Analogie gezeichnet? Nun, es hat ja keine Ausdehnung, und die vorigen Vielecke hatten Ausdehnung. Aber woher nahmen wir denn den Begriff der Ausdehnung? Doch eben von jenen Vielecken, und wir wollten ja gerade nicht, dass er eines von diesen zeichnet. Wir selbst setzten eben als Reihe von analogen Bildungen eine fest, welche mit dem regelmässigen Zweieck anfing, vielleicht sogar mit dem regelmässigen Dreieck; und was würden wir dem antworten, der sagte: Das regelmässige Dreieck ist dem regelmässigen Viereck ja auch nicht analog, denn in diesem liegt eine Seite einer Seite gegenüber, in jenem eine Seite einem Winkel!
       
 
   
Wir müssen uns bewusst werden, woher wir einen Begriff nehmen. Wir sagen z.B. es gibt sechs primäre Farben, und es ist unmöglich, eine siebente zu finden. Nach welcher Analogie aber sollen wir hier vorgehen? Wir bedenken nicht, dass der Begriff “primäre Farbe” hier durch eine Aufzählung von sechs Farben gegeben ist, d.h. dass z.B. der Satz “diese Kugel hat eine primäre Farbe” dasselbe heisst wie: “diese Kugel isr entweder grün oder blau oder rot oder gelb oder weiss oder schwarz.
       
 
   
Vergeliche hiermit: Wie ist man zu dem Begriff “Dreiteilung des Winkels mittels Lineal und Zirkel” gekommen? Es gibt eine metrische n–Teilung, und es gibt eine Reihe von Teilungen mit Lineal und Zirkel.
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Vergleiche den Begriff “Dreiteilung des “inkels mittels Lineal und Zirkel” mit dem Begriff “Kardinalzahl, deren Quadrat 10 ist”.
       
 
   
Denke an eine Geometrie, die als einzige Konstruktion die Zweiteilung der Strecke mit Lineal und Zirkel kennt. In dieser Geometrie kann man die Strecke durch successive Zweiteilung in 4, 8 usw. gleiche Teile teilen, aber es gibt in ihr keine Dreiteilung der Strecke. Untersuche diesen Fall!
       
 
   
Von dem, welcher sagt, es gebe keine Fläche, die zugleich rot und blau sei, verlangen wir, dass er uns erkläre, was er mit diesen Worten meint. Wir werden nicht sagen, er könne es uns nicht erklären. Er kann es sehr wohl erklären, aber vielleicht wird er es nicht erk[ä|l]ären. Er wird dieser Lautverbindung vielleicht keinen Sinn geben wollen; so wie er auch das Wort “regelmässiges Eineck” erklären könnte, ja er hatte volle Freiheit, aber vielleicht wollte er es nicht erklären und blieb daher beim regelmässigen Zweieck stehen. Fragt man: warum wollte er aber nicht weitergehen? so wird man vielleicht antworten: weil ihm das System so komplett erschien. Aber damit weist man vielleicht auf ein Gefühl der Befriedigung hin, vielleicht auf die Befriedigung, welche eine bestimmte Analogie mit andern Systemen gewährt. Er schliesst das System in den Spracherklärungen hier ab, weil es ihm hier passt, vergisst aber dann die Grenzen, die er selbst, etwa durch seine hinweisenden Definitionen, gezogen hat; und sucht nach Bildungen, welche denen anderer Systeme analog sind, dort, wo er durch das erste Ziehen seiner Grenzen gerade diese Analogie ausgeschlossen hat.