Aber auf die Frage: “hast Du den Satz (den Du jetzt
gelesen hast) verstanden” wird man doch wahrheitsgemäß einmal
“ja”, einmal “nein”
antworten.
“Es muß also doch etwas Anderes vorgehen, wenn ich ihn
verstehe, als wenn ich ihn nicht verstehe.”
Gut.
Wenn ich also einen Satz verstehe, so geschieht etwas, ganz ähnlich dem,
wenn ich einer Melodie als Melodie folgen kann, im Gegensatz
dazu: wenn sie zu lang oder zu verwickelt ist & ich
sagen muß, “diesem Teil konnte
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ich nicht folgen”.
Und dasselbe könnte mit einem Bild, ich meine jetzt, einem reinen Ornament
geschehen.
Ich sehe zuerst nur ein Gewirr von Strichen, endlich gruppieren sie
sich mir in bekannte & gewohnte Formen; ich sehe eine Einteilung,
ein mir geläufiges System. –
Kamen in dem Ornament auch Abbilder mir wohlbekannter Gegenstände vor, so
wird das Erkennen von solchen ein weiteres Verständnis bedeuten.
(Denke hier an das Auflösen eines Vexierbildes.)
Ich werde dann sagen: “ja, jetzt sehe ich das Bild
richtig”. –
Auf die Frage: “was ist da vorgegangen, als Du diesen
Satz mit Verständnis lasest”, müßte ich dann sagen:
ich habe ihn als eine, mir ihrer Art nach wohlbekannte, deutsche
Wortverbindung || Wortverkettung gelesen.
Etwa auch: es hat mir dabei das Bild vorgeschwebt
….
Nun fragt man aber: “Ist das alles?
Darin allein konnte doch nicht das Verständnis
bestehen!”
Nun, das (oder dergleichen) ist alles, was während meines Lesens
& unmittelbar darauf
vor sich
gegangen ist; aber was wir “verstehen” nennen
bezieht sich eben auf unzählige Vorgänge, die vor & nach dem
Lesen
dieses Satzes stattfinden.
Wenn ich aber einen Satz nicht verstehe: da konnte es ein Satz einer
mir fremden Sprache sein &
ich sehe nun || alles was ich sehe
ist eine Reihe unbekannter Wörter.
Oder, was ich las, schien ein deutscher Satz zu sein, aber ein Teil war
keine mir geläufige Wortverbindung, & als ich nun versuchte
sie zu begreifen (& das kann wieder Verschiedenes heißen) da
gelang es mir nicht.
(Denke an die Vorgänge, wenn wir den Sinn eines Gedichtes zu verstehen
trachten, das in unsrer
Muttersprache geschrieben ist, dessen
Sprachformen wir aber doch nicht verstehen.)
Von einem Satz einer mir fremden Sprache aber,
den ich nur mühsam || etwa einem lateinischen, den ich nur
mühsam durch
Konstruieren entziffern kann, werde
ich auch sagen, ich verstehe ihn, wenn ich ihn stückweise ins Deutsche
übersetzt habe und nie dazugekommen bin seine Satzmelodie zu
erfassen.