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     Im Grunde ist die Angabe von “es verhält sich so und so” als allgemeine Form des Satzes das Gleiche, wie die Erklärung: ein Satz sei alles, was wahr oder falsch sein könne. Denn statt “es verhält sich …” hätte ich auch sagen können: “das und das ist wahr”. (Aber auch: “das und das ist falsch”.)
     Nun ist aber
      p ist wahr = p
      p ist falsch = nicht-p
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Und zu sagen, ein Satz sei alles, was wahr oder falsch sein könne, kommt darauf hinaus: einen Satz nennen wir das, worauf wir in unserer Sprache den Kalkül der Wahrheitsfunktionen anwenden.
     Denn hier ist es nun leicht, in einen Irrtum zu verfallen: Es scheint nämlich, als bestimmte die Erklärung – Satz sei dasjenige, was wahr oder falsch sein könne – was ein Satz ist, indem sie sage: Was zum Begriff ‘wahr’ paßt, oder, worauf der Begriff ‘wahr’ paßt, das ist ein Satz. Es ist also so, als hätten wir einen Begriff von wahr und falsch, mit dessen Hilfe wir nun bestimmen können, was ein Satz ist und was keiner. Was in den Begriff der Wahrheit eingreift, wie ein Zahnrad, das ist ein Satz.
     Aber das ist ein irreführendes Bild. – Es ist, als sagte man: “Schachkönig ist die Figur, der man Schach ansagen kann”. Aber das kann doch nur heißen, daß wir in unserm gebräuchlichen Schachspiel nur dem König Schach geben. So wie der Satz, daß nur ein Satz wahr sein könne, nur sagen kann, daß wir “wahr” und “falsch” nur von dem prädizieren, was wir einen Satz nennen. Und was ein Satz ist, ist in einem Sinne bestimmt durch die Regeln des Satzbaus (der deutschen Sprache z.B.), in einem andern Sinne durch den Gebrauch des Zeichens im Sprachspiel. Und der Gebrauch der Wörter “wahr” und “falsch” kann auch ein Bestandteil dieses Spiels sein; und dann gehört er für uns zum Satz, aber
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er ‘paßt’ nicht zu ihm. Wie wir auch sagen können, daß Schachgeben gehöre zu unserm Begriff vom Schachkönig (gleichsam als ein Bestandteil desselben). Zu sagen, das Schachgeben passe nicht auf unsern Begriff von den Bauern würde heißen, daß ein Spiel, in welchem den Bauern Schach gegeben wird, in welchem etwa der verliert, der seine Bauern verliert, daß ein solches Spiel uninteressant wäre, oder zu kompliziert, oder dergleichen.