16.1.49.

  Die Traumerzählung, ein Gemenge von Erinnerungen. Oft zu einem sinnvollen & rätselhaften Ganzen. Gleichsam zu einem Fragment, das uns stark beeindruckt (manchmal nämlich), so daß wir nach einer Erklärung, nach Zusammenhängen suchen.
  Aber warum kamen jetzt diese Erinnerungen? Wer will's sagen? – Es kann mit unserm gegenwärtigen Leben, also auch mit unsern Wünschen, Befürchtungen, etc., zusammenhangen. – “Aber willst Du sagen, daß diese Erscheinung im bestimmten ursächlichen Zusammenhang stehen müsse?” – Ich will sagen, daß es nicht notwendigerweise Sinn haben muß, von einem Auffinden ihrer Ursache zu reden.

 
   
1.49.
      Shakespeare & der Traum. Ein Traum ist ganz unrichtig, absurd, zusammengesetzt, & doch ganz richtig: er macht in dieser
seltsamen Zusammensetzung einen Eindruck. Warum? Ich weiß es nicht. Und wenn Shakespeare groß ist, wie von ihm ausgesagt wird, dann muß man von ihm sagen können: Es ist alles falsch, stimmt nicht – & ist doch ganz richtig nach einem eigenen Gesetz.
      Man könnte das auch so sagen: Wenn Shakespeare groß ist, kann er es nur in der Masse seiner Dramen sein, die sich ihre eigene Sprache & Welt schaffen. Er ist also ganz unrealistisch. (Wie der Traum.)

 
   
       Religiöser Glaube & Aberglaube sind ganz verschieden. Der eine entspringt aus Furcht & ist eine Art falscher Wissenschaft. Der andre ist ein Vertraun.

 
   
       Ein stilistischer Behelf mag praktisch sein, & mir doch verboten. Das Schopenhauersche „als welcher” z.B.. Es würde den Ausdruck manchmal bequemer, deutlicher, machen, kann aber nicht von dem ge-
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braucht werden, der es als altväterisch empfindet; & er hat nicht das Recht, sich über diese Empfindung hinwegzusetzen.

 
   
30.5.48
     Ich glaube, daß die Erziehung der Menschen heute dahingeht, die Leidensfähigkeit zu verringern. Eine Schule gilt in England heute für gut, if the children have a good time. Und das war früher nicht der Maßstab. – Und die Eltern möchten, daß die Kinder werden, wie sie selbst sind (only more so) & doch lassen sie sie durch eine Erziehung gehen, die von der ihren ganz verschieden ist. – Auf die Leidensfähigkeit gibt man nichts, denn Leiden soll es nicht geben, sie sind eigentlich veraltet

 
   
5.48.
    “Die Tücke des Objekts” – Ein unnötiger Anthropomorphismus. Man könnte von einer Tücke der Welt reden; sich leicht vorstellen, der Teufel habe die Welt geschaffen, oder einen Teil von ihr. Und es ist nicht nötig,
an ein Eingreifen des Dämons von Fall zu Fall zu glauben; es kann alles ‘den Naturgesetzen gemäß’ vorsich gehen; es ist dann eben der ganze Plan von vornherein auf's Schlimme angelegt. Der Mensch aber befindet sich in dieser Welt, in der die Dinge rutschen, zerbrechen, Unheil anstiften. Und sein Körper ist natürlich eins von den Dingen. – Die ‘Tücke’ des Objekts ist ein dummer Anthropomorphismus. Denn die Wahrheit ist viel ernster als diese Fiktion.

 
   
        Wenn Nachtträume eine ähnliche Funktion haben, wie Tagträume, dann dienen sie zum Teil dazu, den Menschen auf jede Möglichkeit (auch die schlimmste) vorzubereiten.

 
   
         Wenn Du einen Knäuel nicht entwirren kannst, so ist das Gescheiteste, was Du tun kannst, das einzusehen; & das Anständigste, es zuzugestehen. [An-
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tisemitismus]
    Was man tun soll, das Übel zu heilen, ist nicht klar. Was man nicht tun darf, ist von Fall zu Fall klar.

 
   
      Die unheilbare Krankheit ist die Regel, nicht die Ausnahme.

 
   
      Es ist merkwürdig, daß man die Zeichnungen von Busch oft “metaphysisch” nennen kann. So gibt es also eine Zeichenweise, die metaphysisch ist. – “Gesehen, mit dem Ewigen als Hintergrund” könnte man sagen. Aber doch bedeuten diese Striche das nur in einer ganzen Sprache. Und es ist eine Sprache ohne Grammatik; man könnte ihre Regeln nicht lernen angeben.

 
   
      In einer Konversation: Einer wirft einen Ball; der Andre weiß nicht: soll er ihn zurückwerfen, oder einem Dritten zuwerfen, oder liegen lassen, oder aufheben & in
die Tasche stecken. –

 
   
        Ist ein falscher Gedanke nur einmal kühn & klar ausgedrückt, so ist damit schon viel gewonnen.

 
   
11.48.
        Es ist ein körperliches Bedürfnis des Menschen, sich bei der Arbeit zu sagen “Jetzt lassen wir's schon einmal”; & daß man immer wieder gegen dieses Bedürfnis beim Philosophieren denken muß, macht diese Arbeit so anstrengend.

 
   
        Ich habe eines von diesen Talenten, die immer wieder aus der Not eine Tugend machen müssen.

 
   
       Tradition ist nichts, was Einer lernen kann, ist nicht ein Faden, den Einer aufnehmen kann, wenn es ihm gefällt; so wenig, wie er sich die eignen Ahnen aussuchen kann.
          Wer eine Tradition nicht hat &
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sie haben möchte, der ist wie ein unglücklich Verliebter.

 
   
     Der glücklich Verliebte & der unglücklich Verliebte haben jeder sein eigenes Pathos.
    Aber es ist schwerer gut unglücklich verliebt sein, als gut glücklich verliebt.

 
   
    [Über meine philosophischen Bemerkungen] Im Geistigen läßt sich ein Unternehmen meißtens nicht fortsetzen; soll auch gar nicht fortgesetzt werden. Diese Gedanken düngen den Boden für neue Gedanken.

 
   
12.47.
       Es kommt mir vor, als könne ein religiöser Glaube nur ein leidenschaftliches Sich--entscheiden für ein Bezugsystem sein. Also, obgleich es Glaube ist, doch eine Art des Lebens, oder eine Art, das Leben zu beurteilen. Ein leidenschaftliches Ergreifen dieser Auffassung. Und die Instruktion in einem religiösen Glauben müßte also die Darstellung, Be-
schreibung jenes Be[t|z]ugsystems sein & zugleich ein in's-Gewissen-reden. Und diese beiden müßten am Schluß bewirken, daß der Instruierte selber, aus eigenem, jenes Bezugsystem leidenschaftlich erfaßt. – Es wäre, als ließe mich jemand auf der einen Seite meine hoffnungslose Lage sehen, auf der andern die rettende Zuflucht, bis ich, aus eigenem, – aber ganz gewiß nicht von dem Instruktor an der Hand geführt – auf den Rettungsanker zustürzte & ihn ergriffe.

 
   
       Genie ist das Talent, worin der Charakter sich ausspricht. Darum, möchte ich sagen, hatte Kraus Talent, ein außerordentliches Talent, aber nicht Genie.
Es gibt freilich Genieblitze, bei denen man dann, trotz des großen Talenteinsatzes, das Talent nicht merkt. Beispiel: “Denn tun können auch die Ochsen & die Esel, aber .....”. Es ist merkwürdig, daß das z.B. so viel größer ist, als irgend etwas,
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was Kraus je geschrieben hat. Es ist hier eben nicht ein Verstandesskelett, sondern ein ganzer Mensch.
       Das ist auch der Grund, warum die Größe dessen, was Einer schreibt, von allem Übrigen abgehängt, was er schreibt & tut.

 
   
       Schiller schreibt in einem Brief von einer ‘poetischen Stimmung’. Ich glaube, ich weiß, was er meint, ich glaube sie selbst zu kennen. Es ist die Stimmung, in welcher man für die Natur empfänglich ist & die Gedanken so lebhaft erscheinen, wie die Natur. Merkwürdig ist aber, daß Schiller nicht besseres hervorgebracht hat (oder so scheint es mir) & ich bin daher auch gar nicht sicher überzeugt, daß, was ich in solcher Stimmung hervorbringe, wirklich etwas wert ist. Es ist wohl möglich, daß meine Gedanken ihren Glanz dann nur von einem Licht, das hinter ihnen steht,
empfangen. Daß sie nicht selbst leuchten.

 
   
        Der Mensch kann alles Schlechte in sich als Verblendung ansehen.

 
   
        Wenn es wahr ist, wie ich glaube, daß Mahlers Musik nichts wert ist, dann ist die Frage, was er, meines Erachtens, mit seinem Talent hätte tun sollen. Denn ganz offenbar gehörten doch eine Reihe sehr seltener Talente dazu, diese schlechte Musik zu machen. Hätte er z.B. seine Symphonien schreiben & verbrennen sollen? oder hätte er sich Gewalt antun, & sie nicht schreiben sollen? Hätte er sie schreiben, & einsehen sollen, daß sie nichts wert seien? Aber wie hätte er das einsehen können? Ich sehe es, weil ich seine Musik mit der der großen Komponisten vergleichen kann. Aber er konnte das nicht; denn wem das eingefallen ist, der mag
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wohl gegen den Wert des Produkts mißtrauisch sein, weil er ja wohl sieht, daß er nicht, sozusagen, die Na Natur der andern großen Komponisten habe, – aber die Wertlosigkeit wird er deswegen nicht einsehn, denn er kann sich immer sagen, daß er zwar anders ist, als die Übrigen (die er aber bewundert), aber in einer andern Art wertvoll. – Man könnte vielleicht sagen: Wenn Keiner, den Du bewunderst, so ist, wie Du, dann glaubst Du wohl nur darum an Deinen Wert, weil Du's bist. – Sogar wer gegen die Eitelkeit kämpft, aber darin nicht ganz erfolgreich ist, wird sich immer über den Wert seines Produkts täuschen.
       Am gefährlichsten aber scheint es zu sein, wenn man seine Arbeit irgendwie in die Stellung bringt, wo sie, zuerst von einem selbst & dann von Andern mit den alten großen Werken verglichen wird. An solchen Vergleich sollte
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man gar nicht denken. Denn wenn die Umstände heute wirklich so anders sind, als die frühern, daß man sein Werk der Art nach nicht mit den früheren Werken vergleichen kann, dann kann man auch den Wert nicht mit dem ihren vergleichen. Ich selbst mache immer wieder den Fehler, von dem hier die Rede ist.

 
   
      Rosinen mögen das Beste an einem Kuchen sein; aber ein Sack Rosinen ist nicht besser als ein Kuchen; & wer im Stande ist, uns einen Sack voll Rosinen zu geben, kann damit noch keinen Kuchen backen, geschweige, daß er etwas besseres kann.
       Ein Kuchen, das ist nicht gleichsam: verdünnte Rosinen.