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      Es interessiert uns etwa, festzustellen, dass in unserer Umgebung gewisse Formen nicht an gewisse Farben gebunden sind. Das wir z.B. nicht gruen immer in Verbindung mit der Kreisform, rot mit der Quadratform sehen. Stellt man sich eine Welt vor, in der Formen und Farben immer in solcher Weise mit einander verknuepft sind // verbunden waeren // , so faende man ein Begriffssystem verstaendlich, in welchen
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die grundlegende Einteilung – Form und Farbe – nicht bestuenden.
      Noch einige Beispiele:
Es ist z.B. wichtig, dass wir gewohnt sind, mit Stift, Feder, oder dergleichen zu zeichnen, und dass daher die Elemente unserer Darstellung Striche und Punkte (im Sinne von “Puenktchen”) sind. Haetten die Menschen nicht gezeichnet, sondern immer gemalt (spielte also der Begriff der Kontour der Fo[t|r]men keine grosse Rolle), gebe es ein gebraeuchliches Wort, sagen wir “Linie”, bei dem niemand an Strich, also an etwas sehr duennes daechte, sondern immer nur an die Grenze zweier Farben, und daechte man bei “Punkt” nie an etwas winziges, sondern nur an den Schnitt zweier Farbgrenzen, so waere vielleicht manche Entwicklung der Geometrie unterblieben.
      Saehen wir eine unserer primaeren Farben[m|,] sagen wir rot, nur aeusserst selten, nur in winzigen Ausmassen, koennten wir Malfarben nicht herstellen, kaeme keine rot nur in bestimmten Verbindungen mit andern Farben vor, etwa nur an der Spitzen der Blaetter gewisser Baeume die sich im Herbst nach und nach aus gruen in rot verwandeln, so waere nichts natuerlicher als Rot ein degen[i|e]riertes Gruen zu nennen.
      Denke an die Umstaende, unter denen uns Weiss und Schwarz als Farben und anderseits als das Fehlen einer Farbe erscheinen. Denke es liessen sich alle Farben wegwaschen und der Grund waere dann immer weiss, und es gaebe keine weisse Malfarbe.
      Es ist uns leichter ein reines Rot, Gruen, etc. aus dem Gedaechtnis zu reproduzieren und wiederzuerkennen, als einen Ton von Braunrot etwa.