28.1.
Noch auf der Reise im Schiff. Wir legten an einem Landungsplatz an & ich sah auf das Drahtseil, mit dem das Schiff angebunden || angehängt war,
& der Gedanke kam mir: gehe auf dem Seil; Du wirst natürlich nach wenigen Schritten ins Wasser fallen – aber das Wasser war nicht tief & ich wäre nur naß geworden aber nicht ertrunken; & vor allem wäre ich natürlich ausgelacht oder für ein wenig verrückt gehalten worden. Ich schreckte sofort vor dem Gedanken zurück, das zu tun & mußte mir gleich sagen, daß ich kein freier Mensch || Mann, sondern ein Sklave bin. Freilich wäre es ‘unvernünftig’ gewesen dem Impuls zu folgen; aber was sagt das?! Ich verstand, was es heißt, daß der Glaube den Menschen selig macht, d.h. von der Furcht vor Menschen frei macht, indem er den Menschen || ihn unmittelbar unter Gott stellt. Er wird sozusagen reichsunmittelbar. Eine Schwäche ist, kein Held zu sein, aber eine noch viel größere || schwächere Schwäche einen solchen || den Helden zu spielen, also nicht einmal die Kraft haben, das Defizit
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klar & ohne Zweideutigkeit in der Bilanz zu bekennen. Und das heißt: bescheiden werden: nicht in ein paar Worten, die man einmal sagt, sondern im Leben.
     Ein Ideal haben ist recht. Aber wie schwer, sein Ideal nicht spielen zu wollen! Sondern es in dem Abstand von sich zu sehen, in dem es ist! Ja, ist das auch nur möglich, – oder müßte man darüber entweder gut oder wahnsinnig werden? Müßte diese Spannung, wenn sie ganz erfaßt würde, den Menschen nicht entweder zu Allem bringen können || , oder ihn zerstören.
     Ist es hier ein Ausweg, sich in die Arme der Gnade zu werfen?
     Heute nacht folgenden Traum: Ich stand mit Paul & Mining, es war, wie auf einer vorderen Plattform eines Wagens der Elektrischen aber daß es das war, war nicht klar. Paul berichtete der Mining davon, wie begeistert mein Schwager Jérome von
meiner unglaublichen musikalischen Begabung gewesen sei; ich hatte am Tag vorher so wunderbar bei einem Werk von Mendelssohn, “die Bachanten” (oder so ähnlich) hieß es, mitgewirkt || mitgesungen; es war als hätten wir dieses || in diesem Werk unter uns zu Hause musiziert & ich hätte außerordentlich ausdrucksvoll mitgesungen auch ausdrucksvolle Gesten dazu gemacht || & auch mit besonders ausdrucksvollen Gesten. Paul & Mining schienen mit dem Lob Jeromes vollkommen übereinzustimmen. Jerome habe ein über das andre Mal gesagt: “Was für ein || Welches Talent!” (oder etwas Ähnliches; ich erinnere mich daran nicht sicher). Ich hielt eine abgeblühte Pflanze in der Hand mit schwärzlichen Samenkörnern die schon aus den Schötchen herausfielen || in den schon offenen Schötchen & dachte, || : wenn sie mir sagen sollten, wie schade es doch um mein ungenutztes musikalisches Talent sei, werde ich ihnen die Pflanze zeigen & sagen, daß die Natur mit ihrem Samen auch nicht sparsam
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ist & daß man nicht ängstlich sein & einen Samen ruhig umkommen lassen soll || wegwerfen || hinwerfen soll. Das Ganze war von Selbstgefälligkeit getragen. – Ich wachte auf & ärgerte, oder schämte, mich wegen meiner Eitelkeit. – Es war das nicht ein Traum der Art wie ich ihn in den letzten 2 Monaten (etwa) sehr oft gehabt habe: wo ich nämlich im Traum verächtlich handle, z.B. lüge, & mit dem Gefühl aufwache: Gott sei Dank, daß es ein Traum war; & den Traum auch als eine Art Warnung nehme. Möge ich nicht ganz gemein und auch nicht wahnsinnig werden! Möge Gott Erbarmen mit mir haben.