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715.
      Es interessiert uns etwa, festzustellen, dass in unserer Umgebung gewisse Formen nicht an gewisse Farben gebunden sind. Das wir z.B. nicht grün immer in Verbindung mit der Kreisform, rot mit der Quadratform sehen. Stellt man sich eine Welt vor, in der Formen und Farben immer in solcher Weise mit einander verknüpft sind // verbunden wären // , so fände man Begriffssysteme verständlich, in welchen die grundlegende Einteilung– Form und Farbe– nicht bestünde.
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      Noch einige Beispiele:
Es ist z.B. wichtig, dass wir gewohnt sind, mit Stift, Feder oder dergleichen zu zeichnen, und dass daher die Elemente unserer Darstellung Striche und Punkte (im Sinne von “Pünktchen”) sind. Hätten die Menschen nicht gezeichnet, sondern immer gemalt (spielte also der Begriff der Kontour // Kontur // der Formen keine grosse Rolle), gäbe es ein gebräuchliches Wort, sagen wir “Linie”, bei dem niemand an Strich Strich, also an etwas sehr dünnes dächte, sondern immer nur an die Grenze zweier Farben, und dächte man bei “Punkt” nie an etwas winziges, sondern nur an den Schnitt zweier Farbgrenzen, so wäre vielleicht manche Entwicklung der Geometrie unterblieben.
      Sähen wir eine unserer primären Farben, sagen wir rot, nur äusserst selten, nur in winzigen Ausmassen, könnten wir Malfarben nicht herstellen, käme rot nur in bestimmten Verbindungen mit andern Farben vor, etwa nur an den Spitzen der Blätter gewisser Bäume die sich im Herbst nach und nach aus grün in rot verwandeln, so wäre nichts natürlicher als Rot ein degeneriertes Grün zu nennen.
      Denke an die Umstände, unter denen uns Weiss und Schwarz als Farben und anderseits als das Fehlen einer Farbe erscheinen. Denke es liessen sich alle Farben wegwaschen und der Grund wäre dann immer weiss, und es gäbe keine weisse Malfarbe.
      Es ist uns leichter ein reines Rot, Grün, etc. aus dem Gedächtnis zu reproduzieren und wiederzuerkennen, als einen Ton von Braunrot etwa.