21.2.
Die Leiden des Geistes loswerden, das heißt die Religion
los werden.
Hast Du nicht in deinem ganzen Leben irgendwie gelitten, & (nur nicht auf diese Art), & willst du jetzt lieber zurück zu diesen Leiden?! Ich bin gutmütig aber ich bin außerordentlich feige & darum schlecht. Ich möchte Leuten helfen, wo es keine größere Anstrengung, aber vor allem, keinen Mut kostet. Ich könnte die feindliche Linie immer nur stürmen, wenn von hinten auf mich geschossen wird. Wenn ich Leid haben muß, so ist || wäre es doch besser solches || das, was aus dem Kampf des Guten gegen das Schlechte entsteht, als solches || das, das || was aus dem Kampf des Schlechten mit sich selbst wird. || leiden muß so ist es doch besser durch den Kampf des Guten mit dem Schlechten in mir, als durch den Kampf im Bösen. Was ich jetzt glaube: Ich glaube, daß ich mich nicht vor den Menschen oder ihrer Meinung fürchten sollte wenn ich tun will, was ich für recht halte. Ich glaube, daß ich nicht lügen soll; daß ich den Menschen gut sein soll; daß ich mich sehen 193 soll wie ich
wirklich bin; daß ich meine
Bequemlichkeit opfern soll, wenn es
etwas Höheres gilt;
daß ich in guter Weise
fröhlich sein soll, wenn es mir gegeben ist, aber
wenn nicht, daß ich dann mit Geduld &
Standhaftigkeit die Trübseligkeit ertrage;
daß der
Zustand welcher alles von mir fordert durch das Wort
“Krankheit”, oder “Wahnsinn”,
nicht erledigt ist,
d.h., || :
daß ich in diesem Zustand ebenso
verantwortlich bin, wie außerhalb,
daß er zu meinem Leben gehört wie jeder
andere und ihm die also volle Aufmerksamkeit
gebührt. Einen Glauben an eine Erlösung
durch den Tod Christi habe ich
nicht; oder aber noch nicht. Ich fühle auch nicht
etwa, daß ich auf dem Wege zu so einem Glauben
sei, aber ich glaube
daß es möglich ist || halte es für
möglich, daß ich einmal hier etwas verstehen werde,
wovon ich jetzt Ich glaube, daß der Mensch sich || sein Leben ganz in allen seinen Handlungen von Eingebungen leiten lassen kann, und ich muß jetzt glauben, daß dies das höchste Leben ist. Ich weiß, daß ich so leben könnte, wenn ich wollte, wenn ich dazu den Mut hätte. Ich habe ihn aber nicht und muß hoffen daß mich 195 das nicht zu Tode,
das heißt ewig, unglücklich
machen wird. Möge die Trübsal, das Elendgefühl, während ich das alles schreibe irgendwie reinigen! Ich lese immer wieder in den Briefen des Apostel Paulus & ich lese nicht gern in ihnen. Und ich weiß nicht, ob der Widerstand & Widerwille den ich da empfinde, nicht, zum Teil wenigstens, von der Sprache herrührt, nämlich vom Deutschen, Germanischen, also von der Übersetzung. Ich weiß es aber nicht. Es ist mir, als wäre es nicht bloß die Lehre, die mich durch ihre Schwere, Größe, durch ihren Ernst, abstößt, sondern auch (irgendwie) die Persönlichkeit des Vortragenden. || Lehrenden. Es scheint mir, als wäre mir, außer allem jenem, irgend etwas fremd, & dadurch abstoßend, in der Lehre. Wenn er, z.B., sagt “Das sei ferne!”, so ist mir etwas unangenehm Ich hoffe daß die jetzige Traurigkeit & Qual die Eitelkeit in mir verbrennen möchten. Aber wird sie nicht sehr bald wiederkommen wenn die Qual aufhört? Und soll die darum nie aufhören?? Das möge Gott verhüten. In meiner Seele ist (jetzt) Winter, wie rings um mich her. Es ist alles verschneit, es grünt & blüht nichts. Ich sollte also geduldig warten, ob es mir beschieden ist, einen Frühling zu sehen. |
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