27.1.37
Auf der Rückkehr von Wien & England, auf der Reise von Bergen nach Skjolden. Mein Gewissen zeigt mir mich selbst als einen elenden Menschen; schwach d.h. unwillig zu leiden, feig: immer in Furcht Anderen einen ungünstigen Eindruck zu machen z.B. dem Portier im Hotel, dem Diener, etc.. Unkeusch. Am schwersten aber fühle ich den Vorwurf der Feigheit. Hinter ihm aber steht die Lieblosigkeit (& die Überhebung). Aber die Scham die ich jetzt empfinde ist auch nichts Gutes insofern ich meine äußere Niederlage stärker empfinde als die Niederlage der Wahrheit. Mein Stolz & meine Eitelkeit sind verletzt.
     In der Bibel habe ich nichts als ein Buch vor mir.
¤ Aber warum sage ich “nichts als ein Buch”, || ? ich habe ein Buch vor mir,
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ein Dokument, das wenn es allein bleibt, nicht mehr Wert haben kann, als irgend ein anderes Dokument.

      (Das hat Lessing gemeint.) Dieses Dokument an sich kann mich zu keinem Glauben an die Lehren die es enthält ‘verbinden’, – so wenig wie irgend ein anderes Dokument, das mir hätte in die Hände fallen können. Soll ich die Lehren glauben so nicht deshalb weil mir dies & nicht etwas anderes berichtet worden ist. Sie müssen mir vielmehr einleuchten: & damit meine ich nicht nur Lehren der Ethik, sondern historische Lehren. Nicht die Schrift, nur das Gewissen kann mir befehlen an Auferstehung, Gericht etc. zu glauben. Zu glauben, nicht als an etwas Wahrscheinliches, sondern in anderem Sinne. Und mein Unglaube kann mir nur in sofern zum Vorwurf gemacht werden, als entweder
mein Gewissen den Glauben befiehlt – wenn es so etwas gibt –, oder als es mir Niedrigkeiten vorwirft; die mich in einer Weise, die ich aber nicht kenne, nicht zum Glauben kommen lassen. Das heißt, so scheint es mir, ich soll sagen: Du kannst jetzt über einen solchen Glauben gar nichts wissen, er muß ein Geisteszustand sein von dem du gar nichts weißt und der Dich solange nichts angeht als dein Gewissen ihn Dir nicht offenbart; dagegen hast du jetzt deinem Gewissen in dem zu folgen was es dir sagt. Einen Streit über den Glauben kann es für Dich nicht geben da Du nicht weißt, (nicht das kennst) worüber gestritten wird. Die Predigt kann die Vorbedingung des Glaubens sein, aber sie, in sich || durch das was in ihr vorgeht, kann den Glauben
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nicht bewegen wollen. (Könnten diese Worte zum Glauben verbinden, so könnten andere Worte auch einem andern || zum Glauben verbinden.) Das Glauben fängt mit dem Glauben an. Man muß mit dem Glauben anfangen; aus Worten folgt kein Glaube. Genug.

     – – – Aber gibt es nicht vielerlei Weisen sich für Tinte & Papier zu interessieren? Interessiere ich mich nicht für Tinte & Papier wenn ich einen Brief aufmerksam lese? Denn jedenfalls schaue ich dabei aufmerksam auf Tintenstriche. – “Aber die sind ja hier nur Mittel zum Zweck!” – Aber doch ein sehr wichtiges Mittel zum Zweck! – Ja freilich können wir uns andere Untersuchungen über Tinte & Papier vorstellen, die uns gar nicht interessieren, die uns für unsern Zweck ganz unwesentlich zu sein scheinen würden. Aber was uns also interessiert wird
die Art der || unsrer || unserer Untersuchung zeigen. Unser Gegenstand ist, so scheint es, sublim, & so sollte er, scheint es || möchte man glauben, nicht von trivialen & in gewissem Sinne unsicheren Gegenständen handeln, sondern von Unzerstörbarem.
     [Ein für mich ungemein charakteristisches Phänomen kann ich auf der Reise beobachten: Ich schätze die Menschen, es sei denn daß sie mir durch ihre Erscheinung oder durch ihr Auftreten einen besonderen Eindruck machen, als weniger || für minder ein als mich selbst: das heißt für gewöhnlich ich wäre geneigt das Wort “gewöhnlich” von ihnen zu gebrauchen, ‘einer aus der Masse’ & dergleichen. Ich würde dies vielleicht nicht sagen, aber der Blick mit dem ich ihn zuerst ansehe sagt es. Es ist schon ein Urteil in diesem Blick. Ein ganz unbegründetes, & unberechtigtes. Und auch dann natürlich unberechtigtes, wenn
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sich der Mensch bei genauerer Bekanntschaft wirklich als sehr gewöhnlich, d.h. oberflächlich, herausstellen sollte. Ich bin freilich in Vielem ungewöhnlich & daher viele Menschen gegen mich gehalten gewöhnlich; aber worin besteht denn meine Ungewöhnlichkeit?]
     Wenn unsere Betrachtungen von Wort & Satz handeln so sollten sie doch in einem idealeren Sinn von ihnen handeln, als in dem, in welchem ein Wort verwischt, schwer leserlich, sein kann u. dergl..– So werden wir dazu geführt statt dem Wort die ‘Vorstellung’ des Wortes betrachten zu wollen. Wir wollen zu Reinerem, Klarerem, zu Nicht-hypothetischem. [Darauf bezieht sich die Bemerkung im Band XI.] 1

Editorial notes

1) Wittgenstein probably thinks here of Ms-142 (p. 100), not "Band XI." Ms-115.