Ich möchte folgendes Gleichnis gebrauchen, um die Bedeutung dieser Betrachtung klar zu machen: Wer gewohnt ist, weniger zu essen, als seinem Hunger
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entspricht, der ist von allen Verstimmungen des Magens am besten mit derjenigen des Hungers vertraut und seine nächstliegende Regung, wenn er eine Verstimmung des Magens spürt, ist die: essen zu wollen, und zwar auch dann wenn die Verstimmung einmal ausnahmsweise daher rührt, daß er schon zu viel gegessen hat. So sind wir gewohnt, Beunruhigungen des Geistes zu stillen, indem wir gewisse Sätze auf fundamentalere zurückführen. Rührt unsere Beunruhigung nun aber von einer Unklarheit über die grammatischen Verhältnisse in einem Sprachgebiet her, so sind wir einerseits aus alter Gewohnheit versucht, das hier nicht angebrachte Heilmittel der Zurückführung auf fundamentalere Sätze anzuwenden, andererseits fühlen wir wohl, daß wir ein Fundament im hausbackenen Sinn nicht brauchen können. Wir möchten die Philosophie anfangen mit etwas, was die Grundlage alles Späteren, aller Wissenschaften sein soll und dabei soll sie doch nicht “Grundlage” einfach im Sinn der untersten Ziegelreihe eines Hauses sein. Wir machen hier eine ähnliche Verwechslung wie sie dadurch entstehen könnte, daß wir einmal jene unterste Ziegelreihe, ein anderes Mal Solidität als die Grundlage eines Baus bezeichnen. Und aus diesem Zwiespalt entsteht ein Bedürfnis, die Philosophie gleichsam mit einem unartikulierten Laut anzufangen. Und ein Satz wie “das Nichts nichtet” ist in gewissem Sinn der Ersatz eines solchen unartikulierten Lautes. Der Satz “ich habe um mein Wissen wissend bewußt etwas” ist auch ein solcher unartikulierter Laut. Das Berfnis solche Sätze oder Floskeln vor unsere eigenen Betrachtungen zu stellen ist in einem Sinn auch ein Bedürfnis des Stils. In gewissen Perioden schließt man Häuser und Kästen mit einem Gesims ab. Man wünscht eine Betonung des Abschlusses. Man schließt Stangen aller Art mit Knöpfen ab, auch dort, wo dies nicht ein Erfordernis der Zweckmäßigkeit ist. Die Stange soll nicht einfach aufhören. Ein anderes Mal ist es ein Bedürfnis, den Abschluß nicht zu betonen, sondern künstlich zu verschleiern. Der Gegenstand soll in seine Umgebung übergehen. So brachte man am Rand eines Tischtuchs Spitzen an, die ursprünglich bloß eine Auszackung des Tuches waren, da man einen scharfen Abschluß nicht wünscht. Zu anderen Zeiten aber, gibt man dem Rand eine eigene Färbung um ihn zu betonen. Genau so verhält es sich nun mit diesem Argument. Man wünscht z.B. die Entstehung der Welt auf einen Schöpfer zurückzuführen, obwohl dies in gewissem Sinn nichts erklärt und nur den Anfang betont. (Diese letzte Betrachtung ist von der Art derjenigen des Architekten Loos und gewiß von ihm beeinflußt.)
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