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     “Jeder Satz sagt: Es verhält sich so und so”. Hier ist so eine Form, die uns verführen kann. (Mich verführt hat.)
     Bei Plato: “Wer Etwas meint, meint doch etwas Seiendes.” (Theätet.)
     Das ist die Art Satz, die man sich unzählige Male wiederholt. Man glaubt, wieder und wieder der Natur nachzufahren, und fährt nur der Form entlang, durch die wir sie betrachten.
     Denke Dir, die Menschen pflegten auf Gegenstände immer in der Weise zu zeigen, daß sie mit dem Finger in der Luft gleichsam einen Kreis um den Gegenstand beschrieben. Man könnte sich dann denken, daß ein Philosoph sagen möchte: “Jedes Ding ist doch kreisrund; denn der Tisch sieht so aus, der Ofen so, die Lampe so” etc., indem er jedesmal einen Kreis um das Ding schlägt.
     Oder man sagt: “Ich habe doch einen bestimmten Begriff vom Satz! Ein Satz sagt: es ist so
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und so.” – Oder: “Ich weiß doch, was das Wort ‘Satz’ bedeutet!” ‒ ‒ ‒ Ja, ja, könnte man antworten, aber was heißt denn das? ich meine, wie wird denn dieser Satz angewandt, daß Du weißt, was das Wort “Satz” bedeutet? Von wem sagt man denn das, und von wem das Gegenteil? Rufe Dir doch die praktische Verwendung dieser Behauptung ins Gedächtnis!
     Wir ziehen immer wieder die Ausdrucksform nach und glauben, wir haben die Sache gezeichnet. – Durch eine optische Täuschung scheinen wir im Innern der Dinge zu sehen, was auf unsrer Brille gezeichnet ist.
     “Es ist doch so –” sagen wir uns wieder und wieder. Es ist uns, als müßten wir das Wesen der Sache erfassen, wenn wir unsern Blick nur ganz scharf auf dies Faktum einstellen, es in den Brennpunkt rücken könnten. Denn es scheint eben im Innern der Sache zu liegen. Erst wenn diese optische Täuschung entfernt ist, können wir nun die Sprache einfach sehen, wie sie ist.
     Der Ausdruck dieser Täuschung aber ist die metaphysische Verwendung unsrer Wörter. Denn man prädiziert nun von der Sache, was in der Darstellungsweise liegt. Die Möglichkeit des Vergleichs, die uns beeindruckt, nehmen wir für die Wahrnehmung einer höchst allgemeinen Sachlage.
     Denn, “Gegenstand” hat man doch nie, z.B., die Lage eines Dinges genannt. Und sagt
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man denn vom Satz “Es regnet”, er sage: es verhält sich so und so? Wie gebraucht man denn diesen Ausdruck in Wirklichkeit? Denn von diesem Gebrauch hast ja Du ihn gelernt. Verwendest Du ihn nun gegen seinen ursprünglichen Gebrauch und denkst, Du spieltest noch das alte Spiel mit ihm, so ist das, als wenn Du mit Schachfiguren Dame spieltest und Dir einbildetest, es hafte den Figuren nun doch noch etwas vom Schachspiel an.
     Wenn die Philosophie || Philosophen ein Wort gebrauchen (“Wissen”, “Sein”, “Gegenstand”, “Ich”, etc.), und das Wesen des Dings zu erfassen trachten, muß man sich immer fragen: wird denn dieses Wort in der Sprache, in der es seine Heimat hat, je tatsächlich so gebraucht? –