22.2.
      Habe Mut & Geduld auch zum Tod, dann wird dir vielleicht das Leben geschenkt! Möchte doch der Schnee
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um mich beginnen wieder Schönheit zu gewinnen & nicht bloß Traurigkeit zu haben!

     Ich träumte heute morgen: Ich stehe am Klavier (undeutlich gesehen) & sehe auf einen Text eines Schubert-Liedes. Ich weiß, daß er im Ganzen sehr dumm ist, bis auf eine schöne Stelle am Ende, die heißt: “Betrittst Du || “Betrittst Du wissend
meine Vorgebirge,
Ward Dir's in einem Augenblicke
klar,”
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Dann weiß ich nicht, was kommt & es schließt:
Wie || Wenn ich vielleicht schon in der Grube
modre.”
Gemeint ist: Wenn Du in Deinen (philosophischen) Gedanken an die Stelle kommst, wo ich war, dann (soll es heißen) hab Achtung vor meinem Denken || fühle Achtung für mein Denken, wenn ich vielleicht etc..
      Gott sei es gedankt, daß ich mich
heute etwas ruhiger & wohler fühle. Wenn immer aber ich mich wohler fühle, ist mir die Eitelkeit sehr nahe.
     Ich sage mir jetzt oft, in zweifelhaften Zeiten: “Es ist niemand hier.” und schaue um mich. Möge ¤ aber das in mir nichts Gemeines werden!
     Ich glaube ich soll mir sagen: “Sei nicht knechtisch in deiner Religion!” Oder, versuche, es nicht zu sein! Denn das ist in der Richtung zum Aberglauben.
     Der Mensch lebt sein gewöhnliches Leben beim || mit dem Scheine eines Lichts dessen er sich nicht bewußt wird, als bis es auslöscht. Löscht es aus so ist das Leben plötzlich alles Wertes, Sinnes, oder wie man sagen will, beraubt. Man wird plötzlich inne, daß die bloße Existenz –
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wie man sagen möchte – an sich noch ganz leer, öde ist. Es ist wie wenn der Glanz von allen Dingen weggewischt wäre, alles ist tot. Das geschieht z.B. manchmal nach einer Krankheit – ist aber darum natürlich nicht unwirklicher oder unwichtiger, d.h. nicht mit einem Achselzucken zu erledigen. Man ist dann lebendig gestorben. Oder vielmehr: das ist der eigentliche Tod, den man fürchten kann, denn das bloße ‘Ende des Lebens’ erlebt man ja nicht (wie ich ganz richtig geschrieben habe). Aber was ich hier jetzt geschrieben habe, ist auch nicht die volle Wahrheit.
     In meinen dummen Gedanken vergleiche ich mich mit den höchsten Menschen!
     Das Fürchterliche was ich beschreiben wollte ist eigentlich, daß man ‘auf nichts mehr ein Recht hat’. Mit
nichts ‘Der Segen ist mit nichts.’ D.h.: Es ist mir als hätte jemand an dessen Anerkennung alles liegt || von dessen Anerkennung alles abhängt || von dessen freundlichem Zusehen alles abhängt, gesagt: “Tu, was du willst, aber meine Zustimmung hast du nicht!” Warum heißt es: “Der Herr zürnt”. – Er kann dich verderben. Man kann dann sagen man fahre in die || zur Hölle. Aber das ist eigentlich kein ‘Bild’, denn wenn ich wirklich in einen Abgrund fahren würde so müßte das nicht furchtbar sein. Ein Abgrund ist ja nichts Schreckliches; & was ist denn die Hölle: daß man etwas mit ihr vergleichen könnte || , ich meine, durch dieses Bild erklären könnte? Vielmehr muß man das || diesen Zustand “eine Ahnung von der Hölle” nennen – denn man möchte in ihm auch sagen: Es kann noch furchtbarer werden, || : denn noch ist nicht jede Hoffnung ganz ausgelöscht.
Kann man sagen, daß man deshalb so leben muß, daß,
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wenn man nicht mehr hoffen kann, man etwas hat, um sich daran zu erinnern?
      Lebe so, daß du vor einem Zustand bestehen kannst: denn all dein Witz, all dein Verstand helfen dir dann nichts. || werden dir dann nichts helfen. Du bist mit ihnen verloren, als wenn du sie gar nicht hättest. (Du könntest ebensogut deine guten Beine brauchen wollen, wenn du durch die Luft fällst.) Dein ganzes Leben ist (ja) untergraben, also du mit allem was du hast. Du hängst zitternd, mit allem was du hast, über dem Abgrund. Es ist furchtbar, daß es so etwas geben kann, || . Diese Gedanken habe ich vielleicht, weil ich hier jetzt so wenig Licht sehe; aber es ist hier nun so wenig Licht und ich habe sie. Wäre es nicht komisch jemandem
zu sagen: Mach dir nichts draus, du stirbst ja jetzt nur, weil du einige Minuten keine Luft kriegst. Mit allem Stolz, aller deiner Einbildung auf das & jenes, bist du dann verloren, sie halten dich nicht, denn sie sind mit untergraben und alles was du hast.
Du sollst Dich aber vor diesem Zustand, obwohl er fürchterlich ist, nicht fürchten. Du sollst ihn nicht frivol vergessen & ihn doch nicht fürchten. Er wird deinem Leben dann Ernst geben & nicht Grauen. (Ich glaube so.)

Editorial notes

1) Note right alignment in MS.