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                 Versuchen wir diese Erklärung: Jemand liest, wenn er die Reproduktion von der Vorlage ableitet. Und ‘Vorlage’ nenne ich den Text, welchen er liest, oder abschreibt, das Diktat, nach welchem er schreibt, die Partitur, die er spielt, etz. etz.. – Wenn wir nun z.B. jemand das cyrillische Alphabet gelehrt hätten und wie jeder Buchstabe auszusprechen sei; wenn wir ihm dann ein Lesestück vorlegen und er liest es, indem er jeden Buchstaben so ausspricht, wie wir es ihn gelehrt haben; dann werden wir wohl sagen, er leite den
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Klang eines Wortes vom Schriftbild mit Hilfe der Regel, die wir ihm gegeben haben, ab. Und dies ist auch ein klarer Fall des Lesens. (Wir könnten sagen, wir haben ihn die ‘Regel des Alphabets’ gelehrt.)
                 Aber warum sagen wir, er habe die gesprochenen Worte von den gedruckten abgeleitet? Wissen wir mehr, als dass wir ihn gelehrt haben, wie jeder Buchstabe auszusprechen sei, und dass er dann die Worte laut gelesen habe? Wir werden vielleicht antworten: der Schüler zeige –, dass er den [U|Ü]ebergang vom Gedruckten zum Gesprochenen mit Hilfe der
Regel
Anleitung
macht, die wir ihm gegeben haben. – Wie man dies zeigen könne, wird klarer, wenn wir unser Beispiel dahin abändern, dass der Schüler, statt de[m|n] gedruckten Text vorzulesen, ihn abzuschreiben hat, ihn aus der Druckschrift in die Schreibschrift zu übertragen hat; denn in diesem Fall können wir ihm die Regel in Form einer Tabelle geben: in einer Kollonˇne stehen die Druckbuchstaben, in der andern die Kursivbuchstaben. Und dass er die Schrift vom Gedruckten ableitet, zeigt sich darin, dass er in der Tabelle nachsieht.