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Vielleicht beruht diese ganze Schwierigkeit auf der
Uebertragung des Zeitbegriffs der physikalischen Zeit,
auf dem Verlauf der unmittelbaren Erlebnisse.
Es ist eine Verwechslung der Zeit des Filmstreifens mit der Zeit des
projizierten Bildes.
Denn “die Zeit” hat eine andere Bedeutung, wenn wir das
Gedächtnis als die Quelle der Zeit auffassen und wenn wir es als ein
aufbewahrtes Bild des vergangenen Ereignisses auffassen.
Wenn wir das Gedächtnis als ein Bild auffassen, dann ist es ein Bild eines
physikalischen Ereignisses.
Das Bild verblasst und ich merke sein Verblassen,
wenn ich es mit andern Zeugnissen des Vergangenen vergleiche.
Hier ist das Gedächtnis nicht die Quelle der Zeit, sondern mehr oder
weniger gute Aufbewahrerin dessen, was “wirklich” gewesen
ist, und dieses war eben etwas, wovon wir auch andere Kunde haben können,
ein physikalisches Ereignis.” –
Ganz anders ist es, wenn wir nun das Gedächtnis als Quelle der Zeit
betrachten
Es ist hier kein Bild und kann auch nicht verblassen – in dem Sinne,
wie ein Bild verblasst, sodass es
seinen Gegenstand immer weniger getreu darstellt.
Beide Ausdrucksweisen sind in Ordnung und gleichberechtigt, aber nicht
miteinander vermischbar.
Es ist ja klar, dass die Ausdrucksweise vom
Gedächtnis als einem Bild, nur ein Bild ist; genau so, wie die
Ausdrucksweise, die die Vorstellungen “Bilder der Gegenstände in
unserem Geiste” (oder dergleichen) nennt.
Was ein Bild ist, das wissen wir, aber die Vorstellungen sind doch gar
keine Bilder, denn sonst kann ich das Bild sehen und den Gegenstand, dessen
Bild es ist, aber hier ist es offenbar ganz anders.
Wir haben eben ein Gleichnis gebraucht und nun tyrannisiert uns das
Gleichnis.
In der Sprache dieses Gleichnisses kann ich mich nicht
ausserhalb des Gleichnisses bewegen.
Es muss zu Unsinn führen, wenn man mit der Sprache
dieses Gleichnis über das Gedächtnis als Quelle unserer Erkenntnis, als
Verifikation unserer Sätze, reden will.
Man kann
von gegenwärtigen, vergangenen und zukünftigen Ereignissen
in der physikalischen Welt reden, aber nicht von gegenwärtigen, vergangenen
und zukünftigen Vorstellungen, wenn man als Vorstellung nicht doch wieder
eine Art physikalischen Gegenstand (etwa jetzt ein physikalisches Bild,
statt des Körpers) bezeichnet; sondern gerade eben das
gegenwärtige.
Man kann also den Zeitbegriff, d.h. die Regeln der
Syntax, wie sie von den physikalischen Substantiven gelten, nicht in der
Welt der Vorstellung anwenden, d.h. nicht dort, wo man
sich einer radikal anderen Ausdrucksweise bedient.