15.2.
     Wie das Insekt das Licht umschwirrt so werde ich jetzt vom Neuen Testament angezogen || ich ums Neue Testament.
     Ich hatte gestern diesen Gedanken: Wenn ich ganz von Strafen im Jenseits
absehe: Finde ich es richtig, daß ein Mensch sein Leben lang für die Gerechtigkeit leidet dann vielleicht einen schrecklichen Tod stirbt, – & nun keinerlei Lohn für dieses Leben erhält || hat? Ich bewundere doch einen solchen, stelle ihn hoch über mich, & warum sage ich nicht, er war ein Esel, daß er sein Leben so benützt hat. Warum ist er nicht dumm? Oder auch: warum ist er nicht der “elendeste Mensch”? Sollte er das nicht sein, wenn nun das alles ist, daß er ein schreckliches Leben hatte bis an sein Ende? Denke nun aber ich antwortete: “Nein er ist nicht dumm gewesen, denn nach seinem Tode geht es ihm dafür || nun gut.” Das ist auch nicht befriedigend. Er scheint mir nicht dumm, ja, im Gegenteil, er scheint mir das Richtige zu tun. Ferner scheine ich sagen zu können: er tut das Rechte, denn er empfängt den rechten Lohn, und doch kann
ich mir den Lohn nicht als Belohnung nach seinem Tode denken. “Dieser Mensch muß heimkommen” möchte ich von einem solchen sagen.
     Man stellt sich die Ewigkeit (des Lohns oder der Strafe) für gewöhnlich als eine endlose Zeitdauer vor. Aber man könnte sie sich geradesogut als einen Augenblick vorstellen. Denn in einem Augenblick kann man alle Schrecken erfahren & alle Glückseligkeit. Wenn Du Dir die Hölle vorstellen willst so brauchst Du nicht an nie endende Qualen zu denken. Vielmehr würde ich sagen: Weißt Du welches unsagbaren Grauens ein Mensch fähig ist? Denk daran & Du weißt was die Hölle ist, obwohl es sich da gar nicht um Dauer handelt.
     Und ferner, wer weiß welches Grauens er fähig ist, der weiß daß das noch immer
171
nichts ist gegen etwas noch viel Schrecklicheres, was, solange wir noch von Äußerem abgelenkt werden können, noch gleichsam verdeckt liegt. (Die letzte Rede des Mephisto im Lenauschen Faust.) Der Abgrund der Hoffnungslosigkeit kann sich im Leben nicht zeigen. Wir können nur bis zu gewisser Tiefe in ihn hineinschauen, denn “wo Leben ist, da ist Hoffnung”. Im Peer Gynt heißt es || Peer Gynt sagt: “Zu teuer bezahlt || erkauft man das bißchen Leben mit solch einer Stunde verzehrendem Beben.” – Wenn man Schmerzen hat, so sagt man etwa: “Jetzt dauern diese Schmerzen schon 3 Stunden, wann werden sie denn endlich aufhören”, in der Hoffnungslosigkeit aber denkt man nicht: “es dauert schon so lange!”, denn da vergeht die Zeit in gewissem Sinne gar nicht.
     Kann man nun nicht jemandem, & ich mir, sagen: “Du hast || tust recht Dich vor der Hoffnungslosigkeit zu fürchten!
Du mußt so leben, daß sich Dein Leben nicht am Ende zuspitzen kann zur Hoffnungslosigkeit. Zu dem Gefühl: Nun ist's zu spät.” Und es scheint mir, als könne es sich zu Verschiedenem zuspitzen.
     Aber kannst Du Dir denken, daß das Leben des wahrhaft Gerechten sich auch nur so zuspitzt? Muß er nicht die “Krone des Lebens” erhalten? Fordre ich für ihn nichts Anderes? Fordre ich für ihn nicht Verherrlichung?! Ja! Aber wie kann ich mir die || seine Verherrlichung denken? Ich könnte meinem Gefühle nach sagen: er muß nicht nur das Licht schauen, sondern unmittelbar an das Licht heran, mit ihm nun eines Wesens werden, – und dergleichen. Ich könnte also, scheint es, alle Ausdrücke brauchen, die die Religion hier tatsächlich gebraucht.
     Es drängen sich mir also die Bilder auf. Und doch scheue ich mich diese
173
Bilder & Ausdrücke zu gebrauchen. Vor allem sind es natürlich nicht Gleichnisse.
     Denn was sich durch ein Gleichnis sagen läßt, das auch ohne Gleichnis.
     Diese Bilder & Ausdrücke haben ihr Leben vielmehr nur in einer hohen Sphäre des Lebens nur in dieser Sphäre werden sie || können sie mit Recht gebraucht werden. Ich könnte eigentlich nur eine Geste machen, die etwas Ähnliches heißt wie “unsagbar”, & nichts sagen. – Oder ist diese unbedingte Abneigung dagegen hier Worte zu gebrauchen eine Art Flucht? Eine Flucht vor einer Realität? Ich glaube nicht. Aber || ; aber ich weiß es nicht. Laß mich zwar vor keinem Schluß zurückscheuen, aber auch unbedingt nicht abergläubisch sein!! Ich will nicht unreinlich denken!